Hockeyklubs in Hessen
Keiner für alle, alle für keinen
Die
einst erfolgreichen hessischen Hockeyklubs haben längst den Anschluss an
die nationale Spitze verloren. Talente sind vorhanden, Trainer aber
fehlen.
Von Alex
Westhoff (aus "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 09.06.2013)
"Früher",
"einst" und "damals" scheinen die meistgebrauchten Wörter zu sein, wenn
es um das hessische Hockey geht. Damals, als mit dem SC Frankfurt 1880,
Rüsselsheimer RK, Limburger HC, Eintracht Frankfurt, Hanauer THC und
Safo Frankfurt viele Klubs in der ersten und zweiten Liga ihr
sportliches Zuhause hatten. Einst, als Rüsselsheim mit seinen unzähligen
Erfolgen im Zentrum des deutschen Damenhockeys stand. Früher, als die
A-Nationalmannschaften auf den steten Strom hessischer Spitzenkräfte
bauen konnten. Das war einmal. Vergangenheit. Und wenig deutet darauf
hin, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern wird.
Hört man
sich in der Szene um, ist das Übel längst diagnostiziert, die Behandlung
aber unklar und wenig abgestimmt. „Jeder schwimmt in seinem eigenen
Saft“, bemängelt Chris Faust. Der A-Lizenz-Trainer hat in seiner
Laufbahn schon bei einigen hessischen Vereinen gearbeitet und ist seit
diesem Jahr hauptamtlich bei Safo Frankfurt sowie als Coach der
tschechischen Nationalmannschaften beschäftigt. Dabei haben viele
Vereine eher Kapazitäts- als Nachwuchsprobleme - die hierzulande
erfolgreichste olympische Ballsportart liegt vielerorts bei Kindern und
Jugendlichen im Trend. Nur gelingt es nicht, aus der Masse auch Klasse
zu generieren.
Es
fehlen Jugendtrainer
Ein Grund
ist die geringe Zahl an gut ausgebildeten Trainern, gerade für die
Jugend. Dazu schaffen es die Klubs nicht, Anreize und Rahmenbedingungen
im Amateursport Hockey zu schaffen, so dass auch gestandene Spieler hier
landen. Und das, obwohl Rhein-Main an Arbeits- und Ausbildungsplätzen so
reich ist. Hat sich Hessen einst mit den Hockey-Hochburgen Hamburg,
Berlin und Rheinland messen können, hat es heute längst nicht nur den
Anschluss an jene verloren, sondern droht auch von Rheinland-Pfalz und
Niedersachsen überflügelt zu werden.
Die
Hockeydamen des Rüsselsheimer RK 08 mit Trainer Berthold "Berti" Rauth demonstrieren 2006 in Sant Cugat
del Vallès ungebrochenen Erfolgshunger vom Siebenmeter-Punkt aus. Den
finalen 4:3-Sieg über HC Ritm Grodno und damit den 15. Sieg im
Hallen-Europacup bejubeln (hinten) Betreuer Thomas Blivier,
"Physio" Hanne Zöller, Katharina Schultz, Lena Jacobi,
Viktoria Krüger, Maren Pfefferkorn, Laura Appel und Trainer Berthold
"Berti" Rauth sowie (vorn) Lena Schüder, Mandy und Lydia Haase, Irene Balek, Nina
Günther, Meike Acht und Torfrau Barbara Vogel. |
Der Verlust
an Qualität und Leistungsstärke in den vergangenen Jahren sei "ganz klar
messbar", sagt Faust. Nicht nur daran, dass mit dem Bundesligaabsteiger
SC 1880 nur noch ein hessisches Herrenteam auf dem Feld zumindest
zweitklassig spielt, sondern auch an der geringen Zahl an bei hessischen
Klubs ausgebildeten Spielern, die es in die Auswahlmannschaften des
Deutschen Hockey-Bundes geschafft haben.
Damals,
als Berti Rauth noch Spielerinnen rekrutierte
In der U21
und U18 steht nur je ein Hesse im Kader, in der U16 keiner. Etwas besser
sieht es bei den Damen aus. Da stellt der Rüsselsheimer RK als
hessischer Alleinunterhalter dank seines herausragenden Jahrgangs 1993
fünf U21-Nationalspielerinnen, dazu drei in der U18. In der U16 sucht
man ebenfalls vergeblich nach Top-Nachwuchskräften aus der Region. Beim RRK reagiert man allergisch auf die These, dass die aktuellen
Auswahlspielerinnen als Letzte noch das Glück hatten, von Berti Rauth
aus den Schulen geholt und auf den Hockeyweg gebracht wurden. Rauths
28-jähriges Wirken samt dem Gewinn von 32 Titeln wird im Rückblick
beinahe romantisch verklärt. Der akribische Trainer ging 2007 auch ein
Stück weit frustriert nach Hamburg, weil das öffentliche Interesse und
die Unterstützung aus der Wirtschaft in Rüsselsheim in keinem Verhältnis
zu seiner exzellenten Arbeit standen. Die heutigen Sorgen beim RRK sind
im Kern ähnlich, nur größer.
"Wenn wir
es schaffen, ein Netzwerk für Ausbildung, Studium und Beruf zu knüpfen
und eine sportliche Perspektive bieten können, dann haben wir gute
Chancen, dass die Talente bei uns bleiben", sagt Florian Westermann. Das
sind seit Jahren vertraute Vorhaben − nur ohne rechten Ertrag. Der
hauptamtliche RRK-Damen-Coach hat mit seinem im Schnitt 21 Jahre jungen
Bundesligateam nur knapp die Meisterschafts-Play-offs verpasst.
Westermann ist darauf angewiesen, dass Jahr für Jahr Jugendspielerinnen
erstligareif werden − nicht als Ergänzung, sondern als Lebensader. Denn
die Besten gehen regelmäßig verloren, sie ziehen irgendwann weiter.
Dorthin, wo sich Studium und Hockey dank gezielter Programme bestens
verbinden lassen. Wo es sogar etwas Geld zu verdienen gibt oder eine
Wohnung und ein Auto zur Verfügung gestellt werden. Zu einem Magneten,
auch für Hessens Beste, hat sich der in Sachen Infrastruktur
vorbildliche Mannheimer HC entwickelt mit allein sechs diplomierten
Trainern.
Frankfurter Eintracht als Positivbeispiel
Da können
die hessischen Klubs nicht mithalten. Die RRK-Herren sind bereits bis in
die drittklassige Regionalliga abgestürzt − vor allem, weil schwächere
Jugendjahrgänge die Abgänge von Leistungsträgern nicht mal ansatzweise
kompensieren konnten. Im Jugendbereich hat es sich zudem eingebürgert,
dass die besten Mädchen früh zum RRK und die besten Jungs aus ihren
kleineren Heimatvereinen zum SC 1880 wechseln. Mit der Folge, dass die
beiden Großklubs quasi konkurrenzlos agieren, jedes Spiel hoch gewinnen,
aber auf überregionaler Ebene schnell Grenzen aufgezeigt bekommen.
Die
positive Überraschung sind die Damen der Frankfurter Eintracht, die sich
als kleine Abteilung innerhalb des Großklubs mit kleinem Etat eine
erstklassige Präsenz in Halle und Feld erarbeitet haben. Dort wird aus
wenig viel gemacht − aber konzeptionell auch eher von der Hand in den
Mund gearbeitet. Da ist man beim SC Frankfurt 1880 schon weiter. Trainer
Erik Koppenhöfer hat als hauptamtlicher Trainer und Sportdirektor Zug
hereingebracht in die Jugendarbeit und das Denken in
Leistungssportkategorien im Klub verankert. Aber er musste nach dem
krachenden Scheitern seiner Herren im zweiten Bundesligajahr auch
erkennen, dass es von den Strukturen noch nicht reicht für höhere Ziele.
"Wenn der Wiederaufstieg klappen sollte, müssen wir uns anders
aufstellen und positionieren", sagt Koppenhöfer. "Sonst reicht es wieder
nur für ein, zwei Bundesligajahre, und wir stehen vor demselben
Dilemma."
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