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Über Mitglieder des
RRK (1963)
Wolfgang Treusch |
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Bruno Moravetz: Das Sportlerportrait des Monats
"Einer aus einem Boot"
Aus "Klubnachrichten des RRK" 1963
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Er heißt Wolfgang. Seine Freunde nennen ihn Amadeus. Vier noch sitzen mit ihm
in einem Boot. In einem Vierer mit Steuermann.
Sie rudern nicht um Olympiamedaillen und Weltmeisterschaften. Sie werden
vielleicht einmal so weit sein. Vielleicht werden sie sich auch weiter damit
begnügen müssen, die großen Ruderer, die schnellsten Boote, die um Deutsche
Meisterschaften und internationale Erfolge kämpfen dürfen, nur von Land aus zu
bewundern.
Tausende, Zehntausende sitzen in Booten, trainieren, verzichten, treiben ihre
Boote über die oft schmutzigen Gewässer unserer Landschaft, suchen den
gemeinsamen Rhythmus - und kommen doch nicht an die Spitze.
*
"Es muß auch Verlierer geben",
sagte er. "Aber wir werden einmal auch gewinnen ...!"
Als am Tag des Rudersports die Frage an sie gerichtet worden ist, ob sie bereit
seien, da antworteten sie mit freudigem "Ja!"
Dieses Bereitsein ist es, was mir an Wolfgang auffiel. Ich kenne ihn seit mehr
als zwei Jahren. Im Sommer und im Winter, im Frühling und im Herbst gehörte der
größte Teil seiner Freizeit seinem Sport. Es blieben nur im Herbst einige
Wochen, um zu verschnaufen, um abzuschalten. Noch ehe in den Bergen aber der
erste Schnee gefallen war, gab es für ihn wie für alle anderen auch in den
Abendstunden und am Wochenende nur noch das vorbereitende Training. Sie trabten
durch die nebelnassen Wälder. Sie quälten sich mit Bedacht unter der Last der
Hanteln und Bleiwesten. Sie hasteten Treppen in die Höhe, den Kameraden auf dem
Rücken. Sie sprinteten über die schwere Aschenbahn des verlassenen Stadions. Sie
machten ihr Krafttraining, hart, unerbittlich unter dem Zeitplan des Trainers.
Im Fasching bekamen sie eine kleine Pause. Das war die Zäsur zwischen dem
Herbst- und Wintertraining, diesem freiwilligen Schinden unter der Folter der
Gewichte. Sie tanzten einige Nächte lang. Doch das Training, ihr Ziel, vergaßen
sie nicht.
"Wir verpflichten uns ..." hieß es bald. Sie verpflichteten sich, weiter stets
fleißig zu trainieren. Sie verpflichteten sich Alkohol und Nikotin zu meiden.
Sie verpflichteten sich, Kameraden zu sein ...
*
Sie halten sich daran, an diese
freiwillige Verpflichtung, sie verzichten auf das, was viele Tausende -
zu viele, so scheint's! - Freizeit nennen. Dieses oft sinnlose
Vor-sich-hin-Leben, das Schlendern, das Am-Heute-Hängen.
*
"Wie oft habe ich gedacht", so sagte mir Wolfgang,
den sie Amadeus rufen, "wie oft hab ich gedacht, mach doch Schluß, hör auf
damit, es ist ja bloß eine Schinderei, sinnlos, wertlos, die nichts einbringt,
die zu nichts führt. Aber das sind nur schnelle Gedanken, die kommen, wenn man
sich ganz besonders mühen muß, an Tagen, wie sie ja wohl jeder kennen mag, an
denen man schlechter Laune ist, die Stimmung fehlt. Mach weiter, Kerl, beiß die
Zähne zusammen, du schaffst es!"
*
Sie setzen ihren Vierer am Ufer
eines der deutschen Flüsse ein, die befahren sind von unzähligen Schleppern und
Kähnen. Die Wellen schlagen oft das schmale Boot mit trübem, schmierigem Wasser
voll. Wenn sie nach ihren Trainingsfahrten das Boot aus dem Fluß heben, dann
klebt eine fettige Schmutzschicht auf dem Lack. Als auch ihr Fluß in den
regenreichen Frühlingswochen Hochwasser führte, mußten sie ihr Boot abends auf
ihren Transporter laden, einige Dutzend Kilometer weit fahren, um in einem
stillen Seitenarm ihr Pensum zu schlagen.
Wolfgang Treusch,
"Einer aus einem Boot", in "seinem" Jungmann-Vierer 1963 (Helmut Schwanke,
Dieter Lang, Werner Alt, Wolfgang Treusch, Stm. Helmut Schumacher) |
Fünfmal in jeder Woche sehen sie sich. Für einige Stunden. Sie eilen aus dem
Fabrikkontor und von der Schulbank, aus der Werkstätte und aus dem
Studierstübchen an den Fluß.
Die freiwillige Verpflichtung heißt auch, pünktlich zum Training zu erscheinen,
Keine Minute darf versäumt werden.
Sie sitzen in ihrem Boot, arbeiten daran, sich im Schlagrhythmus zu finden, sich
zu steigern.
*
"Es kommt oft vor, daß der eine oder andere den Kopf
hängen läßt, mutlos wird, verzichten will, wenn wieder einmal ein Schleppkahn
das Wasser aufwühlt, uns stört. Doch dann zischt einer etwas von "Vorwärts!
Weiter!" oder auch noch was anderes - und dann machen wir weiter. Aber es fällt gewiß auch jenem schwer, der das zwischen den Zähnen hervorstößt!"
*
Dieser eine aus dem Boot ist 21
Jahre alt. Er hat einen Beruf, erscheint jeden Morgen pünktlich an seinem
Arbeitsplatz. Seine Freizeit muß er teilen zwischen dem Sport und der Mitwirkung
im Technischen Hilfswerk. Auch dort verbringt er manche Abendstunde, oft wird es
nachts. Der Tagesablauf ist fast auf die Minute eingeteilt.
Denn acht Stunden Schlaf muß er haben - auch das hat er in der freiwilligen
Verpflichtung versprochen.
Er ist einer von Tausenden, Zehntausenden. In diesen Frühsommerwochen ist ihr
Training auf die Regatten ringsum im Land ausgerichtet. Das Wochenende
verbringen sie im Kreis der Gleichgesinnten, aus Nachbarstädten, auch aus
anderen Ländern. Sie haben ähnliches hinter sich, in den Herbst- und
Wintermonaten. Nur kleine Varianten unterscheiden ihren Weg.
Ihr Ziel ist gleich: Im Boot, allein vielleicht, zu zweit und zu dritt, zu viert
und zu fünft oder zu neunt, mit dem, was sie gelernt haben, mit der Kraft ihres
Körpers und der Anpassung ihres Geistes ihr Boot vorwärtszutreiben, im gleichen
Schlag, möglichst am schnellsten. Nur ein Boot kann im Ziel vorne sein ...
"Es muß auch Verlierer geben!" sagte der junge Mann aus dem Vierer mit
Steuermann.
Er und seine Freunde sind genauso wichtig wie die wenigen, die in den Booten des
Erfolges das gleiche Ziel verfolgen.
Wenn sie im Hochsommer an die großen Regattastrecken reisen, um die Besten im
Wettkampf zu sehen, dann sind sie alle stolz auf deren Erfolge.
"Ob wir das schaffen? Wir wollen es! Und wenn es uns nicht gelingt - wir alle
haben Freude gefunden und Freunde!"
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