Rüsselsheimer Ruder-Klub 08 "Archiv und Chronik"

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Tanja Dickenscheid

 

 

 

 

 

 

 

TANJA DICKENSCHEiD

Positive Signale ‒ vom Chef und vom Trainer

Nach 16 Monaten internationaler Pause kämpft Tanja Dickenscheid um ihre dritte Teilnahme an Olympischen Spielen.

Von Martin Krieger (aus "Deutsche Hockey Zeitung" vom 16. März 2000)

Der Aschermittwoch ist eingefleischten Närrinnen und Narren ein Dom im Auge. Entsprechend dürfte es nicht zuletzt in und um Köln herum nicht gerade viele Zeitgenossen geben, die diesem Tag etwas Positives abgewinnen. Dass Tanja Dickenscheid zu jener Minderheit zählt, kann als gesichert gelten ‒ wenn auch nicht aufgrund einer besonders ausgeprägten karnevalistischen Antipathie. Und es war auch nicht der Umstand, dass für sie der Lehrgang des Nationalteams in Spanien früher als für die anderen 17 Auswahlspielerinnen des Deutschen Hockey-Bundes zu Ende war, der das 30 Jahre alte Vereinsmitglied des Rüsselsheimer Ruder-Klubs am 8. März in Madrid erleichtert ins Flugzeug nach Frankfurt steigen ließ. Mit diesem Aschermittwoch, das wusste Tanja Dickenscheid genau, ging eine Veränderung einher, auf die sie sehnsüchtig gewartet hatte, seit sie fast auf den Tag genau vor einem Jahr ins Berufsleben eingetreten war ‒ der Umzug ihres Arbeitgebers von Köln in das Taunus-Kurstädtchen Bad Soden.

Eigentlich ist Tanja Dickenscheid nämlich ein ziemlich bodenständiger Mensch. Aus dem Rhein-Main-Gebiet wegzugehen, wo sie aufgewachsen ist und neben ihrer Familie viele Freunde leben, wäre ihr normalerweise nicht in den Kopf gekommen. "Ich habe mich in Köln schon wohl gefühlt, aber es ist eben nicht mein Zuhause", sagt die Diplom-Biologin.

Und wäre da nicht jene Stellenanzeige in einer großen deutschen Tageszeitung gewesen oder hätte sich im Verlaufe des Vorstellungsgesprächs nicht die bevorstehende Ortsveränderung ergeben, Tanja Dickenscheid wäre wohl schwerlich in Köln gelandet. Zumal sie Großstädte, nach eigener Aussage, als Lebensmittelpunkt auch nicht unbedingt so toll findet.

Zu denjenigen, die Tanjas Rückkehr nach rund 18.000 Autobahnkilometern ‒ ihr Rekord für die knapp 200 Kilometer von Rüsselsheim nach Köln liegt bei 100 Minuten ‒ mit am meisten begrüßen, gehört Berti Rauth. In seiner Funktion als RRK-Coach hatte Rauth zwar auch während Zeit in Köln fast immer mit seiner Mittelstürmerin rechnen können. 1985 von ihrem Heimatverein Gau-Algesheim zum RRK gekommen und dort trotz manch schwerer Verletzung maßgeblich an den vielen Titelgewinnen beteiligt war. Als Bundestrainer indes musste Ruth ihre läuferischen Qualitäten fast 16 Monate lang entbehren. "Ich habe dem Berti gesagt, dass ich mich während sechsmonatigen Probezeit ganz auf den Job konzentrieren will", erinnert sich Tanja Dickentscheid. Und da nicht absehbar gewesen sei, ob ihr bei den beruflichen Anforderungen Zeit bleiben würde, einigermaßen regelmäßig am Training von Rot-Weiss Köln teilzunehmen, hatte sie nach 159 Länderspielen eigentlich mit ihrer internationalen Laufbahn abgeschlossen. "Ich wusste nicht, ob ich noch einmal so einen Aufwand betreiben wollte und hatte auch das Gefühl, eigentlich genug gespielt zu haben", sagt sie.

Dieser Meinung war Berti Rauth offenbar ganz und gar nicht. Noch ehe die Öffentlichkeit erfuhr, dass die Hamburgerin Philippa Suxdorf nach dem zweiten Platz bei der Europameisterschaft 1999 in Köln aufgrund ihrer Schwangerschaft für den Nationalkader im Olympiajahr 2000 ausfallen würde, habe der Bundestrainer bereits bei ihr vorgefühlt. "Ich habe ihm gleich gesagt, dass ich mir wegen Olympia in meinem Job nichts verhauen werde. Mit entscheidend für meine Rückkehr war, dass ich von meinem Chef gleich ein positives Signal bekommen habe, als ich das Thema Ende November in der Firma erstmals angesprochen habe. Und als mich dann auch noch meine Kollegen unterstützt haben, habe ich mir gesagt, dass das doch noch 'mal eine reizvolle Sache sein könnte, Beruf und Sport so zu kombinieren", sagt Dickenscheid. So reizvoll, dass sie bereit ist, trotz ihr zugebilligter Kompromisse in diesem Jahr rund 80 Tage ‒ darunter 30 Urlaubstage ‒ bei der Arbeit zu fehlen, wenn Ende März in Milton Keynes die Qualifikation für Sydney gelingt und sie zu jenen 16 Spielerinnen gehört, die der DHB für das olympische Hockeyturnier melden darf.

Obwohl Berti Rauth intensiv um ihre Rückkehr in den A-Kader geworben hat, aus dem sie sich mit einem Tor bei der 2:3-Niederlage gegen Schottland am 22. August 1998 in Hamburg zurückgezogen hatte, geht Tanja Dickenscheid davon aus, dass sie um ihren Platz im Olympiaaufgebot kämpfen muss. "Ich hatte richtig weiche Knie, als ich im Januar mit zum ersten Lehrgang nach Barcelona geflogen hin. Aber ich hin von den Anderen gut aufgenommen worden und habe dann auch recht bald gesehen, dass ich noch mitspielen kann. Das eine Jahr ohne richtiges Training habe ich aber schon gemerkt", sagt sie, die als eine der athletischsten deutschen Spielerinnen gilt.

An taktische Veränderungen hat sie sich auf ihrer angestammten Position im linken Mittelfeld nicht gewöhnen müssen. "Das ist noch das selbe System", sagt Tanja. Und auch eine andere Rolle hat sie schnell wieder übernommen: Wie so oft seit ihrem ersten A-Länderspiel im Londoner Wembleystadion 1989 ist sie für die Hereingabe der Strafecken verantwortlich. "Obwohl ich das schon so lange mache, macht es mir immer noch Spaß", sagt sie.

Apropos Spaß: Dem anstehenden Turnier in England, wo zehn Teams um fünf Tickets nach Australien streiten, blickt sie nicht zuletzt nach den zwei Niederlagen in den vier Testspielen gegen Spanien nicht gerade euphorisch entgegen. "Es wird wichtig sein, dass wir gut ins Turnier reinkommen'', so Tanja Dickenscheid, wohl wissend, dass mit den USA und Spanien gleich die vermeintlich dicksten Brocken warten. An Sydney mag sie noch gar nicht denken. "Ich finde. da sollte man mit den Erwartungen vorsichtig sein. Gegenüber den Ländern, die fast ständig als Nationalmannschaft zusammen trainieren können, sind wir doch benachteiligt."

Dass sie eine mögliche dritte 'Teilnahme an Olympischen Spielen nach 1992 und 1996 eher nüchtern betrachtet, könnte daran liegen, dass die angenehmen Erinnerungen an die Turniere unter dem Banner mit den fünf Ringen zeitlich weiter zurückliegen als die unangenehmen. "Vor Barcelona hatte ich gar keine Lust, weil ich befürchtet hatte, dass wir nach dem bisschen Vorbereitung nur auf die Mütze kriegen würden. Und dann standen wir plötzlich im Finale, und ich wusste gar nicht, wie mir geschieht", erinnert sich Tanja an das 1:2 gegen Gastgeber Spanien.

Vier Jahre später sei ihre Erwartungshaltung dann ungleich höher gewesen ‒ und entsprechend frustrierend sei es gewesen, als in Atlanta nur der sechste Platz herausgekommen war. So oder so: Nach Sydney soll international definitiv Schluss sein. Beim RRK indes will sie noch ein "paar Jahre weiter machen", wobei es sie aktuell reizt, zu zeigen, "dass wir auch ohne Britta Becker ein gutes Team sind".

Zurück zum Leben ohne Hockey: Da sie zur Zeit fünf medizinische Studienprojekte im gesamten Bundesgebiet betreut und immer wieder Gespräche mit den eingebundenen Ärzten notwendig sind, wird Tanja Dickenscheid auch die ihr wohl bekannte Route nach Köln wohl immer wieder zurücklegen. Obwohl die vielen Baustellen entlang der A3 irgendwann verschwunden sein werden, dürfte Tanja Dickenscheid aber auch in diesem Fall die von ihr inzwischen geschätzten Vorzüge einer Bahnreise in Anspruch nehmen. Die ICE-Strecke, deren Entstehung sie ein Jahr lang aus dein Autofenster begleitet hat, werde sie nach der Fertigstellung auf jeden Fall ausprobieren. 100 Minuten sind zu unterbieten.