RRK-Trainer: Festplatten
voller Hockey
Von Alex Westhoff (aus
"FAZ" vom 18.11.2009)
Bleiern ist die Luft in der engen, braungekachelten
Kabine. Die Fenster lassen sich nicht öffnen in der Sporthalle Dicker
Busch. Eng an eng sitzen die Hockeyspieler des Rüsselsheimer RK auf den
Holzbänken und blicken auf die Leinwand. Stephan Decher hat sich
akribisch vorbereitet auf die stickige Videositzung vor der eigentlichen
Trainingseinheit. Wie immer. "Die Schnittstellen sehen" – "mit einer
guten Blicktäuschung geht auch mal dieser Ball durch die Mitte" – "der
ballentfernte Stürmer muss sich einbringen in dieser Situation": Der
RRK-Trainer baut auf seine umfangreiche, eigenhändig gepflegte Datenbank
aus Hockeyspielen. Jeder Klick sitzt mit seiner schnurlosen Maus, die er
auf einer Unterlage auf seinem Schoß navigiert. Sein Vortrag gerät auch
dann nicht ins Stocken, wenn er parallel die nächste Sequenz aus seinem
Fundus fischt.
"Ich bin hoch motiviert, auf hohem Niveau etwas zu bewegen", sagt Decher,
der im August die in der Halle traditionell starken RRK-Herren
übernommen hat. Decher lebt den Aufwand vor, den er von seinen Spielern
erwartet, die nach einem langen Tag im Job oder an der Universität am
Abend zum Training kommen. Oder es manchmal auch gar nicht schaffen.
"Absagen per SMS", sagt der Coach seinen Jungs sehr deutlich, "sind für
mich keine Absagen." Der 40 Jahre alte Pfälzer strebt, wenn man so will,
nach dem Maximum im Bereich des Möglichen am Untermain. RRK-Kapitän Jan
Petersen sagt, mit Decher sei es eine "ganz andere Welt als vorher". Der
Trainer mit Sinn für jedes Detail ist in der Szene gut bekannt für seine
Hallenhockey-Expertise. In seine Zeit als Co-Trainer des damaligen
Bundestrainers Bernhard Peters fielen in den Jahren 2003 und 2004 ein
Europameister-Titel und Olympia-Bronze auf dem Feld sowie der Sieg bei
der EM und WM in der Halle. "Ich habe extrem von der gemeinsamen Arbeit
mit Peters profitiert. In der Halle haben wir uns gut ergänzt", sagt
Decher. Aus jener Zeit stammt auch sein ausgereiftes
Videoschnittprogramm, das er im Schlaf beherrscht.
Decher hat mehrere Festplatten voll mit Hockeyspielen. Crefelder HTC gegen
Schwarz-Weiß Neuss am 28. Januar 2008? - kein Problem. Mit drei Klicks könnte er
es auf die Leinwand bringen. An diesem Tag geht es aber um die Vorbereitung der
Partie bei der TG Frankenthal, seinem Heimatklub. Mit einer Mannschaft,
bestehend fast nur aus Achtzehnjährigen, führte er den pfälzischen Verein damals
in die Bundesliga. "Wir brauchen Geduld und eine hohe Passsicherheit. Die
Frankenthaler warten nur auf Kontergelegenheiten", gibt Decher Auskunft über ein
gegnerisches Spielsystem, das er selbst bis zum vergangenen Sommer geprägt hat.
Am ersten Spieltag der Hallenrunde erreichten die Rüsselsheimer nur ein 7:7 in
Frankenthal, tags darauf gab es in Nürnberg eine 7:8-Niederlage. Der aktuelle
Europapokalsieger der Landesmeister läuft der Musik in der starken Südstaffel
erst einmal hinterher. Am kommenden Wochenende steht der ambitionierte RRK mit
seinem ehrgeizigen Trainer in den beiden Heimspielen gegen den Münchner SC und
Rot-Weiß München schon unter Druck.
Im besonders von der Taktik geprägten Hallenhockey seien meist Details
entscheidend. Antizipationsfähigkeit, peripheres Sehen und
Handlungsschnelligkeit braucht es für das schnelle Spiel Sechs gegen Sechs.
"Eigenanalyse" nennt Stephan Decher das Videostudium mit der ganzen Mannschaft.
"Da entdecken die Spieler Dinge, die sie mir sonst nicht glauben würden." Und
dies sei auch nötig, um "taktische Möglichkeiten hinzu zu basteln". Denn am
System, mit dem die Rüsselsheimer in den vergangenen zwei Jahren deutscher
Hallenmeister, Meisterschaftszweiter und Europapokalsieger wurden, will er
grundsätzlich nichts ändern. Obwohl ihm das Lehren von neuem Stoff doch im Blut
zu liegen scheint. Vormittags als Grundschullehrer, am Abend und am Wochenende
als Hockeylehrer.