CANBERRA. Ein dunkles Loch in
Canberra. Silke Müller starrt in einen Bildschirm und hämmert auf die Tastatur.
Der stickige Raum nennt sich Internet-Café, und die Mittelfeldspielerin des
deutschen Hockey-Nationalteams schreibt ein paar E-Mails.
Neben ihr surft Spielführerin Marion
Rodewald (RW Köln) eine Weile im Internet. Dann stürzen beide aus dem muffigen
Etablissement, das sie nur aufsuchen, weil es so nah am Mannschaftshotel liegt,
und japsen nach frischer Luft. Wenige Minuten später, in einer Grünanlage der
australischen Hauptstadt. Jetzt spielen Mandy Haase (Rüsselsheimer RK) und
Rodewald Filmstars, Müller guckt durch den Sucher einer Digitalkamera und
interviewt ihre Kolleginnen zum Thema: "Habt Ihr die Sehenswürdigkeiten
Canberras schon besucht?" Rodewald antwortet: "Ja, alle beide..."
Ob diese Ausschnitte in Silke Müllers
Kurzfilm Aufnahme finden werden, ist eher unwahrscheinlich. Denn die 27-Jährige,
die im September vom Rüsselsheimer RK zum SV Kampong Utrecht in die Niederlande
gewechselt ist, sammelt während der Champions Trophy Material für einen
ernsthaften Bericht für den Radio- und Fernsehsender RTV Utrecht. Das Ganze ist
eine Übung im Rahmen eines Praktikums in ihrer neuen sportlichen Heimat. Und den
Humor hat sie trotz des Katastrophen-Starts des deutschen Teams nicht verloren.
Aber wenn sie darüber spricht,
vergeht ihr das Lachen. "Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass es so krass
werden würde", sagt Müller mit Blick auf die gerade noch so vertretbaren
Niederlagen gegen Australien (0:2) und Argentinien (1:3) sowie die dazwischen
liegende 1:8-Demontage gegen die Niederlande. "Da", gibt sie ehrlich zu, "habe
ich mich geschämt." Ausgerechnet die Niederlande, wo sich die gelernte
Hotelfachfrau, die jetzt vom Hockey leben kann, nach einer längeren
Eingewöhnungsphase ausgesprochen wohl fühlt. "Sie sehen vieles ein bisschen
lockerer", sagt sie, "die deutsche Genauigkeit ist nicht so ausgeprägt."
Aber es gibt auch einige Dinge, die
sie vermisst, jedoch nur teilweise landesspezifisch sind. Punkt eins: "Das
Essen! Ich kann mir ja eigentlich alles selber kochen. Nein, es gibt keine
tollen Spezialitäten dort..." Punkt zwei: "Meine Badewanne! Es ist ganz schlimm,
wenn man jahrelang eine hatte und plötzlich nicht mehr." Punkt drei: "Die Mädels
aus Rüsselsheim! Natürlich denkt man dran. Es war ein schwieriger
Abnabelungsprozess." Noch denkt Silke Müller nicht über das Jahr hinaus, für das
sie in den Niederlanden unterschrieben hat. "Ich habe gesagt, ich ziehe das für
eine Saison durch", so die Olympiasiegerin, "und wenn es mir so gut gefällt,
dass ich bleiben will... Man weiß nie, was passiert. Deshalb mache ich keine
Versprechungen, dass ich schon nach der einen Saison nach Rüsselsheim
zurückkomme."
Mit der Berlinerin Lina Beier teilt
sie in Utrecht eine Wohnung, spielt mit ihr beim SV Kampong und besucht mit ihr
einen Sprachkurs. "Ich spreche zwar schon ganz gut und kann mich gut
verständigen", erzählt Müller, "aber ich bin noch nicht so weit, dass ich die
Kommentare für den Fernsehbericht sprechen könnte." Nicht nur die Sprache ist
anders, auch die Wahrnehmung des Hockeys. "Das ist eine andere Dimension, alles
ist größer", schwärmt die ehemalige Rüsselsheimerin. "Viel mehr Menschen spielen
Hockey. Wenn man durch die Stadt geht, ist es normal, dass man Menschen mit
Hockeyschlägern sieht. Kampong ist der größte Verein, hat 33 Herren- und 33
Damenteams. Die Popularität ist immens, das kann man sich nicht vorstellen."
Auch die Art des Spiels unterscheidet
sich von der deutschen. "Alles ist schneller, sogar das Einlaufen. Das Spiel ist
viel schneller und härter", erzählt Müller, "es wird mit viel mehr Körpereinsatz
gespielt - und ich habe es schon angenommen. Es ist vielleicht nicht das
schönste Hockey, aber erfolgreich." Doch nicht alles ist jenseits der Grenze
besser. "Von der Technik her ist Deutschland schon noch voraus, vermutlich wegen
des Hallenhockeys", meint sie, "da könnten die Holländer noch viel von uns
lernen. Die sind immer ganz erstaunt, dass der Ball, wenn wir ihn führen, am
Schläger klebt. Aber wir lernen das in Deutschland, das ist ganz normal." Das
machte das Debakel gegen die Niederlande umso unverständlicher...