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RRK (2022)
Roland von zur Mühlen |
Roland von zur
Mühlen
"Mit schweren
Schritten aufs Schafott"
Geschichte und
Geschichten rund um den Galgen
Rezension von Prof. Dr. jur. Heinz
Christian Hafke (aus "Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften" vom Juni
2022)
Schafott und Galgen
(als pars pro toto genannt, denn auch Schwert, Guillotine, Giftspritze und
Erschießungskommandos vervollständigen längst nicht alle bekannten
Todeswerkzeuge): Sie alle schrecken und lassen die Öffentlichkeit schaudern.
Zugleich geht von allen eine schauerliche Faszination aus. In seinem Werk
verbindet der Autor gekonnt die Darstellung von Rationalem und Irrationalem
dieses Bereichs. Es geht dabei um das staatlich angeordnete Ende für
menschliches Leben: das Leben derer, die nach Gesetz und Recht ‒ auch Willkür ‒
durch ihr Handeln sich so sehr außerhalb der Gesellschaft gestellt haben sollen,
dass sie darin nach den jeweils herrschenden Regeln keinen Platz mehr finden
dürfen ‒ zur Abschreckung, Vergeltung ‒ und zur Wahrung des Friedens.
Faktum, Ahndung und
ihre finale Umsetzung sind so alt wie jede menschliche Gruppierung. Und wie
diese selbst, haben sich auch vielfältige Formen der Vollstreckung von
Todesurteilen entwickelt. Auch hierfür gab und gibt es Brauchtum, Regeln ‒ bis
hin zu förmlichen Ritualen, wie sie im Sachsenspiegel, in der Carolina oder im
Allgemeinen Preußischen Landrecht überliefert sind. In ihnen allen spiegelt sich
der Wandel von Recht, Kultur und Religion über Jahrtausende hinweg. Von zur
Mühlen hat zur Nachverfolgung dessen und zum Bedenken der aktuellen Situation in
Staaten, welche die Todesstrafe immer noch anwenden, ein lesenswertes, packendes
Kompendium erstellt. Dessen Lektüre fasziniert den interessierten Leser, sowohl
den, der nicht "vom Fach" ist (etwa den Kriminologen oder Rechtshistoriker)
ebenso wie den Sachverständigen. Weiterführende Hinweise für beide Zielgruppen
liefert ein breit aufgestellter Anhang mit Literatur und Anmerkungen,
Abbildungsnachweisen und Personenregister.
Eine breite
Leserschaft erreicht der Autor mit seiner eingängigen Sprache, der
anspruchsvollen Aufmachung des Buches samt seiner reichhaltigen Illustration z.
T. aus fast unzugänglichen Archiven ‒ aber auch mit einem klar gegliederten
Inhalt in vier Teilen. Der letzte ("Die Würde des Menschen ist antastbar")
bietet Anlass zum Nachdenken über das Grundrechtspostulat "Die Würde des Menschen
ist unantastbar" (Art. 1 GG), insbesondere über die Berechtigung der Todesstrafe
und die Arten ihrer Vollstreckung bis in die jetzige Zeit.
Eine
Fülle der Schilderung von vielfachen Einzelschicksalen über die Jahrhunderte
hinweg ("Zweiter Teil: Wem die Stunde schlägt") untermauert die Ausführungen.
Dieser Teil bildet ein Kernstück der Arbeit des Autors, weil in solcher Dichte
und Prägnanz vielfach unbekannt. Es geht dabei um die Galgenfrist, die ihren
Anfang mit der Verkündung des Urteilsspruchs nimmt. Sie endet, und das ist der
Mittelpunkt jeder Darstellung, mit dem spannenden letzten Tag des Verurteilten.
Der Leser findet hier etwa die Urteile und Todeswege von König Ludwig XVI und
Königin Marie-Antoinette. Auch das Schicksal des Grafen Struensee, der Gedanken
der Aufklärung in Staatsführung und Gesellschaft hatte einbringen wollen und als
Leibarzt und Vertrauter des dänischen Königs Christian VII auf der Richtstätte
endete, wird aufgegriffen (hierzu der verfilmte Historienroman von Lars Olof
Enquist, "Der Besuch des Leibarztes").
Königlichen Bezug
hat auch das Ende der russischen "Lady Mary Hamilton" (Maria Danilovna Gamontova)
am Zarenhof unter Peter dem Gr.: Dieser führte seine vormalige Mätresse nach
einem Todesurteil wegen Kindestötung am Arm zum Schafott, hob dann den
abgeschlagenen Kopf an den blonden Haaren auf und küsste ihn auf Wangen und Mund;
sodann übergab er ihn einem Hofbeamten zur Einlieferung in die Sammlung der
Anatomie. Auch mit baltischem Bezug wartet der Autor auf, nämlich mit dem Ende
des Diplomaten Johann Reinhold von Patkul als Verteidiger der Landesrechte
Livlands; er geriet schließlich in schwedische Hände und wurde auf Befehl von
König Karl XII als Landesverräter gerädert und gevierteilt. Einem ganz anderen
casus begegnen wir in der Person des Johann Uexküll von Riesenberg als Landrat
und Herr auf den Gütern Riesenberg und Tolks. Er hatte einen nach Reval
geflohenen Bauern wegen behaupteter verschiedener Vergehen dort ergreifen und
später grausam zu Tode foltern lassen. Der Rat der Stadt sperrte ihm das Geleit.
Dennoch betritt er in stolzer Verachtung der Bürger und ihrer Privilegien und im
Vertrauen auf seine Adelsvorrechte städtisches Territorium. Das musste er mit
dem Leben bezahlen. Die Familie erklärte der Stadt die Urfehde. Die Gefahr
gewaltsamer Weiterungen aus dieser Kollision unvereinbarer Rechte wurde viele
Jahre später durch eine gütliche ‒ geldwerte ‒ Einigung zwischen den Parteien
gebannt. Der Autor arbeitet treffend heraus, dass hier ein bemerkenswerter
Kollisionsfall zweier Rechtsordnungen vorlag. Der Rechtshoheit der Stadt Reval
über ihr Territorium stand das Standesrecht der Ritterschaft hinsichtlich ihrer
Standesgenossen gegenüber.
Kurzum: Man mag das
Buch am liebsten in einem Zug lesen und die Abbildungen betrachten. Das aber
schafft kein noch so eifriger Leser ‒ und so liest sich "der von zur Mühlen"
auch gefällig Seite für Seite oder Kapitel für Kapitel ‒ in jedem Falle aber mit
großem Gewinn.
Georg Olms-Verlag,
Hildesheim-Zürich-New York, 2022, 468 S.,195 Abb., f 48.
Der Rezensent Prof.
Dr. jur. Heinz Christian Hafke ist Rechtsanwalt in Frankfurt und Honorarprofessor
mit der Lehrbefugnis für internationales Bank-, Währungs- und Finanzrecht. Er
wurde von Prof. Dr. Adalbert Erler am Institut für deutsche Rechtsgeschichte in
Frankfurt promoviert. |