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Über Mitglieder des
RRK (1980)
Rolf Bopp |
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Rüsselsheimer, von denen man
sprach:
Ein Kapitel deutscher Sportgeschichte nach
dem Kriege
Zweiter Platz bei der Henley-Regatta - Rolf Bopp,
Steuermann im Opel-Achter der RG Flörsheim-Rüsselsheim
Von Bernd Amesreiter (aus
"Rüsselsheimer Echo" vom 02.08.1980)
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Wer in diesem Frühsommer am Main
entlang spazierte und während der Jugendregatta dem lebhaften Treiben auf dem
Strom zuschaute, dem hat dieser Anblick ‒ so er sich einen "alten Rüsselsheimer"
nennen darf ‒ sicherlich längst vergessene Bilder in die Erinnerung
zurückgerufen: Bilder aus einer Zeit, als der Main noch sauberes Wasser führte
und sich zahllose Boote auf den Fluten tummelten. Man schrieb das Jahr 1947.
Die Ruderer, die da wuchtig und doch
elegant ihre Bahnen zogen, kamen aus Rüsselsheim und Flörsheim. Sie saßen
vereint im Zweier, Vierer oder Achter. Heute füllen ihre Namen nicht nur viele
Seiten lokale Sportgeschichte. Sie gehörten in den folgenden Jahren zu den
Besten der Welt. Rolf Bopp war einer von ihnen, "des Boppche", wie ihn seine
Freunde wegen seines schmächtigen Wuchses nannten, der kleinste sicherlich, aber
nicht der unwichtigste. Rolf Bopps Erinnerungen führen uns mehr als 30 Jahre
zurück in das unmittelbare Nachkriegsdeutschland, als unser Volk begann, sich
aus seinen Trümmern zu befreien: Rolf Bopp: "Der Zusammenbruch hatte den Sport
hart getroffen, auch den Rudersport. Viele Bootshäuser waren zerstört, das
Material verbrannt. In Rüsselsheim stand zwar das Vereinshaus des RRK noch, doch
hatten es die Besetzer zu einem amerikanischen Offizierskasino erklärt. Auch so
konnte man obdachlos werden." Dennoch begann sich der Rudersport neu zu
formieren. Für die Rüsselsheimer und ihre Kameraden aus Flörsheim war es ein
mühsamer Anfang, aber es folgten glanzvolle Jahre.
Rolf Bopp beobachtete diesen
Neuanfang vom Ufer aus. Auf dem Main regte sich plötzlich wieder Leben. Immer
häufiger zogen schlanke Holzboote unter kraftvollen Schlägen stromabwärts,
hallten die Kommandorufe herüber. Von Flörsheim aus starten sie, nach Flörsheim
kehrten sie spät abends zurück. Man sprach wieder von den heimischen Ruderern.
Man hörte, Fritz Brumme habe das Training der Athleten übernommen, ihm zur Seite
stünde Georg von Opel, ein profilierter Ruderer, der nicht nur in der
Verbandsspitze tätig war, aus dessen "Hobby-Werft" auch die ersten Rennboote
"vom Stapel" liefen.
Erste Sporen
Rolf Bopp, damals gerade
17 Jahre alt und im dritten Gesellenjahr als Schreiner bei Opel beschäftigt, zog
das Schwimmen dem Rudern vor. Wann immer es ihm möglich war, ging er im Main
baden - heute, klingt das fast wie ein Märchen.
Doch eines Tages, Rolf
Bopp stand nahe am Ufer und sah den vorbeiziehenden Ruderbooten nach, drehte
eine Besatzung bei und rief dem Zuschauer Bopp etwas zu. So richtig wollte Rolf
Bopp es in diesem Augenblick gar nicht glauben. Er, 52 Kilo schwer und nur 1,62
Zentimeter groß, sollte zwischen diesen Riesen mitrudern? Aber das war kein
Scherz. Schon vor einiger Zeit hatten die Recken aus ihrem Boot heraus das
"leichte Hemdchen" für ihre Mannschaft entdeckt. Nur ‒ als Schlagmann war er
nicht vorgesehen. Nein, "das Boppche" sollte hinten, vor dem Kasten als
Steuermann Platz nehmen. Rolf Bopp griff zu. Er schloss sich den Ruderern an und
"verdiente" sich in den kommenden Monaten als Jungmann in den
Leichtgewichtsklassen seine "Sporen". Seinen ersten Sieg erringt er zwei Jahre
später, 1949, im Leichtgewichts-Vierer, traditionsgemäß geht er unfreiwillig
über Bord.
Ein Jahr später schon
sitzt Rolf Bopp als Steuermann im Seniorenachter, dem legendären "Opel-Achter",
der bis 1950 bereits drei deutsche Meistertitel an den Main geholt hatte. Rolf
Bopp saß nun im "Königlichen" unter den Ruderbooten, zusammen mit den großen
Namen Karl Bauer, Georg Schneider, Adam Munk, Erich Kohl oder René Kuhn, Georg
von Opel, Georg Boller, Helmut Schwinn und Wilfried Seipp. Er war jetzt einer
von ihnen, ein Meisterschaftskandidat, denn nach drei deutschen Meisterschaften
war auch 1950 der Opel-Achter der Rudergemeinschaft Flörsheim-Rüsselsheim der
große Favorit.
Im
Finale des "Thames Challenge Cup" in Henley 1951
muss sich Steuermann Rolf Bopp mit "seinem Achter" der RG
Flörsheim-Rüsselsheim (Wilfried Seipp, Adam Munk, Georg Schneider, Helmut Schwinn, René Kuhn,
Georg Boller, Georg von Opel, Karl Bauer und Stm. Rolf Bopp)
gegen den Achter der University of Pennsylvania geschlagen
geben |
Hoffnung auf Olympia
Aber 1950 wurde für den
Achter kein Meisterjahr. Rolf Bopp: "Zwölf Regatten hatten wir gewonnen, bei dem
dreizehnten Meisterschaftslauf, ging der große Konkurrent, der Achter des Kölner
RV 77, vor uns durch das Ziel." Es war eine Sensation für die Fachwelt und eine
Niederlage für die sieggewohnten Ruderer vom Main, die sie jedoch sehr schnell
wieder vergessen sollten. Nirgends liegt Freud und Leid, Sieg und Niederlage so
nahe beieinander wie im Sport. 1951, ein Jahr nach der Schlappe von Hannover,
sollte der Opel-Achter nämlich die größten Triumphe seiner Geschichte feiern.
Der Achter der RG
Flörsheim-Rüsselsheim schien 1951 tatsächlich unschlagbar. Und das war kein
Zufall. Rolf Bopp: "Wir saßen jeden Abend zwei Stunden in den Booten, vor großen
Rennen nahmen wir uns Sonderurlaub und gingen ins Trainingslager. Die
Kameradschaft war großartig. Vor allem aber waren wir technisch und stilistisch
der Konkurrenz weit voraus. Wir gewannen wieder alle wichtigen Vergleiche." Die
Experten waren sich einig: Sollte diesem Opel-Achter bei den deutschen
Meisterschaften 1951 die Revanche gegen Köln gelingen, woran übrigens niemand so
recht zweifeln wollte, dann würden diese sympathischen Jungs aus den beiden
"Dörfern" am Main die Olympiahoffnung einer ganzen Nation tragen.
Traditionelle
Pfingstregatta
An der Opelbrücke
selbst kannte damals die Begeisterung kaum noch Grenzen. Etwa 200 Schaulustige
säumten regelmäßig die Ufer des Mains, wenn die Boote der Rudergemeinschaft zum
Training ins Wasser gelassen wurden. Es hatte Volksfestcharakter, was sich da
während der traditionellen Pfingstregatta zwischen Rüsselsheim und Flörsheim
abspielte. Georg von Opel, Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft und
Kopf des Achters, wegen seiner oft progressiven Ideen von den einen
geliebt und von Traditionsbewussten gehasst, verpflichtete Skispringer als
Wasserskispringer, organisierte Motorbootrennen, brachte attraktive in- und
ausländische Konkurrenz an den Start und ließ sie über die "revolutionär" kurze
Distanz von 400 Meter rudern.
Tausende kamen damals an
den Untermain; es war ein Treiben wie in den Ruderhochburgen Duisburg, Köln und
Hannover, deren Boote es bei der 38. Deutschen Meisterschaft zu schlagen
galt. Die schnurgerade Meisterschaftsstrecke des Mainzer Floßhafens lag am 12.
August 1951 unter starkem Südwestwind, der besonders den Booten der Außenbahn
zugute kam. 10.000 Menschen säumten die flaggengeschmückten Ufer. Der Achter der RG Flörsheim-Rüsselsheim trat am frühen Abend im Endlauf gegen drei
Mitkonkurrenten an. Der Rivale und amtierende deutsche Meister aus Köln startete
auf der begünstigten Außenbahn. Ihr Trainer vor dem Rennen: "Wir sind in
Höchstform."
Viele Neider
Vom Start weg zog der Opel-Achter
kraftvoll davon, lag bei 800 Meter eine halbe Bootslänge vor Köln 77 und setzte
noch einmal bei 1.700 Metern zu einem imponierenden Endspurt an. Der Angriff der
Kölner wurde abgeschlagen, im Ziel lagen sich vier Flörsheimer und fünf
Rüsselsheimer Ruderer erschöpft in den Armen. Sie hatten die Krone des
Rudersports, den Meistertitel im Achter, zurückerkämpft.
Doch während Sieger und Besiegte
gefeiert wurden, holten die Neider der erfolgreichen Rudergemeinschaft zum
Schlage aus. Den Sieg, den sich heimische Athleten so imponierend errudert
hatten, sollte ihnen am grünen Tisch wieder aberkannt werden. Und nicht nur ihn
sollten sie verlieren: Die Entscheidung des Deutschen Ruderverbandes platzte aus
heiterem Himmel in die Öffentlichkeit. Eine Rudergemeinschaft, so argumentierten
die Funktionäre, sei einer Renngemeinschaft gleichzustellen, Titel aber konnten
nur Vereine gewinnen. Der RG Flörsheim-Rüsselsheim, von einer Renngemeinschaft
1949 in eine Rudergemeinschaft umbenannt, sollten alle seit 1947 errungenen
Meistertitel aberkannt werden. Aber Georg von Opel nahm den Herren des Verbandes
den Wind aus den Segeln: Er beantragte postwendend die Aufnahme der
Rudergemeinschaft Flörsheim-Rüsselsheim als Verein in den Deutschen
Ruderverband. Die Gegner gaben auf und überließen dem Meister das begehrte
Silberblatt ‒ welch eine Geste, wenn man bedenkt, dass schon bald Ruderhochburgen
Renngemeinschaften in die Wettkämpfe schickten.
"Wonderful German Crew"
Empfang für die Deutschen Meister 1951
im Achter und Doppelzweier auf dem Rüsselsheimer Marktplatz: René Kuhn,
Georg Boller, Willi Neuburger, Georg von Opel, Rolf Bopp, Karl Bauer, Georg
Schneider |
Die 38. Deutsche
Meisterschaft in Mainz hatte es bestätigt: Der Opel-Achter war die große
Hoffnung der deutschen Rudernation. Aber über den sportlichen Wettkampf hinaus
sollte die Renngemeinschaft vom Main Brücken der Freundschaft zu anderen Ländern
schlagen. Immer häufiger wurden die heimischen Ruderer zu internationalen
Wettkämpfen eingeladen, immer häufiger maß man die Leistungsfähigkeit des
deutschen Rudersports am Abschneiden der Ruderer aus Flörsheim und Rüsselsheim.
Dreimal war der Opel-Achter gar die Crew Germany, ein Deutschland-Achter.
Unvergessen war für die
neun Sportler der Start vor dem ruderkundigsten Publikum der Welt in Henley/England.
Zum ersten Mal nach dem Kriege starteten deutsche Sportler in England, es waren
die Ruderer des Opel-Achters. Für sie ging eine ewige Ruder-Sehnsucht in
Erfüllung: Einmal dabei zu sein bei der "Königlichen Regatta", sich messen zu
dürfen mit den besten Rudermannschaften der Welt. Die Royal Henley-Regatta galt
als inoffizielle Weltmeisterschaft, der Opel-Achter wurde hinter Pennsylvania
Zweiter, "a very good race, a wonderful german crew", schwärmten die Engländer.
Es war nicht
verwunderlich, dass schon bald auch ausländische Boote bei heimischen Regatten an
den Start gingen. Der Sportverkehr begann sich zu normalisieren, rechtzeitig vor
dem Olympischen Spielen 1952 in Helsinki. Dort sollten erstmals nach dem Kriege
auch wieder deutsche Sportler an den Start gehen dürfen. Im Lager des
Opel-Achters begann man zu hoffen. Sie hatten alle sportlichen Voraussetzungen,
waren physisch und psychisch hervorragend eingestellt, und sie waren Deutscher
Meister. Doch der Verband entschied einmal mehr anders. Nicht der Titel, sondern
ein Vergleich, eine Olympiaqualifikation, sollte den Deutschland-Achter
bestimmen. Die Crew des Opel-Achters ging ihren sportlichen Weg unbeirrt weiter.
Wo immer sie an den Start ging, holte sie Pokale und Trophäen. Nie ging ein
anderes Boot vor ihr über die Ziellinie. Und doch kam im entscheidenden Rennen
alles anders. Nicht der Opel-Achter gewann, sondern der ewige Rivale, der Kölner
RV 77.
"Wir haben die
Niederlage ertragen"; erinnerte sich Rolf Bopp, doch der steile Weg eines
sieggewohnten und gefürchteten Bootes war zu Ende, und mit ihm die "Ruderehe"
der beiden Städte am Main. Bald gingen beide Vereine, der Flörsheimer RV und der
Rüsselsheimer RK, ihre eigenen Wege. Noch einmal starteten Achterboote beider
Klubs 1953 bei einer Deutschen Meisterschaft. Der Achter aus Flörsheim belegte
wie der Opel-Achter den dritten Platz
im Vorlauf, Flörsheim trat zum Zwischenlauf nicht mehr an, der Opel-Achter aus Rüsselsheim fuhr
im Zwischenlauf auf den dritten Platz, im Endlauf war damit keiner der beiden
Achter mehr vertreten.
Beide Rudervereine
verschwanden in der Mittelmäßigkeit. Eine Ära war zu Ende, die Ära eines
Ratzeburg-Achters begann. Rolf Bopp blieb dem Rudersport bis 1957 treu, dann
widmete er sich ganz seinen Hobbys und seinem Privatleben, er wurde "Steuermann"
einer dreiköpfigen Familie. Heute sitzt der mittlerweile 50 Jahre alt gewordene
Rolf Bopp auf der Terrasse seines Hauses am Waldweg und erzählt von seinen 101
Siegen, von den Augenblicken, wenn die Niederlage den Favoriten aus den Höhen
meisterlicher Hoffnungen in die Tiefen des Unterlegenen reißt. "Vielleicht
lächelt man heute über unsere Zeiten", meint er, "aber die Boote sind schneller,
die Trainingsmethoden moderner geworden."
Dennoch, Rolf Bopp und seine
Kameraden im Achter, Vierer, Zweier oder im Einer haben von 1947 bis 1952 ein
wichtiges Kapitel deutscher Sportgeschichte mitgeschrieben, und nicht nur das:
Die erste Renngemeinschaft wurde zwischen Flörsheim und Rüsselsheim gebildet,
zum ersten Mal lag in einem heimischen Zweier der Steuermann vor dem Kasten, das
Intervalltraining wurde auf dem Main zum ersten Mal praktiziert. Viele
"revolutionäre Ideen" der Veteranen von Skull und Riemen sind in den modernen
Rudersport eingeflossen; ob auch die sportsmännische Einstellung von damals
übernommen wurde, bleibt unbeantwortet ...
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