Von Charlotte
Martin (aus "https://www.main-spitze.de" vom 24. April 2024)
Heike Eberts-Schad
legt mit kräftigem Strich letzte Hand an Aphrodite, die Göttin der Schönheit.
Derweilen ist Renate Sajnovits dabei, die Fensterfront des Herrenhauses der
Opelvillen zu zeichnen, vor der Aphrodite ihren Platz hat: Architektur und
Mythologie gehen auf dem gemeinsamen Bild eine geheimnisvolle Verbindung ein.
Im Atelier Freiraum
"f3" herrscht konzentrierte Stille, während die Künstlerinnen an der großen
Zeichnung arbeiten. Noch bis zum 30. April nutzen Eberts-Schad und Sajnovits den
Atelierraum mit der hohen Fensterfront, in dem Kunstinteressierte zu Gesprächen
willkommen sind. Die dritte Künstlerin im Bund ist die Kalligrafin Ruth Schmid.
Sie ist mit der formschönen Abschrift des Märchens "Die Teekanne" von Hans
Christian Andersen beschäftigt. Bisweilen tritt sie vom Bild zurück, prüft die
Wirkung der Schrift, die auf dem großformatigen Blatt vom azurblauen Farbdruck
einer bauchigen Teekanne flankiert wird. Ein rasant hingeworfener,
wellenförmiger Pinselstrich schlägt einen Bogen, der an die gesammelte,
reduzierte Ausdrucksform der Zen-Malerei erinnert: Alles fließt und bildet einen
Kreis – das Wasser des Lebens wie auch das Wasser des aromatischen Tees in der
Kanne. Die Kalligrafin Ruth Schmid hat Humor und schätzt ihn als Kraftquelle:
"Vieles im Leben schmerzt und doch ist das Leben ja wunderbar. Weinen und Lachen
liegen nah beieinander."
Der Prozess der
Kalligrafie wie auch das minutiöse Zeichnen der beiden anderen hat etwas
Meditatives. Bisweilen aber entspinnt sich spontan lebhafter, kreativer
Austausch. Der Arbeitstitel, den das Trio seiner Residenz im "f 3" gegeben hat,
stammt von Kurt Tucholsky: "Dies ist, glaube ich, die Fundamentalregel allen
Seins: Das Leben ist gar nicht so – es ist ganz anders", heißt es da. Der
Spruch, der zu neuen Blickwinkeln ermutigt, passt zu den fantasievollen
Perspektiven, Zusammenhängen und Metamorphosen, die die Künstlerinnen schaffen.
Ruth Schmid spricht etwa die Hymne von Leonard Cohen an, in der es heißt, dass
es einen Riss in allem gebe – "There is a crack in everything" – doch durch eben
diesen Riss dringe das Licht zu uns. "Auch das Märchen von der Teekanne erzählt
ja von Zerbrechlichkeit: Die Kanne fällt zu Boden, die Tülle bricht ab, der
Henkel bricht ab und erst in ihrer Unvollkommenheit wird die Kanne zum Gefäß der
Schönheit allen Lebens", erklärt Schmid. Eine Blumenzwiebel, die in der Kanne
Blüten treibt, verleiht ihr am Ende ein lebendiges Herz. Konzentriert malt Ruth
Schmid mit Spitz- und Breitfeder sorgsam Wort um Wort.
Alles verändert
sich auf spannende Weise, wo währenddessen Renate Sajonovits und Heike
Eberts-Schad zeichnerisch das, was uns architektonisch umgibt, mit Göttermythen
der Antike verbinden: Die Zeit ist der Fluss, der alles eint. So realistisch
ihre Zeichnungen ausgeführt sind, so wird doch durch die Göttergestalten etwas
Traum- und Märchenhaftes daraus. Fantasie weitet den Blick und schafft auf
inspirierende Weise Neues: "Das Leben ist gar nicht so – es ist ganz anders."
Renate Sajnovits, die auch Vorsitzende der Künstlervereinigung "Malkasten" ist,
ist ebenso wie Heike Eberts-Schad studierte Architektin. Das die beiden ihr
Handwerk verstehen, sieht der Betrachter auf den ersten Blick. Gemeinsam
verbinden sie in ihren drei großformatigen, eindrucksvollen
Schwarz-Weiß-Zeichnungen ausgewählte Gebäude der Rüsselsheimer
Architekturgeschichte mit Mythen der griechischen Götterwelt: Vorm "Schloss am
Main", den Opelvillen, die perspektivisch brillant gezeichnet sind, bekommt
Aphrodite, die Göttin der Schönheit, einen Ehrenplatz. Vor der Haupttreppe zum
Rathaus haben die beiden Künstlerinnen Zeus und seine Gattin Hera in leger
plaudernder Pose platziert und Renate Sajnovits sagt schmunzelnd: "An dem
olympischen Gott und seiner Gattin kommt auf unserem Bild so leicht keiner
vorbei." An der dritten großformatigen Zeichnung bleibt bis zum kommenden
Wochenende im "f 3" noch viel zu tun: "Wir zeichnen die Rüsselsheimer Festung
detailgenau nach und Athene, die Göttin des Kampfes, soll hier ihren Platz
bekommen", sagt Heike Eberts-Schad.