Aus "Frankfurter
Rundschau" vom 18.02.2010
Denken darf man.
Alles muss gedacht werden können. Denkt der Rüsselsheimer Künstler Michael Emig
und legt ein Konzept für eine Kulturfabrik im Opel-Altwerk als Alternative zu
den bestehenden Plänen für ein Opel-Forum vor. Seine Ideen wirbeln die Pläne der
Investoren, die das Gelände 2007 gekauft haben, gründlich durcheinander. Aus dem
Einkaufszentrum als tragende Säule des Opel-Forums wird nichts, so eine seiner
Grundannahmen. Zumindest kommt es auf den 23 Seiten seines Konzepts nicht vor.
Die "Kulturfabrik
Rüsselsheim" sieht er in dem vorderen neoklassizistischen Backsteingebäude links
des Hauptportals mit der bereits kulturerprobten Werkhalle A1 im Erdgeschoss.
Dort, wo eigentlich 20.000 Kunden pro Tag einkaufen sollen in den Shops der
"Ankermieter" aus den Branchen Mode und Elektronik und in den Geschäften derer,
die sich gerne um die großen Namen herum ansiedeln.
Das Thema
Automobil, die Oldtimermuseen, bleiben in Emigs Konzept. Auch den Wunsch, dass
sich die Hochschule Rhein-Main dort ansiedelt und die Route der Industriekultur
Rhein-Main sich dort ein Zentrum schafft, teilt er. Dazu gesellen sich die
Jazz-Fabrik, das Rüsselsheimer Kulturzentrum "Rind", Künstlerateliers und
Proberäume, eine Theaterfabrik, Kabarett- und Kleinkunstbühnen, die
Künstlervereinigung Malkasten und die Reihe "Illust_ratio" ‒ eben alles, was
Rüsselsheim in Sachen Kunst und Kultur zu bieten hat. Auch Volkshochschule und
Stadtbücherei könnten dann im Herzen der Stadt unterkommen ‒ ähnlich wie es die
Liste Rüssel, allerdings mit dem ehemaligen Karstadt-Gebäude als neuem Domizil,
immer wieder fordert.
Hessenmeisterschaft für die Jugend des
Rüsselsheimer Ruder-Klubs im Feldhockey 1964 (hinten: Lothar Hartmann, Uwe
Seibert, Michael Heuß, Herbert Schäfer, Dieter Dick, Michael Emig; vorn:
Martin Müller, Wolfgang Knoll, Peter Kowalski, Torwart Karl-Heinz Nuffer,
Manfred Liebig) |
Die Kulturfabrik
wird zentraler Spielort der "Kultur im Sommer" und auch der Wochenmarkt zieht
dorthin um. Freilich kann sich Michael Emig auch Geschäfte vorstellen, aber
nicht die, "die man überall und immer mehr, immer mehr" findet. Zu Rüsselsheim
würde zum Beispiel ein Laden mit Produkten der Seidenstraße passen, wegen der
multinationalen Bevölkerung, findet er. Oder mit Kunstgütern aus aller Welt.
Dazu könnte man Gewerbe aus der Kulturbranche ansiedeln,
Veranstaltungstechniker, Bühnenbauer, die oft nur Lagerfläche brauchen und mit
einfachsten Voraussetzungen zufrieden sind.
Emig stellt sich
ein Zusammenwirken von Investor, Stadt, Gewerbe und Opel, von Profis, Semiprofis
und Amateuren vor. Der Investor, so schlägt er vor, baut eine
Multifunktionshalle mit großen und kleinen Spielflächen und Bühnen für Sport und
Theater. Die könnte dann auch die Funktion von Walter-Köbel-Halle und
Stadttheater übernehmen. "Die Stadt sucht Wege einer wesentlichen inhaltlichen
Mitbestimmung zur langfristigen Nutzung des Geländes", heißt es im Punkt fünf
der "dreizehn Voraussetzungen". Die Kulturfabrik könne bewirken, "dass
politische Entscheidungsträger der Stadt als Pioniere handeln", meint Emig, wohl
wissend, dass beim Wort Kultur alle jene, die sich Realisten nennen, die Hände
über dem Kopf zusammenschlagen.
Die Finanzierung
könnte sich Michael Emig so vorstellen: Die Stadt lässt einen Großteil des
Geldes, das sie bisher in Stadtentwicklung und in die Kulturbetriebe steckt, in
die Kulturfabrik fließen. Wenn etwa Volkshochschule und "Rind" in die
Kulturfabrik umziehen, entfallen die Raummieten der bisherigen Standorte. Gelder
für Stadtmarketing und Imagekampagnen werden in die Kulturfabrik investiert, "da
diese schon bald durch Pilotprojekte einen lebendigen Imagegewinn erzeugt."
Neben den Kapiteln
"das Geld eins" und "das Geld zwei" für die kurz- und mittelfristige
Finanzierung gibt es im Kulturfabrik-Konzept noch das Kapitel "das Geld drei ‒
gewagte Finanzierung". Als Vorschlag, wie Geld in die Kassen kommen könnte,
steht dort: Die Stadt verkauft das GPR-Klinikum und die Seniorenresidenz Haus am
Ostpark an einen privatwirtschaftlichen Betreiber.
Und wenn dieser
privatwirtschaftliche Betreiber dann mehr Fläche braucht für die Erweiterung des
Klinikums, dann könnte er den frei werdenden Campus der Hochschule am Brückweg
kaufen. Anmerkung: "Es muss alles gedacht werden können."
Der Künstler
zweifelt nicht an der Zukunftsfähigkeit seiner Heimatstadt, die ihm nach eigenen
Bekunden sehr am Herzen liegt. Doch die Zukunftsfähigkeit, erklärt er, "setzt
Umdenken und Unbequemlichkeit voraus". "Die Alternative, Beharren und
Bequemlichkeit, durchleben wir heute", stellt Emig fest.
Ein ganz
persönliches Steckenpferd reitet Emig wohl, wenn er eine "Lyrikfabrik" als
erstes Projekt der Kulturfabrik Rüsselsheim entwirft: Geschäftsleute und Bürger
könnten in humorvollen Reimen auf die Rüsselsheimer Geschäfte aufmerksam machen.
LED-Laufschriften, verteilt über das Stadtgebiet, geben Auskunft über die
neuesten Verse. (vol)