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Über Mitglieder des
RRK (2020)
Liz Meneghello de Abreu |
Weit weg von ihrer Heimat Brasilien und
von ihrer American Bully-Hündin Mare in Sachen Hockey unterwegs: Liz
Meneghello de Abreu |
Von null auf hundert
In ihrer Heimat Brasilien dreht sich alles um den Fußball. Liz
Meneghello de Abreu will als Hockeytrainerin Fuß fassen ‒ und wagt dafür während
Corona den Schritt nach Deutschland.
Von Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 12.12.2020)
Die vielen grauen Herbsttage mit Nebel und Nieselregen seien
schon ziemlich gewöhnungsbedürftig gewesen. Der erste Winter in Deutschland
indes kann klimmen, dank wärmender Bekleidung und gefütterter Boots. Schließlich
sind Kälte und Schnee für Liz Meneghello de Abreu nicht mehr fremd, seit sie vor
zwölf Jahren erstmals ihrer Heimatstadt Florianopolis an der Südwestküste
Brasiliens den Rücken kehrte, um im US-Staat Montana an einer Skistation
mitzuarbeiten. "Es war schrecklich kalt, aber den Schnee habe ich von Anfang an
geliebt", sagt die 33-Jährige, die seit September die Hockeyspieler des
Rüsselsheimer Ruder-Klubs (RRK) trainiert.
Ob sie in
absehbarer Zeit auf dem nahen Feldberg mit dem Snowboard die Hänge
herunterrutschen wird, wie sie das im Vorjahr fünf Autostunden von Sydney
entfernt mit großer Begeisterung tun konnte, hängt davon ab, wie intensiv Frau
Holle den 881 Meter hohen Taunusgipfel in den kommenden Wochen mit weißen
Flocken bedeckt. Bis Februar läuft ihr Vertrag beim hessischen Ex-Champion, doch
eigentlich spricht alles dafür, dass die erste hauptverantwortliche Trainerin in
der langen und ruhmreichen Geschichte der RRK-Männer länger am Untermain bleiben
und wirken kann. 4:0 gegen den TFC Ludwigshafen, 3:0 bei der TGS Vorwärts
Frankfurt ‒ so liest sich Meneghello de Abreus Erfolgsbilanz aus der
Mini-Feldsaison in der Zweiten Regionalliga Süd, Gruppe West, die den Nachkommen
des neunmaligen Deutschen Meisters die Tabellenführung beschert hat.
Einzige Frau
unter Männern
Entsprechend
positiv hatten alle Seiten die Zusammenarbeit bewertet und sich auf die
Hallenrunde gefreut, in der die Rüsselsheimer zwei Spielklassen weiter oben in
der Zweiten Bundesliga Süd mitmischen. "Sie war von Anfang sehr engagiert,
wollte am liebsten gleich alles wissen, wie das hier so funktioniert und ganz
viel lernen, und war gleichzeitig bemüht, sofort deutsch zu lernen. Das ganze
Training ist sehr detailliert geplant und die Spiele werden gut analysiert. Die
Mannschaft ist sehr zufrieden", erzählt und und lobt der langjährige
Stammspieler Niklas Isselhard. "Team und Verein haben mir bei allem ganz
wunderbar geholfen, wofür ich sehr dankbar bin", sagt die einzige Frau unter
lauter Männern. Und dem ebenfalls sehr angetanen Abteilungsleiter Jürgen Kaul
hätte es richtig gut gefallen, "wenn Liz sich dank der Entscheidung, dass es in
der Hallenrunde diesmal keine Absteiger geben sollte, da ohne jeden
Leistungsdruck hätte herantasten können."
"Es geht darum, zu lernen, sich helfen zu
lassen und denjenigen zu vertrauen, die es besser wissen."
Liz Meneghello de Abreu |
Doch dann kam das
Corona-Virus zurück, das Liz bereits im August länger als geplant in Brasilien
festgehalten und zu Online-Übungseinheiten mit ihrer neuen Mannschaft gezwungen
hatte. "Natürlich wäre ich lieber früher rübergeflogen. Aber die Arbeit aus der
Ferne hat uns zusammengeschweißt, und die dabei gezeigte Disziplin des Teams hat
mich zusätzlich positiv gestimmt", sagt Meneghello de Abreu. Auf dieser Basis
sollte auch die Hallenrunde in Angriff genommen werden, die aufgrund der
aktuellen Inzidenzwerte nun komplett entfällt. Obwohl Indoor-Hockey in 20 Jahren
als aktive Spielerin im In- und Ausland ‒ darunter annähernd 20 Einsätze für das
Nationalteam bei panamerikanischen und südamerikanischen Spielen ‒ kaum eine
Rolle spielte, fühlt sie sich auch dem taktisch ausgefeilten Spiel mit der Bande
gewachsen: "Ich liebe solche Herausforderungen, sie treiben mich an. Es geht
darum, zu lernen, sich helfen zu lassen und denjenigen zu vertrauen, die es
besser wissen."
Genauso hatte der
Plan aussehen sollen, als sie im September 2019 beschloss, den Ryde Hockey-Club
vor den Toren Sydneys zu verlassen und sich einen Verein in Deutschland zu
suchen. "Ein Freund, der deutsche Männerteams betreute und den ich 2016 bei den
Olympischen Spielen in Rio kennenlernen durfte, hat mein Interesse geweckt. Ich
habe einige Bewerbungen geschrieben, letztlich bin ich über ihn zum RRK
gekommen", berichtet die 1,70 m große Frau. Angedacht war, unter besagtem Freund
als Co-Trainerin reinzuschnuppern. Doch als es den Briten Amarjeet Soar im
Sommer Corona-bedingt zurück auf die Insel zog, ging es für Liz unverhofft von
null auf hundert in die erste Reihe.
Dass sie im Alter
von zehn Jahren im fußballverrückten Brasilien zum Hockey gekommen ist, war
reiner Zufall. Dem damaligen Nationalcoach war ihr Laufstil aufgefallen, und so
fügte sich eins zum anderen. Die Athletik alleine ist es aber nicht, die für sie
die Faszination des Hockeysports ausmacht: "Es ist einfach ein total kompletter
und intensiver Sport. Man hat nicht nur den physischen, technischen und
taktischen Part, sondern vor allem auch die mentale Seite. Dazu gehört auch das
Verhältnis der Spieler außerhalb des Platzes. Wenn eine Mannschaft in all diesen
Aspekten funktioniert, wird sie stark sein und zugleich Spaß haben." Dass diese
Philosophie, gepaart mit dem adaptierten australischen Spielstil ‒ hoher
Athletiklevel, offensive Ausrichtung ‒ Früchte tragen kann, dafür sprechen zwei
Siege und 7:0 Tore.
Ergo gehen am
Untermain alle davon aus, dass Liz Meneghello de Abreus Sechs-Monats-Vertrag
fortgeschrieben wird und sie die RRK-Männer über die Rückkehr in die
Regionalliga Süd hinaus dauerhaft begleitet. "Mein Gefühl sagt mir, dass ich
sehr lange hier bleiben werde. Ich bin ganz toll aufgenommen worden, und es gibt
große Pläne im Verein über die ersten Herren hinaus." Aufstiegsdruck verspüre
sie nicht, "aber da die Hallenrunde ja nun leider ausfällt, machen wir ganz
bestimmt eine längere Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte draußen."
Einem
Weihnachtsessen im Kreise von Familie und Freunden wird die bekennende Veganerin
in diesem Jahr trotz Sommertemperaturen in der Heimat bewusst entsagen und so
auch ihre imposante und innig geliebte Hündin Mare, ein American Bully, nicht
umarmen können. Wer diesen Verzicht ausschließlich der gebotenen Vorsicht in
Corona-Zeiten zuschreibt, könnte irren: "Ich bin sehr eng mit meiner Familie in
Kontakt und habe die volle Unterstützung, egal, wo ich gerade lebe und arbeite",
sagt Liz, "aber in erster Linie möchte ich auf keinen Fall ein Training mit den
RRK-Herren verpassen." Das klingt schwer danach, als hätten die grauen
Herbsttage längst jeden Schrecken verloren. |