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Über Mitglieder des
RRK (2019)
Kurt Linnert |
Abflugbereit: Kurt Linnert bringt
regelmäßig große und kleine Waren besonders schnell zu wartenden Kunden in
aller Welt. |
Unterwegs als Flugkurier: Ruhestand über den Wolken
Eigentlich war
Kurt Linnert schon Rentner. Dann hörte er vom Job des Flugkuriers. Unterwegs mit
einem Mann, dessen Aufgabe es ist, um die Welt zu fliegen.
Von Jan Klauth (aus
"Frankfurter Allgemeine" vom 30.01.2019)
Kurt Linnert blickt
hoch zur großen Anzeigetafel in der Abflughalle des Flughafens. Die weißen
Lettern blättern um, ganz unten rechts steht nun Flug LH404 nach New York, JFK,
Abflug 17.30 Uhr. "Noch fast zwei Stunden Zeit", sagt Linnert. Routiniert greift
er nach dem Paket zu seiner Linken, schnappt sich Koffer und Reisepass und
steuert auf den Schalter der Lufthansa zu.
Dort kennt man den
66 Jahre alten Kelsterbacher schon: Seine Kleidung beim Fliegen – die braunen
Schuhe und die schwarze Jacke mit Aufdruck des Arbeitgebers – ist zu einem
unauffälligen Markenzeichen geworden. Das gilt nicht nur in Frankfurt, sondern
auch an den Flughäfen von Chicago und in Toronto. Kurt Linnert, Halbglatze,
freundliches Lächeln, leichte Sommerbräune, ist Flugkurier. Seit knapp zwei
Jahren fliegt er für die Kelsterbacher Firma "Samedaylogistics" in alle Welt und
bringt Dinge zu Kunden, denen der herkömmliche Versand zu lange dauert. Linnert
liefert, wenn es um Stunden geht.
Rund drei Stunden
bevor Flug LH404 abhebt, betritt Linnert die Geschäftsräume von "SDL" im
Ortskern von Kelsterbach im Kreis Groß-Gerau. Dorthin hat er es nicht weit, der
frühere Sparkassenbetriebswirt, der eigentlich längst in Rente ist, wohnt quasi
um die Ecke. "Die Ware ist gleich da, Kurt", ruft ihm Aileen Horst zu. Am Abend
zuvor, also fast 24 Stunden vor dem Abflug, hat die Teamleiterin den Kurier über
den Flug nach New York informiert. So viel Zeit haben die etwa 100 Flugkuriere
des Unternehmens selten. "Im Extremfall kommt der Auftrag rein, und zwei, drei
Stunden später sitze ich im Flieger", erzählt Linnert. Er arbeitet in
Bereitschaft, im Schichtplan trägt er sich jeweils auf Abruf ein. Maximal eine
Lieferung in der Woche übernimmt er. "Das ist das Agreement mit meiner Frau",
sagt er mit stark rollendem r.
Filialleiter
einer Sparkasse und Kommunalpolitiker
Linnert, Jahrgang
1952, ist im südhessischen Allmendfeld bei Gernsheim geboren, mehr als 40 Jahre
arbeitete er bei der Kreissparkasse Groß-Gerau, unter anderem als Filialleiter
in Kelsterbach. 2009 wechselte er in die Kommunalpolitik, als Erster Stadtrat
von Kelsterbach war der Sozialdemokrat zuständig für Finanzen, Schulen, Sport
und Kultur. Mit 63 verabschiedete er sich in den Ruhestand. Doch schon kurz
darauf erzählte ihm ein alter Bekannter, "der Holger", von den Aufgaben eines
Flugkuriers. Der Bekannte war Holger Zulauf, der Geschäftsführer von SDL.
Linnerts Interesse war geweckt.
"Mein ganzes
Berufsleben hatte ich mit Menschen zu tun, und das Reisen ist eine meiner
Leidenschaften", sagt Linnert. In seiner Zeit bei der Sparkasse hat er von Ende
der siebziger Jahre an Reisen für Geschäftskunden organisiert – schon damals war
er ein Vielflieger. Nach Sizilien und Schottland ging es, aber auch nach Bangkok
und Hongkong führte Linnert die Kleingruppen. Mittlerweile fliegt er vor allem
Langstrecken, am häufigsten in die Vereinigten Staaten und nach Kanada. "In
Chicago war ich schon mindestens zehnmal, oft geht es aber auch nach Asien:
China, Korea, Japan oder die Philippinen."
Warenauslieferung in kürzester Zeit
Immer dabei: die
Ware. Meistens sind es Ersatzteile für Maschinen, hin und wieder auch
Medikamente oder Dokumente. Als Spontanurlaub mit einem Hauch Abenteuer dürfe
man sich den Job als Flugkurier aber nicht vorstellen. "Viel Zeit, sich die
Städte anzuschauen, bleibt ja ohnehin nicht." Oft hat Linnert Anschlussflüge von
den großen Airports, denn die meisten Fabriken liegen weit außerhalb der Städte,
auf dem Land. "Allerdings kann ich den Aufenthalt nach der Lieferung verlängern
und erst ein paar Tage später zurückfliegen. Auf eigene Kosten, versteht sich."
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Vor kurzem hat er
sich Zusatzurlaub in Mexiko gegönnt. Kurz vor Weihnachten noch etwas Sonne
getankt, bevor es ins kalte Deutschland zurückging. "Mexiko ist ein
phantastisches Land, dort könnte ich jede Woche hinfliegen", sagt Linnert und
lacht sein ansteckendes Lachen. Ein Vollzeitjob auf Dauer sei Flugkurier aber
nicht. "Wenn es stressig wird, schlaucht das schon. Auf Dauer würde man daran
kaputtgehen."
Voller Stempel: Wegen seiner vielen Reisen
braucht Linnert bald einen neuen Pass. |
Mit der
Erfahrung kommt die Routine
Gegen 15 Uhr trifft
die Lieferung für New York in Kelsterbach ein. Es ist lediglich ein Päckchen mit
Ersatzteilen, zirka vier Kilogramm schwer, Warenwert: etwa 40 Euro. "Der Kunde
kalkuliert aber anders. Ohne die jeweiligen Ersatzteile steht eben die Maschine
still, und Zeit ist Geld." Wie viel er als Flugkurier je Auftrag verdient,
möchte Linnert nicht offenlegen. Er verrät nur so viel: Lieferungen nach Übersee
sind deutlich besser vergütet als Kurzstreckenflüge.
So einfach wie mit
dem Päckchen, das ins Handgepäck passt, hat es Linnert selten. "Die größte
Lieferung bisher waren 24 große Kisten mit Ersatzteilen nach Malta", erinnert er
sich. Mit der Zeit stelle sich eine Art Routine ein, die meisten
Flughafenmitarbeiter seien auf Flugkuriere eingestellt. Durch den Zoll müsse die
Ware aber trotzdem immer.
Die Großlieferung
nach Malta hat Linnert pünktlich abgeliefert, wie er sagt. Abbrechen musste er
einen Auftrag nach eigenen Worten noch nie. "Im schlimmsten Fall verpasse ich
den Flug, oder Teile des Gepäcks bleiben beim Transit im Zoll hängen. Dann wird
aber einfach die nächste Maschine gebucht und der Kunde informiert."
Vorteile bei den
Fluggesellschaften und gute Kontakte
Bevor es von
Kelsterbach im Minivan zum Flughafen geht, wird Linnert von SDL-Teamleiterin
Aileen Horst über den Auftrag informiert. In einem Umschlag erhält er die
Details. Von New York aus geht es mit dem Mietwagen weiter nach Allentown in
Pennsylvania. Ein Hotel für die Nacht ist noch nicht gebucht. In Amerika suche
er sich die Unterkünfte immer spontan, an den Highways gebe es unzählige Hotels.
"First Class ist das natürlich nicht."
Erster Klasse
hingegen ist meist der Flug. Nach weniger als einem Jahr als Kurier erreichte er
durch mehr als 100.000 geflogene Meilen, gut 160.000 Kilometer, den begehrten
"Goldstatus" bei der Lufthansa, mittlerweile hat er ihn auch bei United
Airlines. Das bringt viele Annehmlichkeiten mit sich. Schnelles Einchecken etwa
und kostenlose Mahlzeiten in den Lounges. Durch die gesammelten Meilen kann
Linnert außerdem Freiflüge einlösen. Kürzlich erst düste er mit seiner Frau
kostenfrei ein paar Tage nach Barcelona.
In Kelsterbach ist
Linnert bekannt. Durch die Arbeit bei der Sparkasse und in der Kommunalpolitik
hat er unzählige Kontakte gewonnen, auf Straßenfesten und Ortsterminen hat er
viele Leute kennengelernt. Sekunden, nachdem er mit dem Paket aus der Tür des
Büros tritt, erkennt ihn eine Passantin. "Guten Tag, Herr Linnert", ruft sie ihm
zu, Linnert grüßt freundlich zurück. Auch mit dem Flughafenpersonal und der
jeweiligen Kabinen-Crew freunde er sich schnell an. "Höflich, aber nicht
aufdringlich. Wenn man zur Crew ein gutes Verhältnis pflegt, hat man einige
Vorteile." Zum Beispiel eine bevorzugte Platzwahl und ein Upgrade der Klasse,
wenn der Flieger nicht voll ist.
Aufträge nach
Asien gestalten sich schwieriger
Auch die Kontakte,
die Linnert über die Jahre in der Politik gesammelt hat, zahlen sich im Ausland
aus, beispielsweise in Fernost. Kelsterbach ist Partnerstadt von Dayi, einem
Teil der chinesischen Millionenstadt Chengdu. Durch die Partnerschaft hat
Linnert ein Jahresvisum für China erhalten, dadurch bleibt ihm stundenlanges
Warten am Zoll erspart. "Generell sind Aufträge nach Asien schwieriger, in China
kommt man mit Englisch oft nicht weit", erzählt Linnert, als der Van nach
wenigen Minuten Fahrtzeit in Richtung Flughafen abbiegt. Oft sucht er sich dann
im Flugzeug jemanden, der ihm die Adresse und die genaue Anfahrt zum Kunden in
die jeweilige Landessprache übersetzt.
Im vergangenen
Sommer hatte Linnert einen Auftrag in Seoul, just an dem Tag, als die
südkoreanische Nationalmannschaft das DFB-Team bei der Weltmeisterschaft
besiegte. "Ein riesiges Ereignis für die Koreaner, ich habe mich dann mit ihnen
gefreut und gefeiert." Linnert hat Dutzende solcher Anekdoten auf Lager. Land
und Leute kennenzulernen gehört für ihn trotz des Zeitdrucks dazu.
Wer denkt denn
ans Aufhören
Am Flughafen zückt
Linnert nach dem Check-in am Schalter das Handy. Per App gibt er den jeweiligen
Status der Lieferung an, damit sowohl der Kunde als auch das Büro den Überblick
behalten. Seine Flugtickets steckt er zwischen die Seiten seines Reisepasses.
Der weist nicht nur deutliche Gebrauchsspuren auf, sondern ist auch voll mit
Stempeln und Visa aus aller Welt. "Bald muss ich wohl einen neuen Pass
beantragen", sagt Linnert, bevor er zum Gate Z steuert, wo für die Flüge in die
Vereinigten Staaten eingecheckt wird.
Wie lange er noch
als Kurier arbeiten möchte, weiß er noch nicht. "Es macht mir nach wie vor Spaß.
Wenn es gut läuft, noch ein paar Jahre." Ein freundlicher Abschied, ein kurzes
Winken, dann verschwindet Flugkurier Linnert hinter der Passkontrolle. |