Das Interview
führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 7. März 2019)
Anfang März 2009
war die Hochstimmung im Lager des Rüsselsheimer Ruder-Klubs (RRK) mit einem
Schlag massiv verwässert. Wenige Tage nach dem ersten Europacupsieg der
Hockeymänner in der heimischen Großsporthalle (3:2 nach Verlängerung gegen Club
de Campo Madrid) wurde öffentlich, dass die Spieler mehrheitlich beschlossen
hatten, nach zehn recht erfolgreichen Jahren nicht länger mit Trainer Kai
Stieglitz zusammenarbeiten zu wollen. Die daraufhin vom Vorstand ausgesprochene
Kündigung empfand der seinerzeit 42-Jährige damals in der Form, "dass die Heimat
mich verlassen hat". Nach knapp drei Jahren in Hamburg ist Stieglitz seit 2012
aber wieder in seiner Heimatstadt wohnhaft und auch dem Hockeysport weiterhin
eng verbunden.
Herr Stieglitz,
Sie haben kürzlich in Darmstadt dem aktuellen RRK-Trainer Volker Schädel zum
Verbleib in der Zweiten Hallen-Bundesliga gratuliert und später mit der
Mannschaft den Klassenerhalt gefeiert. Heißt das, dass nach der für Sie bitteren
Trennung vor zehn Jahren jedweder Groll verflogen ist?
Wenn ich jetzt noch
Groll verspüren würde, hätte ich sicherlich schon ein Magengeschwür oder
Ähnliches. An die Trennung habe ich weder während des Spiels in Darmstadt noch
später im Bootshaus gedacht. Ich wollte einfach feiern.
Nach dem Gewinn
der deutschen Meisterschaft 2008 in Hamburg haben Sie die RRK-Männer Ende
Februar 2009 in der heimischen Großsporthalle zum ersten Europacuptriumph
geführt, um wenige Tage später von der Mannschaft den Stuhl vor die Tür gestellt
zu bekommen. Wie denken Sie mit dem zeitlichen Abstand über die Geschichte?
Es ist insgesamt zu
wenig von allen Seiten miteinander gesprochen worden. Alle Seiten, also ich, die
Mannschaft und der damalige Vorstand, haben deshalb zur Trennung beigetragen.
Sie haben danach
rund zweieinhalb Jahre erfolgreich beim Großflottbeker THGC und SV Blankenese in
Hamburg sowie lange in Mainz gearbeitet und sind seit 2017 nun beim Wiesbadener
THC als Nachwuchstrainer tätig. Würden Sie sagen, dass der Abschied vom RRK
rückblickend durchaus etwas Gutes hatte?
ZUR PERSON
• Kai Stieglitz ist zwar in Flörsheim geboren,
darf aber trotz eines knapp dreijährigen Intermezzos in Hamburg als
bekennender Rüsselsheimer gelten. Der 52-Jährige kam als Jugendlicher zum
Rüsselsheimer RK und schaffte es dort zum Bundesligaspieler und zur
Spielzeit 1999/2000 auch zum -Trainer. Gleich in seiner ersten Saison führte
er die RRK-Männer in Essen ins Finale der Hallen-DM. Nach Aufs und Abs sowie
einem Schädel-Hirn-Trauma, erlitten bei einem schweren Unfall auf der A3 bei
der Rückfahrt von einem Testspiel in Köln im August 2007, folgte ein halbes
Jahr später in Hamburg schließlich auch der Meistertitel.
• Anno 2009 gelang in der heimischen
Großsporthalle der Europacupsieg, bald darauf kam die für Außenstehende
abrupte Trennung vom Ruderklub. In dieser Feldsaison zeichnet Stieglitz beim
Wiesbadener THC für die A- und D-Knaben sowie für das rnännliche
Torwarttraining verantwortlich. |
Neue Erfahrungen
und ein Umzug in die schönste Stadt Deutschlands sind immer lohnend. Insofern
hatte die Entwicklung sicherlich etwas Gutes. Allerdings hätte ich damals auch
gerne beim RRK weitergemacht.
Worin
unterscheiden sich in Ihren Augen die genannten Vereine vom RRK, beziehungsweise
was läuft dort besser, was vielleicht weniger gut?
Alle Vereine sind
unterschiedlich. Die Infrastruktur, die finanziellen Mittel, die Manpower und so
weiter. Jeder Verein kann aber nur mit seinen individuellen Voraussetzungen
arbeiten. Deshalb hinken die meisten Vergleiche. Eine Aufstellung der
Unterschiede würde zu weit führen. Aber auch wenn andere Vereine sicherlich
finanziell deutlich bessere Möglichkeiten haben, so sind andererseits die
Hallenzeiten für Hockey in Rüsselsheim extrem gut.
Der RRK, bei dem
Sie mehr als 25 Jahre Mitglied und auch Bundesligaspieler waren, ist im Freien
aktuell nur noch viertklassig. Hätten Sie das vor zehn Jahren für möglich
gehalten, und wo liegen für Sie die Gründe?
Dass es mit den
finanziellen Möglichkeiten schwer werden würde, weiter Spitzenhockey, sprich
Bundesliga, bei den Aktiven in Rüsselsheim zu finanzieren, war absehbar. Dass es
so weit "nach unten" gehen würde, konnte man meiner Meinung nach nicht
vorhersehen. Als Außenstehender kann ich über die Gründe nur spekulieren.
Andere ehemalige
Spitzenvereine, etwa der Dürkheimer HC, machen ähnliche Entwicklungen durch und
drohen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Sind die Ursachen dafür
ausschließlich an pekuniären Nachteilen gegenüber Großstadtklubs festzumachen?
Es wird immer
schwerer, Spielerinnen und Spieler bei "kleinen" Vereinen zu halten. Teilweise
werden schon Jugendspieler abgeworben oder bekommen von Landes- und
Bundestrainern ab einem bestimmten Alter nahegelegt, zu höherklassigen Vereinen
zu wechseln. Die weitere Berufswahl spielt auch eine Rolle. Hierbei haben die
Großstadtklubs einen enormen Vorteil. Vereine, die weder Geld noch einen
Standortvorteil haben, können Spielerinnen und Spieler nur durch eine gute
Jugendarbeit und ein verbindendes Klubleben halten.
Der Wiesbadener
THC beschäftigt neben Ihnen weitere zwei hauptamtliche Trainer, wobei
Männercoach Thomas Dauner offiziell in Stuttgart zu Hause ist. Das Männerteam
wäre in der Halle beinahe in die Zweite Bundesliga aufgestiegen und spielt im
Feld höher als der RRK, dazu haben es kürzlich zwei weibliche Nachwuchsteams des
WTHC zur DM-Endrunde gebracht. Ist in letzter Konsequenz also doch alles eine
Frage des Geldes?
Ketzerisch gesagt ‒
Ja. Schließlich leben wir in einer real existierenden Marktwirtschaft. Wer mehr
bezahlen kann, bekommt auch Trainer. Selbst überaus erfolgreiche Bundestrainer ‒
Bernhard Peters zu 1899 Hoffenheim und HSV, Markus Weise zum DFB, Yamilon
Mülders nach China ‒ haben sich, sicherlich auch aus finanziellen Gründen, aus
dem DHB verabschiedet. Zumindest Mülders hat erklärt, dass er ein solch
lukratives Angebot nicht ablehnen wollte. In Wiesbaden wurde, vor allem im
weiblichen Nachwuchs, seit Jahren auch mit "nur" einem festangestellten Trainer
hervorragend gearbeitet. Diese Arbeit trägt nun Früchte.
Sie treten mit
Wiesbadener Jugendmannschaften zwangsläufig gegen RRK-Auswahlen an. Sind Ihnen
Erfolge in diesen Begegnungen besonders wichtig?
Nö. Allerdings
spiele ich dann gegen die Kinder meiner Freunde, und da gibt es schon mal
Trashtalk oder man nimmt sich auf den Arm.