Als Kai Stieglitz am morgen danach
gegen 6 Uhr das erste Mal die Augen aufmachte, wurde ihm rasch bewusst, dass er
nicht geträumt hatte. Neben ihm im Bett lag er, der blaue Wimpel des Deutschen
Meisters, den der Trainer und seine Spieler vom Rüsselsheimer RK bei der 47.
Hallenhockey-Endrunde in Hamburg errungen hatten.
Dass das Objekt der Begierde, mit der
die männliche Fraktion im Ruder-Klub 08 letztmals vor 29 Jahren zur
Wanddekoration im "Bootshaus" beigetragen hatte, so schnell dort aufgehängt
wird, ist laut Stieglitz unwahrscheinlich. "Nachdem ich mich in der Nacht
durchgesetzt und ihn zuerst mitgenommen habe, sind nun erst mal die Spieler an
der Reihe." Dass dieser Gegenstand am Untermain, den die hessische Reisegruppe
quietschvergnügt am frühen Montag gegen 0.30 Uhr erreichte, hohe Anziehungskraft
ausübt, ist verständlich. "Beim letzten Titelgewinn habe ich noch
Papierschnitzel gestreut, und Herrentitel sind nun mal etwas Besonderes", sagt
Stieglitz und macht die Dimension des Erreichten trotz stattlicher Erfolge der
Damen deutlich - nicht zuletzt im 100. Jubiläumsjahr.
Viel intensiver als der 40 Jahre alte
Trainer, der nach 15-jährigem Wirken seinen bislang größten Erfolg feierte und
während der Rückreise mit vielen Glückwunsch-SMS eingedeckt wurde, ist Martin
Müller der Rüsselsheimer 17:8-Coup gegen den Gladbacher HTC 1979 in Eppelheim
bei Heidelberg in Erinnerung. "Ich denke, ich habe drei Tore gemacht. Die
Gladbacher hatten im Halbfinale TG Frankenthal für uns aus dem Weg geräumt und
sich dabei verausgabt", erzählt der RRK-Abteilungsleiter.
Entsprechend erleichtert und gerührt
war auch Müller am Sonntag, als die Durststrecke nach dem finalen 6:3 gegen
Schwarz-Weiß Neuss überwunden war. "Ein langer Weg hat endlich zum Ziel geführt.
Der Glaube daran war eigentlich immer da. Aber dass es ausgerechnet jetzt
passieren würde, war nicht zu erwarten. Vor drei Jahren in Duisburg haben wir im
Halbfinale gegen Harvestehude eine Halbzeit Hockey vom anderen Stern gespielt -
aber eben nur eine Halbzeit. Und auch vor acht Jahren in Essen waren wir
nominell stärker besetzt." Seinerzeit ging das Finale gegen den Dürkheimer HC
3:4 verloren.
Warum sich die Träume anno 2005 in
der Verlängerung und im Vorjahr in der zweiten Halbzeit der Vorschlussrunde in
Rauch auflösten, während diesmal keine große Schwäche zu erkennen war, führt
Stieglitz auf den 26. August 2007 zurück. "Durch meinen Autounfall haben sich
viele Dinge verändert, allen voran ist die Mannschaft gereift und enger
zusammengerückt." Oder wie es Jan Petersen, nach der verpassten Rückkehr in die
Feld-Bundesliga in Nürnberg von Christian Minar zum neuen Kapitän bestimmt,
formulierte: "Wir sind eine krass eingeschworene Gemeinschaft."
Zu dieser gehört auch weiterhin
Oliver Domke. Obwohl der Ausnahmestürmer nach vielen intensiven Hockeyjahren dem
Beruf inzwischen den Vorrang gibt, aber auch andere Prioritäten setzt und
deshalb maximal ein Trainingsbesuch pro Woche drin ist. "Wenn die Mannschaft
damit irgendwann nicht mehr klar kommen sollte, ist das auch okay. Den Europacup
nächstes Jahr würde ich sehr gerne mitnehmen", sagte der WM-Siegtorschütze von
2002.
Dass sich alle "Helden von Hamburg"
auf dieses Ereignis im Februar 2009 mehr freuen, als auf die Wiederaufnahme der
Feldrunde, ist nachvollziehbar. Der Alltag dort heißt zweite Liga, und der
Aufstiegszug ist wohl abgefahren. Trotzdem will Stieglitz in 14 Tagen mit der
Aufwärmphase beginnen. "Wir werden die Zeit nutzen, um uns schon für die
kommende Runde einzuspielen und dann den nächsten Angriff zu starten." Klingt
so, als wäre da jemand trotz einer Nacht mit dem blauen Meisterwimpel noch
längst nicht befriedigt ...
Den ersten Meistertitel bei den Herren nach 29 Jahren bejubelt die
Herrenmannschaft des RRK (oben: Physio-Therapeutin Diana Czerwonka,
Trainer Kai Stieglitz, Christian Minar, Thomas Jost, Frank Trautmann,
Christian Domke, Sven Wohlfahrt, Jan Petersen und Betreuer Torben Stalmach;
unten: Oliver Domke, Mirco Fuchs, Falk May, Julian Hofmann-Jeckel, Andreas
Späck und Nico Jacobi) |