Von Mirko Schneider
(aus "https://szene-hamburg.com", Mai 2019)
An das großartigste
Erlebnis mit ihrem Trainer erinnert sich Viktoria Huse (23) mit leicht
stockender Stimme. "Nach dem Titel bei der deutschen Hallenmeisterschaft 2018
ist Maus in der Kabine unter Tränen vor uns auf die Knie gefallen und hat eine
Dankesrede gehalten", sagt die Spielführerin der Hockeydamen vom Club an der
Alster. "Das war für uns alle im Team ein unglaublich emotionaler Moment."
Maus, das ist – aufgrund seiner charakteristischen Vorderzähne – der Spitzname
von Jens George.
Seit 20 Jahren
trainiert der mittlerweile 50-jährige Coach mit großem Erfolg die Damen des
Vereins mit Hockeyanlagen in Wellingsbüttel und am Rothenbaum. "Als Winterpause
war", erinnert sich Huse, "ist Maus wieder aus Hamburg geflohen. Er ist eben ein
besonderer Mensch." Georges guter Grund: "Ich musste schnell nach Indonesien,
meine 2017 angefangene Hütte fertig bauen."
Der ehrgeizige und
überaus erfolgreiche Coach (ein Pokalsieg, vier Hallenmeisterschaften, eine
Feldmeisterschaft, drei Europapokalsiege) ist im Club an der Alster der
Gegenentwurf zum Klischee des Vereins. Das Bild über den Verein in Deutschlands
Hockeywelt ist klar: viele Sponsoren, viele Beiträge durch über 3.000
Mitglieder, schicke Anlage, viele Aktive mit finanziell potentem Elternhaus –
ergo spielen hier die Reichen und Schönen, die Snobs. Doch wie passt
Paradiesvogel George hierher? Der St. Pauli-Fan wäre in einem politischen
Handbuch ein gutes Beispiel für ein linksalternatives Leben.
Neben seinem Beruf
als Hockeytrainer der Damen arbeitet er während der Feld- und der Hallensaison
nebenbei selbstständig als Tischler. Ist Winter- oder Sommerpause, reist George
um die Welt. Handy aus, ab durch die Mitte. Auf allen Kontinenten war er, über
100 Länder hat er bereist. "Ich halte mich an das Motto meines Opas", sagt
George. "Mit dem Hut in der Hand, kommst du durch das ganze Land." George trampt
mit Rucksack, schläft oft im Freien, reist spartanisch – an ungewöhnliche Orte
zu ungewöhnlichen Menschen.
So jubelt ein Titelverteidiger: Alsters
Damen mit Trainer Jens George haben es erneut geschafft. Sie sind nach 2018
auch 2019 Deutscher Feldhockey-Meister! |
"Ich habe bei den
Indios im Amazonas gelebt. Sie haben mir erklärt, wie ihre Natur funktioniert.
Wir waren gemeinsam jagen. In den Sümpfen Venezuelas habe ich geholfen, die
Anakondas zur Vermessung zu bringen. Eine grandiose Erfahrung. Beeindruckend
waren auch die Berggorillas in Uganda. Und mein Treffen mit einem Menschen im
Papua-Neuguinea, der sich vor 25 Jahren noch von Menschenfleisch ernährt hat."
Da können noch so
viele dicke SUVs auf dem Parkplatz des Clubs an der Alster stehen, George
interessiert das nicht. "Vieles, was anderen Menschen wichtig ist, ist mir
unwichtig", sagt er. "Uns geht es in Deutschland sehr gut. Diese Reisen erden
mich, durch sie habe ich Bescheidenheit gelernt, mich als Persönlichkeit
entwickelt." Ein paar Clubmitglieder nahmen schon sein Angebot an, reisten mit
ihm. George hält es für heilsam, mit Freude und Freundlichkeit durch das eigene
Leben zu gehen, viel über fremde Kulturen zu lernen. "Ich wurde noch nie
überfallen. Da hatte ich Glück", gibt er zu. "Aber ich glaube, das
hat auch mit der Haltung zu tun, mit der man den Menschen gegenübertritt."
Nur: Wie um alles
in der Welt hält es George im Club an der Alster aus? Ist für ihn die Rückkehr
in den Verein nicht immer der totale Culture Clash? "Nein", sagt George
bestimmt, "ich schätze den Verein, meine Arbeit und die Menschen hier sehr." Als
Missionar unterwegs sein will er sowieso nicht. Er freut sich, dass seine
Lebensweise so respektiert wird, viele Clubmitglieder ihn neugierig zu seinen
weltweiten Erlebnissen befragen und keinesfalls die Nase rümpfen. Außerdem
treffe das deutschlandweite Klischee vom Club an der Alster nicht zu.
"Okay, manche der
Aktiven hier kommen aus einem finanziell guten Umfeld und einige zeigen das auch
mal. Aber keiner verdient hier Geld, Hockey ist immer noch eine Amateursportart.
Wenn ich mir zum Beispiel meine Damenmannschaft anschaue, dann sind das alles
Frauen, mit denen man sich ganz normal unterhalten kann. Zudem kümmert sich der
Club gut um alle Sportler, hilft beispielsweise in der Berufsförderung."
Für seine
Spielerinnen ist George so etwas wie der ausgleichende Pol. "Maus ist ein
wahnsinnig menschlicher Trainer, sehr starker Motivator, besitzt eine
unglaubliche Lebenserfahrung. Selbst wenn es im Training kracht, moderiert er
das sehr gut", sagt Mittelfeldspielerin Nele Aring (22). George führt mit
langer Leine, nordet so selbst schwierige Charaktere ein. Neben allem Ehrgeiz
ist Spaß einer seiner wichtigsten Grundsätze.
Hockeyspielerinnen
haben oft viel Druck durch die Kombination aus Beruf/ Studium auf der einen und
Leistungssport auf höchstem Niveau auf der anderen Seite. Da will der Liebhaber
des Offensiv-Hockeys nicht zusätzlich den harten Hund geben. Bezeichnenderweise
rät er Spielerinnen daher manchmal, bei der Nationalmannschaft abzusagen, wenn
es ihnen einfach zu viel wird. George: "Dann müssen sie sich eben trauen und
mit dem Bundestrainer reden."
Seine eigene
Erfahrung mit der Nationalmannschaft passt zu seinem bunten Leben. Als
30-Jähriger wurde George 1999 kurz vor seinem Karriereende im Club an der Alster
vom Deutschen Hockey-Bund (DHB) zum ersten Mal in die Nationalmannschaft
berufen. Aus Versehen! Die Einladung für die zehntägige Länderspielreise in
Malaysia galt eigentlich dem Mannschaftskameraden Philipp Georgi, der DHB hatte
die Namen der beiden Spieler auf dem Anschreiben verwechselt.
"Ich hatte echt
viel Spaß. Bundestrainer Paul Lissek hat das Ganze von der humorvollen Seite
genommen und mich trotzdem mitspielen lassen. Sportlich war es übrigens in
Ordnung, dass die fünf Partien zugleich meine Abschiedsspiele waren", so George
augenzwinkernd.
Die ungewisse
Zukunft umarmt er so innig wie damals seine kurze Nationalmannschaftskarriere:
"Ich habe eine Hütte in Indonesien, meine Freundin lebt in Kolumbien. Ich liebe
meine Reisen und meinen Job als Damentrainer im Club an der Alster. Ich will
einfach nur weiter jeden Moment genießen. Keine Ahnung, was passieren wird. Ich
bin für alles offen."