Von Ina Lockhart
(aus "https://www.faz.net" am 04.11.2019)
Vor ihrem
Streitgespräch haben sich Ilo Kenji und Christian Wanek noch nicht gekannt.
Kontrovers diskutieren sie über Home Office und die Notwendigkeit von Kontrolle.
Ein Gesprächsprotokoll.
"Nein, Frauen in
Deutschland haben nicht die gleichen Chancen wie Männer", sagt sie. "Doch,
Frauen haben die gleichen Chancen", sagt er. Sie heißt Ilo, eigentlich Ilona,
Kenji, ist in den Niederlanden geboren und mit einem Kroaten verheiratet. Er
heißt Christian Wanek, hat einen österreichischen Vater und ist deutscher
Staatsbürger seit seinem 18. Lebensjahr. Beide treffen im Frankfurter Schirn
Café das erste Mal aufeinander, um für die Debattenaktion "Deutschland spricht"
über kontroverse Ansichten zu streiten.
An seiner
"Arroganz, dem perfekten Deutsch und am guten Benehmen" werde sie ihn erkennen,
hat Wanek vorab bei der Anmeldung in seinem Steckbrief geschrieben. "Dummheit"
und "Unfähigkeit" verabscheue er. Kenji schreibt von sich, dass sie
"Borniertheit" hasst und sie ihre Fröhlichkeit und Energie auszeichne. Beides
sorgt dafür, dass der Schlagabtausch mit Wanek trotz der schweren Inhalte und
oft harten Meinungsfronten eine gewisse Leichtigkeit bekommt.
"Frauen sind
fleißig, Männer machen Karriere", legt Kenji los, die in einer Führungsposition
arbeitet.
Kenji: "Auf
dem Papier haben die Frauen die gleichen Chancen. In der Praxis kann ich das
nicht beobachten. Männer ziehen Männer nach."
Wanek: "Wäre
das bei Frauen anders?"
Kenji: "Das
ist Frauen völlig egal."
Wanek:
"Womit erklärt sich, dass sehr junge Frauen mit großem Enthusiasmus Friseurin
werden wollen? Woran liegt das, dass sie sich selbständig machen, um bankrott zu
gehen?"
Über
Chancengleichheit, Bildung und Schullaufbahn kommen die beiden auf das Thema
Dienstleistungsgesellschaft. Sie sprechen von einer Erwartungshaltung, die dazu
führe, dass von der Schule ein maximaler Service verlangt werde.
Wanek: "Die
Kinder werden in die Kita oder die Schule abgeschoben. Es wird erwartet, dass
Frauen arbeiten."
Kenji: "Ich
habe bislang niemanden kennengelernt, der mir gesagt hat, dass ich arbeiten
soll."
Wanek: "Die
Frage ist doch, ob Frauen diese zwei Hüte gleichzeitig tragen können."
Kenji:
"Welche Hüte denn?"
Wanek:
"Früher waren die Frauen zu Hause und haben sich um die Kinder gekümmert. Dann
kam das Gejammer über die Teilzeitarbeitsplätze, die es nicht gab. Jetzt gibt es
sie, durch Gesetze gepampert. Das ist ein großer Mist, denn dafür gibt es nur
eine Rente, mit der die Frauen verhungern. Deswegen muss es jetzt Vollzeit sein.
Alles wird delegiert, wo soll das denn hinführen?"
Kenji:
"Wieso kann denn der Mann nicht zu Hause bleiben?"
Wanek: "Dann
hat der Mann keine Rente."
Kenji: "In
ehelichen Gemeinschaften ist man doch so aufgestellt, dass Rechten und Pflichten
verteilt werden – oder habe ich da eine Bildungslücke?"
Wanek: "Das
ist Theorie."
Kenji: "Ich
versuche, Teil der Lösung zu sein."
Diesen Satz wird
die Niederländerin im Laufe der Diskussion noch häufiger sagen, wenn Wanek mit
seinen Prinzipien argumentiert und seinen Standpunkt eisern verteidigt. Er setzt
oft und gerne Spitzen. Bei einer atmet Kenji tief durch und konstatiert "Das war
jetzt böse". Wanek lacht und antwortet: "Ich bin gerne böse."
Trotz aller
Kontroverse ist in jedem Moment der Debatte zu spüren, dass beide sich ernst
nehmen und sich respektieren. Keiner lässt den anderen vom Haken. So wie beim
Thema Teilzeit und Chancengleichheit. Kenji setzt hier nach.
Kenji: "Die
Anzahl der Frauen und Männer, die in den Niederlanden in Teilzeitpositionen
tätig sind, ist sehr ausbalanciert. Für die Karriere eines Mannes ist es nicht
entscheidend, ob er 25 oder 40 Stunden arbeitet. Da müssen wir hinkommen. Es ist
erfreulich zu sehen, dass Unternehmen familienfreundlicher werden."
Christian Wanek versucht, seine Debattenpartnerin Ilo Kenji von seinen
Argumenten zu überzeugen. |
Wanek:
"Woran machen Sie das fest?"
Kenji:
"Beispielsweise an der zunehmenden Arbeitszeitflexibilisierung."
Wanek: "Dann
sind Sie sicherlich auch Verteidigerin des Home Office?"
Kenji:
"‘Show face‘ heißt nicht, dass ich arbeite. Da habe ich viele andere Beispiele
beobachtet. In dem Punkt ist Umdenken nötig."
Wanek: "Ja,
aber nicht vorhanden."
Kenji:
"Sicher ist eine gewisse Präsenzpflicht notwendig."
Wanek:
"Schöne Grüße an dieser Stelle an unsere lausige IT-Infrastruktur."
Kenji: "Ich
habe es gemacht. Kind gestillt, einen Bericht für die Arbeit geschrieben und
noch berufliche Telefonate geführt. Das muss sich jede Frau und jeder Mann
überlegen, was er sich als Arbeitnehmer zutraut. Natürlich gewährt der
Arbeitgeber beim Thema Home Office und Arbeitszeitflexibilität einen
Vertrauensvorschuss."
Wanek:
"Neben der Dummheit sehe ich gleich die Faulheit. Ich denke, es ist ein sehr
menschliches Verhalten, zu Hause den Rechner anzuschalten und dann die Füße
hochzulegen. Die Produktivität im Home Office ist dann nicht höher als in der
Kaffeeküche im Büro."
Kenji:
"Klar, man muss schon rausgehen aus seiner Jogginghose, wenn man von zu Hause
aus arbeitet. Ich würde auch in Frage stellen, ob 100 Prozent Home Office
funktionieren. Da kommt man in Kontrollmechanismen, die nicht gut sind."
Wanek: "Sie
haben eben das Wort genannt: Kontrolle. Hoheitliche und soziale. In Deutschland
kann jeder machen, was er will. Hundehalter, die ihre Hunde auf der Straße ihr
Geschäft machen lassen. Raucher, die achtlos ihre Zigarettenkippe wegwerfen, die
x Liter an Grundwasser verseucht. Für außertariflich Beschäftigte ist Home
Office kein Problem. Für Angestellte mit Tarifvertrag und einem Arbeitstag von
acht Stunden funktioniert es nicht. Da braucht es Kontrolle."
In der
Diskussion um Sprache, perfektes Deutsch und nationale Identitäten kommt Kenji
auf den Sport ihrer Kinder und ihr ehrenamtliches Engagement im Hockeyverein,
unter anderem als Vorstand Hessen-Hockey für die Jugend. Sie erwähnt dabei
beiläufig, dass bald Deutschland gegen Österreich im Hockey spielt – und
entfacht damit eine neue Debatte.
Wanek:
"Hockey ist mir zu elitär."
Kenji:
"Wirklich, ist Ihnen das zu elitär?"
Wanek:
"Hockey ist für mich die elitärste Sportart, die es auf der Welt gibt. Das wird
nur noch von Pferdepolo übertroffen."
Kenji: "Da
möchte ich Sie gerne vom Gegenteil überzeugen und Sie einladen, bei einem
Hockeyspiel zuzuschauen. Dann werden Sie sehen, wie wenig elitär es auf dem Feld
zugeht. Und wie interkulturell dieser Sport ist. Und Sie würden Ihre Haltung
überdenken. Gegen dieses Vorurteil der elitären Sportart kämpfe ich seit Jahren
an."
Wanek: "Ich
würde erstmal salopp sagen, im Vergleich zu dem äußerst ordinären und asozialen
Fußball gehört nicht viel dazu, elitärer zu sein – nachdem, was man in Frankfurt
gestern wieder vor und nach dem Spiel auf den Straßen erleben durfte."
Kenji: "Ich
finde Fußball überhaupt nicht asozial."
Wanek:
"Zumindest die Fans. Fußball mag ja noch okay sein."
Kenji: "Ich
sitze jede Woche im Stadion und genieße Sport."
Wanek: "Das
tut mir leid."
Als nächstes
sprechen beide über Russland und Präsident Putin. Wanek ist der Ansicht, dass
Deutschland engere Beziehungen zu Russland anstreben sollte. Kenji ist dagegen.
"Wenn man das rein praktisch sieht, bleibt uns gar nichts anderes übrig, weil
wir uns über das Öl und das Erdgas so abhängig von Russland gemacht haben",
argumentiert Wanek. Für ihn ist Wladimir Putin noch der "Vernünftigste" unter
Staatschefs wie Donald Trump und Recep Erdogan, die er als "irre" bezeichnet.
"Man weiß zu 100 Prozent, was Putin macht und was er von Deutschland braucht."
Kenji: "Das
ist zutreffend formuliert. Sicher geht es in die richtige Richtung, sich mit
Russland zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Wir wissen zu wenig und sind
zu voreingenommen. Ich habe aber eine gewisse Distanz und gesunde Skepsis,
gerade gegenüber Despoten wie Putin."
Wanek: "Er
ist kein Despot. Dieses Wort bezeichnet einen unkalkulierbaren, willkürlichen
Alleinherrscher. Das ist Putin nicht. Er handelt rational und ist
wandlungsfähig."
Am Ende des
Gesprächs posieren die beiden noch für ein gemeinsames Foto. Es zeigt eine Frau
und einen Mann, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen, sich anschauen und
lachen. Bevor Kenji und Wanek wieder in ihre Alltagswelten zurückkehren, sagt
Wanek zu, dass er sich bei seiner Debattenpartnerin melden wird, um sich mit ihr
zu treffen. Dieses Mal dann nicht in einem Café, sondern auf der
Zuschauertribüne, um sich ein Hockeyspiel anzuschauen.