Blenden wir 45 Jahre zurück auf den
14. August 1936. Berlin-Grünau, Finalrennen der olympischen Ruderregatta, trotz
strömenden Regens vollbesetzte Tribünen. Zwei Goldmedaillen ‒ im Vierer mit
Steuermann und Zweier ohne Steuermann ‒ hatte Deutschland schon errungen.
Nun liegen die Einer am Start. Barrow
(USA), Campbell (Kanada), Hasenöhrl (Österreich), Schäfer (Deutschland). Giorgio
(Argentinien), Rufli (Schweiz), das sind die sechs Skuller, die nach olympischem
Gold greifen. In den Vorentscheidungen schon hängengeblieben der Pole Verey,
Europameister 1933 und 1935, und auch der Olympiasieger von 1932 und 1928, der
Australier Pearce. Natürlich drückt man die Daumen für Gustav "Gummi" Schäfer
aus Dresden. Er enttäuscht auch nicht die Hoffnungen, bei 200 m führt er bereits
vor Hasenöhrl und baut seinen Vorsprung bis 1.000 m auf über zwei Längen aus.
Um die Plätze wird hart gerungen,
aber unberührt zieht "Gummi" seine Bahn und wird mit zwei Längen Vorsprung
Olympiasieger. Auf den Plätzen Hasenöhrl, Barrow, Campbell, Rufli und Giorgio.
Nach dem Zieldurchgang läßt "Gummi" beide Skulls fahren ‒ ohne ins Wasser zu
fallen ‒ und wirft die Arme jubelnd hoch.
Nach Siegerehrung und
Ehrenrunde fällt er seinem Trainer Cordery voller Dankbarkeit um den Hals. "Ohne
Cordery hätte es sicherlich keinen Olympiasieger Schäfer gegeben." Dieser
Ausspruch ist bestimmt nicht übertrieben. Seit 1933 trainierte er unter dem
Engländer G. D. Cordery und vertraute sich dessen bewundernswerter
Unterrichtsweise grenzenlos an. Jedoch, die Leistung des Ruderers und die seines
langjährigen Lehrmeisters gehören untrennbar zusammen.
Mit diesem Olympiasieg hatte Gustav Schäfer
das größte Ziel eines jeden Ruderers erreicht. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn
trat er von der aktiven Ruderbühne ab.
Gustav Schäfer feiert die Vollendung seines
75. Lebensjahres |
Wie verlief nun die sportliche
Laufbahn von Gustav Schäfer bis zu diesem 14. August 1936? Am 22. September 1906
wurde er in Johanngeorgenstadt in Sachsen geboren, erlernte das Bäckerhandwerk
und übte diesen Beruf in Dresden aus. Dort entdeckte er schon in sehr jungen
Jahren seine Liebe zum Wasser. Er ging aber in das Wasser und wurde Schwimmer
und Wasserballer. Dabei reichte es schon zu regionalen Erfolgen. Er war auch
Mitglied der 4x200-m-Staffel des Dresdner Schwimmvereins, der einige Zeit den
deutschen Rekord hielt. Über die Schwimmerei kam er auch zur Ruderei und, wie
das so ist, kleine Zufälle haben oft große Auswirkungen.
Im Schwimmbad, in dem die Dresdner
Schwimmer trainierten, hatten die Ruderer auch einen Ruderkasten stationiert.
bei dessen Auf- und Abbau die Schwimmer den Ruderern kameradschaftlich halfen.
Eines Tages standen Schwimmer und Ruderer nach dem Training gemeinsam unter der
Dusche. Die Schwimmer meckerten, sie hätten gern einmal wieder eine
Tanzveranstaltung gemacht, der knauserige Vorstand rückte allerdings kein Geld
für einen Saal heraus. Einige Zeit später flatterte den Schwimmern eine Einladung
des Dresdener Rudervereins ins Haus, in dem sich die Ruderer beehrten, die
Herren Schwimmer zu einer Tanzveranstaltung ins Bootshaus einzuladen. Bei diesem
Tanzabend sprach der Vorsitzende des Dresdner Rudervereins Gustav Schäfer an, ob
er nicht Lust hätte, einmal zu rudern. Warum nicht dachte sich "Gummi", er
probierte es, fand Spaß an der Sache und wurde am 15. März 1929 Mitglied im
Dresdner Ruderverein.
Seinen Spitznamen "Gummi" brachte er
übrigens von den Schwimmern schon mit zu den Ruderern. Sein Schwimmverein hatte
einmal einen Mannschaftskampf auszutragen. Der für die 1.500-m-Strecke
vorgesehene Schwimmer konnte nicht starten. Gustav Schäfer wurde von seinem
Trainer überredet, auf dieser für ihn ungewohnten Strecke zu starten, vielleicht
könnte er zwei Punkte für die Mannschaft ergattern. Zu aller Überraschung gewann
er dieses Rennen. Er hängte sich einfach an den Favoriten an und überspurtete
ihn im Endspurt. Sein perplexer Gegner äußerte nach dem Rennen: "Ich konnte
nichts machen, der Schäfer klebte zäh wie Gummi an mir." Und schon hatte Gustav
Schäfer seinen Spitznamen "Gummi" weg.
Mit knapp 23 Jahren also kam
Deutschlands einziger Olympiasieger im Einer erst zur Ruderei. Natürlich brachte
er eine große Begabung für das Rudern mit. Sein schneller Aufstieg als Ruderer
war aber auch seiner sehr guten von jung auf betriebenen athletischen
Grundausbildung zu verdanken. Gewisse Parallelen gibt es aber auch in der
heutigen Ruderei. Die rumänische Olympiasiegerin von 1980 und diesjährige
Weltmeisterin Sanda Toma, die Weltmeisterschaftszweite Beryl Mitchell
(Großbritannien) und auch die diesjährige Deutsche Meisterin Diana Imping aus
Essen kamen verhältnismäßig spät aus anderen Sportarten zum Rudern, gemeinsam
ist ihnen die gute athletische Grundausbildung, die sie aus der vorher
betriebenen Sportart mitbrachten. Man muß also nicht als Kind bereits mit dem
Rudern beginnen, um erfolgreich zu sein.
Nun aber wieder zu "Gummi" Schäfer.
Im Juni 1929 errang er bereits seinen ersten Sieg im Anfänger-Vierer in Dresden.
Sein erster großer Erfolg war der Sieg im Jungmann-Achter in Breslau im gleichen
Jahr. Im Einer versuchte er sich auch schon 1929 auf der Vereinsregatta in
Dresden und gewann auch gleich die Vereinsmeisterschaft (im Klinkerskiff). 1930
ruderte er aber wieder im Riemenboot und hatte auch dort schöne Erfolge
aufzuweisen. 1931 stieg er dann endgültig in den Einer und gewann unter der
Trainingsleitung von Gerhard Vogt vier Einer-Rennen. 1932 kamen dann die Siege
in "Ersten Einern". In diesem Jahr traf er auch zum erstenmal auf Cordery. Vor
seinem Start in Hamburg hatte er dort eine Woche bei ihm trainiert. Im Frühjahr
1933 kam dann Cordery als Trainer zum Dresdner RV, und von da an war das Gespann
Cordery-Schäfer unzertrennlich.
1934 wurde Gustav Schäfer erstmals
"Meister von Deutschland" im Einer vor Dr. Herbert Buhtz. Erst in diesem Jahr
absolvierte er seinen ersten Auslandstart, und zwar gleich bei der
Europameisterschaft in Luzern. Als er diese gewonnen hatte, stand er schlagartig
im Blickpunkt auch der internationalen Ruderwelt. Die Bäume sollten aber nicht
in den Himmel wachsen. 1935 gewann er alle großen Einerrennen, nur bei der
Deutschen Meisterschaft, da ging alles schief. Deprimiert wollte er mit der
Ruderei Schluß machen. Es war Cordery, der ihn zum Weitermachen überredete.
Ruderexperten der
Rudergemeinschaft Flörsheim-Rüsselsheim auf der Terrasse des Flörsheimer
Bootshauses 1950 (Gerhard Ruppert, Gustav Schäfer, Friedrich Traiser, Max
Ehlert) |
Im Herbst 1935 wurde in Dresden die
Skullerzelle zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Berlin 1936
gegründet. Im Frühjahr 1936 ging die Skullerzelle nach Berlin-Grünau.
Als Verwaltungsangestellter im
Staatsdienst seit 1934 hatte Gustav Schäfer genügend Zelt zum Training. In der
Skullerzelle wurde konsequent auf die Olympische Ruderregatta hingearbeitet, das
Training verlief optimal. Nach den Ausscheidungen innerhalb der Skullerzelle
stand fest, daß bei den Olympischen Spielen Gustav Schäfer den Einer und Kaidel
/ Pirsch den Doppelzweier fahren sollten. "Gummi" wäre aber genauso gern mit
seinem Freund und Kumpel "Bubi" Kaidel (Schweinfurt) im Doppelzweier gefahren.
Dieses Paar hatte ja auch in dieser Bootsgattung schon einige Erfolge errungen.
Gerührt denkt heute Gustav Schäfer an seine enge Freundschaft mit "Bubi" Kaidel
zurück, mit dem er während des harten Trainings manchen Streich ausführte.
"Bubi" Kaidel organisierte öfters einige Bierchen über die vom strengen Trainer
Cordery pro Tag genehmigte "Halbe" hinaus.
Wie bereits erwähnt, machte "Gummi''
Schäfer nach seinem Olympiasieg mit der aktiven Ruderei Schluß. Er bildete sich
beruflich weiter, wurde 1939 bei Kriegsausbruch Soldat, war in Frankreich und in
Rußland eingesetzt und kehrte 1947 aus russischer Gefangenschaft nach (Ost-)Berlin
zurück. Georg von Opel ermöglichte ihm dann die Übersiedlung in den Westen.
Gustav Schäfer wurde Mitbegründer der Deutschen Olympischen Gesellschaft, baute
diese mit auf und zog für den Olympischen Gedanken werbend durch die Lande. Ganz
konnte er die Ruderei doch nicht lassen und fuhr in den Jahren 1951 bis 1953 für
Rüsselsheim und Frankfurt AH-Rennen.
1955 bis 1961 war er
beruflich in Wilhelmshaven tätig und trainierte dort auch die Ruderer. 1961
führte ihn sein Berufsweg nach München, wo er auch bis 1964 den Münchener RSV
Bayern trainierte. Hierbei führte er Utz Lichtenberg zum Eichkranzsieg im Einer.
Seit 1971 ist Gustav
Schäfer nun "Rentner". Seine Vitalität und Verbundenheit zur Ruderei hat er aber
nicht verloren. Bei den Meisterschaftsregatten, die in München in den letzten
Jahren stattfanden und selbstverständlich auch bei der Ruder-WM in München war
er begeisterter Zuschauer. 1979 verlieh ihm der Deutsche Ruderverband die
goldene Ehrennadel für 50jährige Mitgliedschaft im DRV.
Gesundheitlich machte er
in den letzten Jahren sehr schwere Zeiten durch. Er mußte sich mehreren
Hüftoperationen unterziehen. Hierbei war ihm seine Frau die größte Stütze. Wenn
er auch im Gehen behindert ist, so hat er nun doch keine größeren Beschwerden
mehr und konnte seinen 75. Geburtstag fröhlich und unbeschwert im Kreise vieler
Gratulanten feiern. An der Aufarbeitung der vielen Glückwünsche, die ihm aus der
ganzen Sportwelt zugingen, hat er nun noch einige Zeit zu tun, zum Teil wird er
dies auch in seiner Wochenendwohnung in Aschau, in die er sich gern zurückzieht,
tun.
Wenn der Spruch stimmt: "Totgesagte
leben sehr lange'', so hat er noch viele Jahre vor sich. Im Jahre 1961 schrieb
nämlich die Ost-Berliner Zeitung "Der Morgen", daß Gustav Schäfer im Krieg
gefallen sei. Diese Zeitungsente, aber vor allem seine ungebrochene Vitalität
läßt uns noch auf viele Jahre fröhlichen Beisammenseins mit unserem "Gummi"
hoffen.