|
Über Mitglieder des
RRK (2017)
Fritz Schmidt jr. |
Sonja Petersen und Fritz Schmidt zeigen
ein Foto der früheren Tankstelle Schrod in der Ringstraße (heute Rugbyring)
/ Ecke Berliner Straße aus den 1950er Jahren. Heute steht dort ein
Autopavillon. |
Heimat- und Industriemuseum
Von der Hinterhofpumpe zur Tankstelle:
Vergessene Orte Rüsselsheims
Vor einem halben
Jahrhundert prägten zahlreiche Tankstellen das Bild der Stadt. Seitdem hat sich
viel verändert. Auf Spurensuche begab sich das Stadt- und Industriemuseum.
Von RÜDIGER
KOSLOWSKI (aus "Rüsselsheimer Echo" vom 02.11.2017)
Man muss schon ein
paar Jahre auf dem Buckel haben, um diese Namen zu kennen: Tankstelle Schrod in
der Frankfurter Straße 38 (ab Mitte der 1950er Jahre), Tankstelle Schrod
Ringstraße (später Rugbyring) / Ecke Berliner Straße, Tankstelle Georg Dukorn in
der Ringstraße (1960er Jahre) oder gar die Zapfsäule in den 1920er und 1930er
Jahren vor dem von Wilhelm Kröcker geführten Hotel Adler. Die erste Tankstelle
besaß Emanuel Nachmann in der Darmstädter Straße 29 in den 1920er Jahren.
Der Geruch von
Benzin kitzelte bei den Geschichten und Anekdoten auf der Tour über historische
Tankstellen förmlich in der Nase. Das Bild der Tankwarte, wie sie die
Zapfventile in die Tankstutzen steckten, schwebte lebhaft von dem inneren Auge.
Sonja Petersen von
der Universität Stuttgart, Jens Scholten vom Stadt- und Industriemuseum und
Fritz Schmidt junior, Rüsselsheimer Sammler und Autor, streiften mit rund 40
Teilnehmern durch die Innenstadt und Randgebiete, immer auf der Spur nach
historischen Tankstellen. Ein Teil von ihnen verbrauchte dabei tatsächlich
Sprit, als sie bequem vom Heimatmuseum aus mit dem Bus durch die Stadt
kutschiert wurden, die übrigen traten umweltbewusst in die Pedale ihrer
Fahrräder.
Die Tankstelle mit dem markanten Vordach
öffnete 1958 in der Mainzer Straße 82 – 84 seine Türen. In den 1960er Jahren
betrieb Eduard Dengler die Tanke. |
Teil der
Kulturgeschichte
Petersen
beschäftigt sich in ihrer kulturgeschichtlichen Forschungsarbeit mit Tankstellen
im 20. Jahrhundert. "Tankstellen sind vergessene Orte der Stadt", sagte sie.
Wohl wahr. 1931 gab es in Rüsselsheim bei einer Einwohnerzahl von 10.000
Menschen elf Tankstellen, 1979 waren es bei 62.000 Einwohnern 53 Tankstellen,
1985 bei 57.000 Einwohnern nur noch 18, informierte Scholten.
Das große
Tankstellensterben setzte bereits in den 1970er Jahren ein, so Petersen. Grund
war die Bündelung von Konzernen, um rentabler zu wirtschaften. Getroffen hat es
vor allem die kleinen Tankstellen. Doch zunächst fassten die Verkaufsstellen für
Treibstoff seit den 1920er Jahren in Rüsselsheim Fuß. Werkstätten, Gaststätten
und Hotels betrieben diese zunächst nur als Nebenerwerb. Sie waren bekannt als
Hinterhofpumpe, Tankwagen, Fass- und Kannenhändler sowie Bürgersteigpumpe. Vor
dem Hotel Adler stand eine Zapfsäule am Bordstein, die sogenannte Eiserne
Jungfrau. "Ein monumentales Teil", war Schmidt begeistert von der Zapfsäule mit
dem gusseisernen Fuß.
Der Begriff
Tankstelle sei 1927 erstmals aufgetaucht. Ab den 1930er Jahren "wurden die
Tankstellen vom fließenden Verkehr getrennt", sagte Petersen. Ab den 1950er
Jahren wandelte sich der Kraftstoffverkauf zum Haupterwerb – es entstand ein
Tankstellenboom. Seit den 1920er Jahren beherrschte der Wunsch nach einem Auto
eine breite Schicht, seit den 1950er Jahren wurde das Auto zu einem
sozialintegrativen Faktor, das Auto veränderte sich vom Luxusgefährt zum
Gebrauchsgegenstand. Die Tankstellen machten diese Status-Veränderung mit.
Bedeutung des
Shops
Die
Großdachtankstellen – ein Dach, das den Tankraum überspannte mit einem kleinen
Gebäude – waren sichtbare Zeichen des Wandels. Die Tankstellen unterschieden
sich hauptsächlich durch die Farbe der Konzerne. Ein architektonisches
Überbleibsel ist das Gebäude in der Mainzer Straße 82 ‒ 84 mit dem im
Betonfundament verankerten bogenförmigen Dach.
In den 1980er
Jahren veränderten sich die Tankstellen erneut. Die Tankstellenshops gewannen an
Bedeutung, das Benzin wurde zum Nebenprodukt. Der frühere Tankwart, der die
Fahrzeuge betankte, stand nun hinter der Kasse.
Waren die
Tankstellen nicht mehr rentabel, wurden die Gebäude mitunter neu genutzt. So
wurde beispielsweise in den 80er Jahren aus der Tankstelle der Familie Schrod in
der Ringstraße / Ecke Berliner Straße die "Brottankstelle" des Mühlheimer
Bäckers Georg Heberer. Mithin eine der ersten zweckentfremdeten Tankstellen der
Stadt.
Das Stadt- und
Industriemuseum sucht noch Fotodokumente von Tankstellen, Benzinpumpen oder
Zapfsäulen. Ansprechpartner ist Jens Scholten unter der Telefonnummer (0 61 42)
83 29 52 und per E-Mail an jens.scholten@ruesselsheim.de.
In der Frankfurter Straße 85 betrieb die
Familie Schrod eine von mehreren Tankstellen. |
Wo einst Zapfsäulen standen
Stadtgeschichte: Ein Rundgang durch Rüsselsheim auf den Spuren ehemaliger
Tankstellen
Von Joachim Weiss
(aus "Main-Spitze" vom 02.11.2017)
Plätze vergangener
Tankstellen-Geschichten in Rüsselsheim waren Stationen eines Rundgangs, den
Fritz Schmidt jun., Dr. Jens Scholten vom Stadt- und Industriemuseum und Dr.
Sonja Petersen von der Universität Stuttgart anboten. Aus Adressbüchern,
Branchenverzeichnissen, Telefonbüchern und historischen Fotos erarbeiten sie das
Projekt "Zum (Nach)-Leben der Rüsselsheimer Tankstellen". Unter Leitung von
Fritz Schmidt jun. starteten die rund 25 geschichts- und autointeressierten
Teilnehmer zur ersten Tankstelle. Diese gab es in der Schillerstraße 2 in Form
einer Zapfsäule am Restaurant "Schwan".
Verkauf zunächst
meist als Nebenerwerb
Typisch für diese
Zeit sei der Verkauf als Nebenerwerb gewesen. Auf der anderen Seite, der
Frankfurter Straße, entstand in den Nachkriegsjahren die Aral-Tankstelle der
Familie Schrod, die mehrere Tankstellen betrieb. Historische Fotos zeigen die
Tankstellen an der Umgehungsstraße. Ein Bild weist schon zu dieser Zeit den
Verkauf von Brötchen nach. In diesen Jahren habe man vom reinen
Kraftstoff-Verkauf noch leben können. Dies bestätigten die als Zeitzeugen
anwesenden Eduard Dengler und Lutz Dähne, die selbst Tankstellenbesitzer waren.
Der nächste
"Tankstopp" fand am Vernapark an der Taunusstraße statt. Hier erläuterte
Petersen die Wandlung der Tankstellen. Als wichtigen Teil der urbanen
Infrastruktur erfuhren sie aufwendige Architektur. Sie rückten weg vom
Straßenrand und bildeten Plätze mit Zu- und Ausfahrt. So entstanden
Großdach-Tankstellen mit kleinen Gebäuden für Kasse und Verkauf. Es begann die
Umstellung zur Selbstbedienung. Damit wurde der Tankwart zum Kassierer. Der
Beruf des Tankwarts war bis dahin ein Lehrberuf. An der Ecke
Taunusstraße/Frankfurter Straße war eine VK-Tankstelle beheimatet
(Volkskraft-Tankstelle), die Georg von Opel in Besitz hatte. Er wollte weg vom
Preismonopol der Mineralölkonzerne und bot das Benzin billiger an. Seine 176
Tankstellen verkaufte er 1969.
Am Hotel Adler
stand, belegt durch historische Fotos, eine einzelne Zapfsäule am Straßenrand.
Dieser Typ sei "Eiserne Jungfrau" genannt worden und habe sich durch eine in
Glas eingefasste Top-Leuchte ausgezeichnet. Bei der Firma Shell sei dies eine
beleuchtete Muschel gewesen. Auf Fotos sahen die Teilnehmer die Olex-Zapfsäule,
die später zu BP wurde. Gemäß Telefonbuch von 1931 war am Marktplatz 6 Peter
Schmidt mit seinem Treibstoffhandel einer von elf Tankstellenbetreibern in der
damals 10.000 Einwohner zählenden Stadt. Auf einer alten Fotografie mit dem
abgebildeten alten Rathaus sieht man daneben eine Werbung für B.V. Aral.
HISTORISCHES
Die kulturpolitische Einführung übernahm Sonja
Petersen und erläuterte den Start der Treibstoffversorgung.
In den 1920er Jahren seien Treibstoffe aus Kannen,
aber auch aus von Pferden gezogenen Tankwagen verkauft worden, wie Petersen
erläuterte. Am Ende dieses Jahrzehnts habe man begonnen, Zapfsäulen an den
Straßenrand zu bauen.
Die Veräußerung von Benzin und ähnlichen Produkten sei
zunächst nur Nebenerwerb von Apotheken, Restaurant-Betrieben und Hotels
gewesen.
Erst ab 1930 begann die Versorgung als Hauptprodukt.
In den 1950er/60er Jahren entstand die Boomzeit der Tankstelle. Danach sei
der Treibstoffverkauf mehr und mehr zum Nebenprodukt geworden.
1979 habe es in Rüsselsheim 53 Tankstellen bei 62.000
Einwohnern gegeben. 1985 seien es dann bei gleicher Einwohnerzahl nur noch
18 gewesen. (ajw) |
Der jüdische
Unternehmer Nachmann residierte an der Mainzer Straße 8 mit seiner Tankstelle
und in der Darmstädter Straße mit seinem Motorrad-Handel. Viele jüdische
Mitbürger seien von ihm ausgebildet worden, denn nur ausgebildete Handwerker
hätten in Palästina einreisen dürfen. Seine Betriebe wurden in der Nazizeit
ruiniert und er selbst später ermordet. Die an dieser Stelle eingelassenen
Stolpersteine sollen daran erinnern. Weiter führt die Tour zur Karlstraße, an
deren Ecke Familie Nowak ihre Frisia-Tankstelle und ihren Reifenhandel betrieb.
Zum Abschluss
landete die Gesellschaft an der früheren Texaco/Caltex-Tankstelle, Mainzer
Straße 82. 1958 gebaut, steht sie mit ihrem Spannbetondach heute unter
Denkmalschutz. Eduard Dengler, der frühere Betreiber, erzählte anschaulich aus
dieser Zeit. Diese Tankstelle habe sich als sozialer Treff einen Namen gemacht.
Zum Abschluss baten
Dr. Jens Scholten und Fritz Schmidt jun. eindringlich um Hilfe für dieses
Projekt. Gesucht werden Zeitzeugen, die historische Tankstellen in Rüsselsheim
noch beschreiben und Fotos liefern können. Mit diesem Appell endete der
spannende, amüsante und lehrreiche Ausflug in die Geschichte der Rüsselsheimer
Tankstellen. |