Das Interview
führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 10.09.2022)
Nach jeweils 70
Minuten ohne Gegentreffer im Halbfinale und Endspiel der Olympischen Spiele 1972
spielt ausgerechnet jetzt die Gesundheit nicht mit. "Das ist schon sehr bitter",
sagt Peter Kraus, Torwart des Hockey-Nationalteams, das am 10. September vor
exakt 50 Jahren in München Titelverteidiger Pakistan vor 16.000 Zuschauern mit
1:0 bezwang. Während die anderen zehn noch lebenden Akteure des ersten deutschen
Goldmedaillenteams an diesem Samstag zunächst die Gedenkstätte im Olympiapark
besuchen und am frühen Abend beim ASV München empfangen werden, wird der
81-jährige Kraus daheim in Rüsselsheim in Gedanken dabei sein – und sicher den
einen oder anderen Schnappschuss aus erster Hand erhalten. Schließlich sind mit
Fritz Schmidt (79) und Rainer Seifert (74) weitere Helden des Rüsselsheimer RK
vor Ort, die ebenfalls zum 18-köpfigen Kader des im Januar verstorbenen
Bundestrainers Werner Delmes gehörten.
Herr Kraus, wie
sehr schmerzt es Sie, bei der Jubiläumsfeier in München nicht dabei sein zu
können?
Das ist schon sehr,
sehr traurig, zumal ich bislang immer dabei war, seitdem wir uns 1982 das erste
Mal getroffen haben. Aber immerhin bin ich irgendwie ja doch vertreten, denn
meine Torwartschienen und mein rotes Ausgeh-Jackett von damals sind ja in einer
Sonderausstellung im Mineralogica-Museum zu sehen. Und ich konnte Anfang Juli ja
beim Zusammentreffen aller west- und ostdeutschen Medaillengewinner in München
dabei sein, was wirklich eine fantastisch organisierte Veranstaltung war. Von
den rund 150 Personen kamen 80 Prozent aus dem Osten, und es war wirklich sehr
interessant, mal mit denen zu reden und zu hören, wie die das damals erlebt
haben.
Herr Seifert,
Herr Schmidt, im Gegensatz zu Peter Kraus, der in fünf Begegnungen zwischen den
Pfosten stand und unter anderem bereits mit zwei gehaltenen Siebenmetern beim
2:1-Sieg im Gruppenspiel gegen Pakistan geglänzt hatte, waren Sie beide deutlich
weniger am Ball und haben ihre Goldmedaillen auch erst im Nachhinein in Bonn
überreicht bekommen. Ist das Gefühl, zum Triumph beigetragen zu haben, deshalb
weniger ausgeprägt oder bleibt es trotzdem der größte Erfolg Ihrer Laufbahn?
Schmidt: Auf jeden
Fall ist das der größte Erfolg gewesen. Ich war einfach froh, überhaupt dabei zu
sein. Ich hatte mir ja im letzten Vorbereitungsspiel die Hand gebrochen, und da
der Meldeschluss vorbei war, konnte Dirk Michel nicht mehr nachrücken. Ich habe
zwar im letzten Gruppenspiel beim 4:0 gegen Frankreich 20 Minuten gespielt, mich
aber dann nach der Frage des Bundestrainers, wie es aussieht, entschieden, zu
verzichten. Wenn ich nominiert worden wäre und hätte schlecht gespielt und das
Ding wäre in die Hose gegangen, wäre das Geschrei groß gewesen. Aber ohne den
Rainer wären wir gar nicht so weit gekommen. Der hat ja beim 2:1-Sieg über
Argentinien beide Tore geschossen.
Seifert: Ich war
ebenfalls in erster Linie froh, dabei zu sein. Natürlich wäre ich gerne mehr als
zweimal zum Einsatz gekommen, aber es gab damals Leute, die konnten weniger gut
zurückstehen.
Gibt es
spezielle Erinnerungen an die 70 finalen Minuten?
Seifert: Ich
erinnere mich, dass Horst Dröse im Endspiel alleine vor dem Tor stand und den
Ball nicht reingemacht hat. Für mich war Pakistan im Vorfeld immer noch der
Favorit.
Kraus: Ich weiß
noch, dass der argentinische Schiedsrichter extrem arrogant rumgemacht hat. Vor
dem Finale habe ich mich Schlafen gelegt, was den damaligen Co-Trainer Klaus
Kleiter total auf die Palme gebracht hat. Aber so bin ich dann ganz ausgeruht in
mein letztes Länderspiel gegangen.
Wurde die
Siegesfreude in der DHB-Mannschaft dadurch getrübt, dass die erfolgsverwöhnten
Pakistani sich bei der Siegerehrung beispiellos daneben benommen und unter
anderem ihre Silbermedaillen in die Badelatschen gesteckt haben?
ZU DEN PERSONEN
Peter Kraus (81) hat zwischen 1969 und 1972 in
26 Länderspielen das DHB-Trikot getragen, wobei nach dem EM-Triumph 1970 das
letzte von Olympiagold gekrönt wurde. Der gebürtige Rüsselsheimer war 46
Jahre lang als Polsterer bei Opel beschäftigt und hat seine Goldmedaille
inzwischen seinem ältesten Sohn überlassen. Mit dem Rüsselsheimer RK wurde
er sechs Mal Deutscher Meister.
Rainer Seifert (74) war als gelernter
Dekorateur bis 2006 als technischer Zeichner im Opel-Werk tätig und setzt
seine künstlerisch, gestalterischen Talente immer wieder speziell für den
72er-Olympiakreis um. Für die 50-Jahr-Feier hat der trickreiche und
torgefährliche Stürmer (122 Länderspiele) ein Armbändchen sowie eine
Glastafel designt und selbst angefertigt.
Fritz Schmidt (79) hat mit insgesamt fünf
Filialen bis 2003 die Rüsselsheimer Bevölkerung und die Firma Opel mit
Backwaren versorgt. Analog zu Seifert war er an allen acht DM-Titelgewinnen
des RRK zwischen 1968 und 1981 beteiligt und führte in etlichen seiner
insgesamt 146 Länderspiele zwischen 1963 und 1976 die Nationalmannschaft als
Kapitän aufs Feld. Seit vielen Jahren hat sich der zweifache Vater und
Großvater dem Golfsport verschrieben, mit einem niedrigen einstelligen
Handicap. |
Schmidt: Ich saß ja
wie Rainer auf der Tribüne und habe das erst nachträglich richtig mitgekriegt.
Während der Nationalhymne guckt man ja eher in Richtung der Fähnchen.
Kraus: Ich war der
Erste, der das gesehen hat, und habe daraufhin unseren Kapitän Carsten Keller
angestupst. Aber wir hatten gewonnen, und das hat gezählt. Für mich war es
schlimmer, dass nur 13 Spieler auf dem Treppchen standen.
Seifert: Ich habe
mich gewundert, wie die sich benommen haben. Und ich weiß noch, wie so ein
Manager von denen mit einer grünen Kutte da wild rumgewunken hat und die
Mannschaft offenbar zum Verlassen des Platzes animieren wollte. Richtig schlimm
muss es hinterher in deren Kabine zugegangen sein, was zwei Spieler von uns
mitbekommen haben, die zur Dopingkontrolle mussten.
Das verheerende
Attentat auf die israelische Mannschaft lag fünf Tage zurück. Wie schwer ist es
gefallen, den Worten des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage „the games
must go on“ zu folgen und war diese Herangehensweise rückblickend vorbehaltlos
richtig?
Kraus: Man hat sich
schon gefreut, dass es weiterging. Als ich das gesehen hatte, habe ich schon
meine Schienen zusammengepackt und mich mit dem holländischen Ersatztorwart
unterhalten, der dann auch tatsächlich heimgefahren ist. Die Entscheidung war
vollkommen richtig, denn sonst hätten solche Leute es ja ganz leicht gehabt,
immer wieder so etwas zu machen.
Schmidt: 80 Prozent
der Sportlerinnen und Sportler waren dafür, dass es weiterging. Aber wie das in
Fürstenfeldbruck gelaufen ist, war natürlich absolut dilettantisch.
Auch 1984 und
1988 hat es jeweils eine, 1992 insgesamt sechs Medaillen und 2004 sogar noch
einmal drei olympische Goldmedaillen für Spielerinnen und Spieler des
Rüsselsheimer Ruder-Klubs (RRK) gegeben. Wie sehr schmerzt es, dass die Frauen
an diesem Wochenende erneut zweit- und die Männer sogar weiterhin viertklassig
in die Saison starten?
Kraus: Die anderen
beiden sind selten auf dem Platz. Ich bin fast immer da und schaue sogar die
Spiele der zweiten Mannschaften oder der Jugend an, und ich muss sagen, dass es
mir wirklich schwer wehtut.
Seifert: Ich
informiere mich regelmäßig im Internet über die Ergebnisse und hätte nie
gedacht, dass die Männer mal so weit abfallen könnten. Es sind ja immer mal
wieder ein paar gute Spieler dabei, aber dann bieten andere Vereine einen
Studienplatz, ein Auto oder sonst was, und dann sind sie weg.
Schmidt: Zu unserer
Zeit hat es maximal Fahrtkosten für Auswärtige gegeben. Und manche wollten gar
nichts haben, sondern einfach nur bei uns spielen.
Olympische
Spiele in Deutschland hat es seit 1972 nicht mehr gegeben. Würden Sie trotz
massiver Vorbehalte in Sachen ausufernder Kommerzialisierung und zu geringer
Nachhaltigkeit für sich selbst sagen, dass es dennoch das größte Ereignis im
Sportlerleben ist und eine Neuauflage auf deutschem Boden schön wäre?
Seifert: München
war bis zum 5. September das Beste, was ich erlebt habe. Die ganze Gestaltung
mit dem Zelt war wirklich einmalig. Vier Jahre später in Montreal sind wir von
Polizeikolonnen und Hubschraubern bis zum olympischen Dorf begleitet worden.
Schmidt: München
war im Vergleich mit Mexiko und Montreal wirklich ein Traum. Die Fußballer,
darunter Uli Hoeneß, haben direkt über uns gewohnt, und die Hockeyplätze lagen
direkt um die Ecke. In Montreal haben wir fast nur im Bus gesessen, sind zwei
Stunden hin und her gefahren. Die Europaspiele in München jetzt haben gezeigt,
dass man dort mit geringem Aufwand wieder Olympische Spiele austragen könnte. Es
ist ja fast alles da.
Kraus: Das war ein
Riesenfest damals. Wir haben Nädelchen getauscht und die Afrikaner haben
getanzt. Ich würde mich freuen, wenn das nochmal in Deutschland stattfinden
würde. Aber ich sage seit 30 Jahren, dass Olympische Spiele eigentlich immer am
gleichen Ort stattfinden sollten. Das wäre das Ökonomischste.
Nationalteams
Aus "https://magazin.hockey.de"
vom 12. September 2022
Zu Ehren der
Olympiasieger von 1972 fand am vergangenen Wochenende (10./11. September) ein
Zusammentreffen der Olympiasiegerinnen- und Olympiasiegermannschaften von 1972,
1992 und 2004 statt. Die DHB-Präsidentin Carola Morgenstern-Meyer, die 2004
Teammanagerin der Olympiadamen war und der erfolgreichste deutsche Hockeytrainer
aller Zeiten Markus Weise-von-Livonius waren ebenfalls anwesend. Zusammen mit
dem "Volvo E.R.B. Auto Zentrum" wurden unsere Heldinnen und Helden von 72, 92
und 04 gebührend gefeiert.
Bereits am
Freitagabend trafen die Olympiasiegerinnen von 2004 in München ein, bevor sich
alle Teams am Samstag im Ehrenhain im Münchner Olympiapark versammelten. Das
Datum und der Zeitpunkt des Treffens, 10. September 2022 um 12 Uhr, war kein
Zufall. Genau 50 Jahre zuvor wurde nämlich das olympische Finale der Herren
zwischen Deutschland und Pakistan angepfiffen.
Von 1956 bis 1992,
also über 30 Jahre, war Pakistan eine echte Übermacht im Hockey. Das spiegelt
sich in drei olympischen Goldmedaillen, drei Silber- und zwei Bronzemedaillen in
diesem Zeitraum wider. Nachdem Pakistan im Halbfinale 1972 mit 2:0 gegen
Erzrivalen und zweite Übermacht Indien gewann, gingen die Pakistaner mit viel
Selbstbewusstsein in das Endspiel gegen das Team der Bundesrepublik Deutschland.
15.000 Zuschauerinnen und Zuschauer waren damals auf der Anlage am nördlichen
Rand des Olympiaparks in München, als kurz vor Abpfiff der deutschen Mannschaft
die 1:0 Führung durch Michael Krause gelang. Das Spiel endete 1:0 und
Deutschland wurde zum ersten Mal Olympiasieger im Hockey. Titelverteidiger
Pakistan verkraftete die Niederlage aber nicht. Die Spieler wüteten und
weigerten sich bei der Siegerehrung, die Silbermedaille um den Hals zu tragen.
Der Weltverband sperrte Pakistan für Jahre. Die deutschen Hockeyspieler dagegen
wurden Ende des Jahres 1972 zur Mannschaft des Jahres in Deutschland gewählt.
Das Ganze vor der deutschen Fußballnationalmannschaft, die in diesem Jahr
Europameister geworden war.
Nach einer
Stadttour am Nachmittag versammelten sich am Samstagabend alle Teilnehmer*innen
beim ASV München und ließen den Tag feuchtfröhlich ausklingen. Als kleine
Aufmerksamkeit bekamen die Olympiaheld*innen vom DHB und "Volvo E.R.B. Auto
Zentrum" das Buch "Die Spiele des Jahrhunderts". DHB-Präsidentin Carola
Morgenstern-Meyer freute sich über ein gelungenes Wochenende: "Jeder und jede
hat am Sonntagmorgen gesagt, wie schön es war und dass man so ein
Zusammentreffen öfter planen müsse. Dank unseres wunderbaren Gastgebers, dem
ASV-Vorstandsvorsitzenden Rainer Mittelstrass, und der großzügigen Unterstützung
unseres Partners "Volvo E.R.B. Auto Zentrum" ist das Ganze eine tolle Sache
geworden."