Von Katrin
Freiburghaus (aus "Süddeutsche Zeitung" vom 30. September 2018)
Frederik Gürtler
stand am vergangenen Wochenende mit gemischten Gefühlen neben dem
Hockey-Kunstrasen des Münchner Sportclub, und dafür gab es mehrere Gründe. Zum
einen verspielte sein Team beim 1:3 (0:0) gegen die Zehlendorfer Wespen wegen
eines Defensiv-Blackouts Mitte des letzten Viertels die mögliche
Zweitliga-Tabellenführung. Zum anderen hatte Gürtler das MSC-Tor hüten wollen,
musste aber kurzfristig wegen einer Zerrung im Oberschenkel passen. Diese
Situation ist für sich genommen nicht außergewöhnlich. Dass Gürtlers Vertreter
nach seiner Genesung nicht automatisch wieder ins zweite Glied rücken wird, ist
dagegen nicht die Regel. Doch seit Saisonbeginn ist der bisherige Stamm-Keeper
Gürtler nicht mehr allein: Der MSC verpflichtete Felix Reuß, einen langjährigen
Nationalspieler, der es nach einer Verletzung noch einmal wissen und zu den
Olympischen Spielen nach Tokio will.
Der MSC hat nun
zwei sehr gute Torhüter für eine Position. Das sei Luxus, aber kein
Luxusproblem, betont Trainer Patrick Fritsche; das betonen auf Nachfrage auch
Gürtler und Reuß. Denn was nach einem Konfliktherd der Extraklasse klingt, ist
nichts, was dem MSC einfach so zugestoßen wäre. Fritsche wollte es so, weil er
die Konstellation als "Win-win-Situation" betrachtet. "Felix kann bei uns neben
dem Job sein Ziel verfolgen, und wir haben die beiden besten Torhüter der Liga",
sagt er. Um zu verstehen, wie das funktionieren soll, muss man wissen, dass
Gürtler und Reuß nicht um den Platz im Tor konkurrieren, sondern ihn sich
teilen. Das ist ein entscheidender Unterschied, den Fritsche in vielen
Gesprächen mit den Spielern herausarbeitete, wie er sagt.
Die A-Knaben des RRK
sind Hessenmeister 2008 im Hallenhockey, erreichen den 3. Platz bei der
"Süddeutschen" und fahren zur "Deutschen" (hinten: Hendrik Burmeister,
Marc Syväri, Niklas Isselhard, Marius Knoll, Niklas Grimm,
Trainer Volker Schädel; vorn: Torwart Frederik Gürtler, Hendrik Jordan,
Konstantin Brandt, Tobias Hoff) |
Gürtler
betrachtet seine Situation differenziert. Der 25-Jährige sagt offen, aber
ohne Bitterkeit: "Theoretisch möchte man natürlich alles spielen, dafür
machen wir das ja, auf der persönlichen Ebene ist das ein Dämpfer." Aus
Mannschaftssicht lägen die Dinge allerdings anders. Wenn sich ein Spieler
wie Reuß vorstellen könne, in die zweite Liga nach München zu wechseln,
müsse man die Chance nutzen. "Wir sind erwachsen und Teamsportler genug,
um das Beste aus dieser Konstellation rauszuholen", sagt Gürtler.
Es ist ebenso klar
besprochen, wer wann spielt, wie die Aufgabenverteilung zwischen dem Mann auf
der Bank und dem im Tor am jeweiligen Spieltag ist. Fritsche wünscht sich auf
der Torhüter-Position ein "Team im Team", und bislang scheint sein Plan
aufzugehen. Nach dem Abpfiff gegen Zehlendorf standen Reuß und Gürtler mit
gleichermaßen leerem Blick auf dem Rasen; einzig die Kleidung gab darüber
Auskunft, wer auf dem Platz gestanden hatte. "Er passt menschlich gut hierher
und auch zu mir", sagt Gürtler über Reuß, "und deshalb können wir damit alle gut
leben." Reuß' Verpflichtung war kein Schnellschuss, sondern wohlüberlegt.
Es ist eine
typische Hockeygeschichte, die im vergangenen November begann. Damals entstand
der Kontakt während der laufenden Erstliga-Saison, in der der MSC auch gegen
Reuß' damaligen Verein, den Club an der Alster, spielte. Reuß, der die
Junioren-Nationalteams durchlief, stand im Sommer 2017 vor dem Durchbruch im
deutschen A-Kader, verletzte sich aber im letzten Lehrgang vor der World League
schwer. "Das war ziemlich dramatisch für ihn", sagt Bundestrainer Stefan Kermas.
Reuß fiel mit einem Muskelsehnenriss vier Monate aus und sortierte seine
Prioritäten neu. Im Herbst bekam er ein Jobangebot aus seiner Heimat Rosenheim ‒
und nahm es zulasten des Leistungssports an.
Für den Rest der
Saison pendelte er nur zu den Spieltagen nach Hamburg. "Aber ganz ohne Training
unter der Woche ging das nicht", sagt er. Der MSC bot ihm ‒ obwohl er Torwart
bei der Konkurrenz war ‒ an, am Mannschaftstraining teilzunehmen. Dort geschah
bis zum Saisonende zweierlei: Fritsche erlebte Reuß als "Energiespender", dessen
Humor dem Team auch neben dem Platz gut tat. Reuß merkte "durch die
Konstellation mit dem MSC, dass ich die Nationalmannschaft noch nicht abgehakt
habe". Durch die räumliche Nähe zu seiner Arbeitsstelle sei der MSC auch für
diese Saison quasi alternativlos, zumal Kermas keine Vorbehalte gegen
Nationalspieler in Zweiliga-Teams hegt. "Das ist für einen Torwart nicht so
entscheidend", findet der ehemalige MSC-Coach, "abgesehen davon haben auch schon
Olympiasieger zweitklassig gespielt". Wie Max Müller in
Nürnbergs Zweitligaphase.
"Felix greift noch
mal an und die Türen sind offen", sagt Kermas. Und sofern der MSC in seinen
verbleibenden Heimspielen umsetzt, was im Auswärtsspitzenspiel beim schärfsten
Aufstiegsrivalen in Mannheim so gut gelungen war, bleibt die zweite Liga
womöglich ein Durchgangsstadium - für Reuß und den MSC.