Von Christoph
Scheffer (aus "https://www.hessenschau.de" am 17.05.21)
Vor über dreißig
Jahren sorgte der erste schwule Kuss in der "Lindenstraße" für Aufregung. Jetzt
hat die ARD mit "All you need" eine Serie mit vier schwulen Hauptdarstellern
gestartet. Einer davon ist der Frankfurter Frédéric Brossier.
Auf den ersten
Blick könnten Langzeitstudent Vince, der geheimnisvolle Robbie, der zum Spießer
mutierende Webdesigner Levo und der erst spät geoutete Familienvater Tom nicht
unterschiedlicher sein ‒ und doch verbindet sie alle eines: die Suche nach Liebe
und Geborgenheit.
"All you need" ist
die erste queere Serie aus Deutschland. Sie erzählt die Geschichte von vier
schwulen Männern in Berlin. Einer der Hauptdarsteller ist der Frankfurter
Frédéric Brossier. Seine ersten Schauspielerfahrungen machte er während seiner
Schulzeit im "Jungen Ensemble" des Theaters Rüsselsheim.
Im
hessenschau.de-Interview erzählt er, warum die Dreharbeiten von einem
Intimitäts-Coach begleitet wurden und wie die Serie in der schwulen Community
gesehen wird.
hessenschau.de:
Du spielst den Robbie in der Serie "All you need". Was ist das für ein Typ?
Frédéric Brossier:
Robbie ist ein sehr gefühlvoller Mann, der auf seinen Körper achtet. Er macht
viel Sport und ist gleichzeitig sehr emotional und hingebungsvoll. Er ist auf
der Suche nach Zugehörigkeit.
hessenschau.de:
Ist das eine Figur, die Dir persönlich nahe ist?
Frédéric Brossier:
Ja, absolut. Auch ich bin vor zweieinhalb Jahren nach Berlin gezogen und war da
auch erstmal ein bisschen allein. Ich glaube, das geht Robbie ganz ähnlich.
Außerdem war ich ‒ wie Robbie ‒ als Kind recht pummelig (lacht). Da sind auf
jeden Fall große Berührungspunkte.
Erst küssen, dann kennenlernen: Robbie
(Frédéric Brossier, re) und Vince (Benito Bause, li) |
hessenschau.de:
Die vier Hauptfiguren von "All you need" repräsentieren sehr verschiedene Formen
von Schwulsein und von Männlichkeit. Wie kommen die miteinander klar?
Frédéric Brossier:
Die sind an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben, was ein gewisses
Konfliktpotential mit sich bringt. Da ist zum Beispiel Tom, der sich von seiner
Ehefrau getrennt hat und nun erst outet. Er möchte die Schwulenszene entdecken,
ist aber zugleich mit Levo zusammen, der sich hingegen eher setteln möchte. Aber
eigentlich sind sie sich alle wohlgesonnen und verstehen sich gut.
hessenschau.de:
Sex spielt eine wichtige Rolle in der Serie, die Szenen sind zum Teil sehr
explizit. Ihr hattet beim Dreh einen "Intimacy Coach". Wie kann der Euch bei
Sexszenen helfen?
Frédéric Brossier:
Das war sehr hilfreich. Der Intimacy Coach ist in erster Linie Ansprechpartner.
Mit ihm wird geklärt, was man bereit ist zu zeigen, wie weit man bereit ist zu
gehen, ob es Sachen gibt, die man nicht machen möchte. Die Sexszenen wurden auch
"choreografiert", also es gab eine festgelegte Abfolge. Aber es blieb uns
überlassen, wie wir dazwischen navigieren.
hessenschau.de:
Muss man selbst schwul sein, um das gut spielen zu können?
Frédéric Brossier:
Ob das gut gespielt ist, liegt im Auge des Betrachters. Aber ich würde sagen,
man muss nicht schwul sein. Dann geht es mehr darum, sich etwas an dem Gegenüber
rauszusuchen, in das man sich verlieben kann. Und dann steht die Sexualität gar
nicht mehr im Vordergrund, sondern die Liebesgeschichte.
hessenschau.de:
Manche haben kritisiert, dass gerade die erste Folge von "All you need"
Klischees zeigen würde. Welches Bild vom Schwulsein wird in der Serie
vermittelt?
Frédéric Brossier:
Ich will nicht ausschließen, dass hier auch ein bisschen mit Klischees
gearbeitet wurde, was ich auch ganz gut finde. Es gibt ja den Spruch: Klischees
sind dazu da, bedient zu werden. Aber die Figuren sind viel tiefgründiger und
widersprüchlicher und deswegen lösen wir uns in der Serie dann auch sehr schnell
von den Klischees.
Es gibt so viele
Lebensentwürfe wie es Menschen gibt und so viele schwule Liebesbeziehungen wie
es Schwule gibt. Aber es ist eben auch Fakt, dass viele schwule und queere
Menschen auf Dating-Apps unterwegs sind oder in die Schwulen-Sauna gehen. Und
das war uns auch wichtig, dass das gezeigt wird.
hessenschau.de:
Habt Ihr dazu auch Rückmeldungen aus der schwulen Community?
Frédéric Brossier:
Es gibt ganz verschiedene Stimmen. Viele freuen sich, dass das gezeigt wird, und
andere sind der Meinung, dass das überzeichnet ist. Wieder andere finden, dass
es in einer queeren Community noch viel mehr Strömungen gibt. In der Serie
können wir nicht alles abdecken, aber es kommen ja noch weitere Staffeln.
hessenschau.de:
Was kann die Serie gesellschaftlich bewegen?
Frédéric Brossier:
Ich hoffe, dass die Serie Anstoß gibt auch für andere Produktionen. Queeres
Leben umgibt uns, aber es ist nicht wirklich repräsentiert in der deutschen
Film- und Serienlandschaft. Natürlich gibt es auch immer wieder queere Rollen,
aber selten als Hauptfiguren. Ich finde es wichtig, dass sich Menschen mit
anderen sexuellen Vorlieben in Serien und Filmen auch repräsentiert sehen.
hessenschau.de:
Du bist in Rüsselsheim aufgewachsen und lebst jetzt in Berlin. Die Serie spielt
auch in Berlin. Könnte sie auch im Rhein-Main-Gebiet oder in Rüsselsheim
spielen?
Frédéric Brossier:
Es muss nicht immer Berlin sein, es könnte auch eine andere Großstadt wie
Frankfurt sein. Aber in Berlin gibt es auf jeden Fall eine große Infrastruktur
von homosexuellem und queerem Leben. Das gibt es in Rüsselsheim eher weniger. In
Berlin hat man auf jeden Fall viel mehr Spielmöglichkeiten, diese Szene zu
zeigen.