In dem
Kassenschlager "Ziemlich beste Freunde" von 2012 gibt es eine Szene, die sich
Kinogänger, die auch Theaterkritiken wie diese hier lesen, gemerkt haben
dürften. Omar Sy sitzt da als zum Krankenpfleger mutierter Proll Driss in der
Oper. Philippe, den er pflegen soll, ist ein Fan von klassischer Musik, hört
auch zu Hause ständig Mozart, Bach und Schubert, also gehört der Opernbesuch zu
Driss’ Pflichten. Das Licht geht aus, der Vorhang auf, gespannte Stille. Ernste
Gesichter. Die Musik hebt an. In diese feierliche Konzentration hinein platzt
die Stimme von Driss: Da singt ja ein Baum! Da singt ein Baum, auf Deutsch!
Es ist eine sehr
komische Szene. Nicht Driss wirkt lächerlich. Sondern der heilige Ernst, mit dem
die Opernbesucher im Film dem Sänger im Blätterkostüm folgen – man könnte auch
sagen: Leute wie wir. Leute, die an einem Freitagabend Vergnügen daran haben,
auf einer Bühne, der in der Reithalle zum Beispiel, anderen dabei zuzusehen, wie
sie uns ganz offensichtlich etwas "vormachen", ohne dass das jemanden stören
würde. Im Gegenteil.
In der
Bühnenfassung von "Ziemlich beste Freunde", die am Freitag in der Reithalle zur
Premiere kam, war besagte Szene nicht dabei. Schade eigentlich, es wäre doch zu
schön gewesen, zu sehen, ob dieses Über-sich-selbst-Lachen auch im Theater
funktioniert. Ein bisschen Metaebene hat Regisseurin Annette Pullen dennoch in
ihre Inszenierung eingebaut, durch die virtuos jonglierte Rollenvielfalt– und in
diesen Momenten, wenn das Theater sich als Theater zeigt, ist dieser Abend am
stärksten. Wenn er hingegen versucht, dem Kino in seiner emotionalen Wucht
nachzusteigen, wirkt das klein.
Besonders virtuos
jongliert Jonas Götzinger seine Rollen, als Prostituierte, Galerist,
Familienangehöriger und Pfleger. Als solcher darf er auch den Abend eröffnen,
stellt sich dem Publikum als professioneller Sozialarbeiter vor – gleich
dreimal, von leise bis schreihalslaut. Seine Vokabeln kennt er, muss aber die
Aussprache noch üben: "Ink, Ink, Inklusion!" Da probt einer seine Rolle und
zeigt uns damit gleich zwei Dinge: Ja, dieses Theater weiß, dass es nur Spiel
ist, seine Spieler gewissermaßen die Sänger im Blätterkostüm. Und zweitens
verstehen wir sofort, warum der querschnittsgelähmte Philippe (Philipp Mauritz)
sich von diesem Streber ("Ich mag Behinderte, schon von klein auf!") nicht
betreuen lassen wird.
Stattdessen also
Auftritt Driss (Frédéric Bossier). Er will eigentlich nur eine Unterschrift fürs
Arbeitsamt, hat keinen Text vorbereitet, offenbar auch keine Ahnung, mit wem er
es zu tun hat. Vor allem aber hat Driss keine Berührungsängste. "Haben Sie keine
Gewissensbisse, dem Staat auf der Tasche zu liegen?", fragt der wohlhabende
Philippe, als er merkt, dass Driss nur auf die Unterstützung vom Amt aus ist.
"Und Sie?", fragt Driss den Schwerbehinderten da zurück. Eins zu eins.
Driss wird
eingestellt, natürlich. Was folgt, ist ein ebenso erwartbarer wie unterhaltsamer
Kulturaustausch: Driss holt Philippe aus seinem Elfenbeinturm, bringt ihm die
Musik von Eminem bei, den Mut, eine langjährige Brieffreundschaft einfach
anzurufen, holt auch mal eine Prostituierte ins Haus. Von Philippe lernt er im
Gegenzug, dass man sich auch am Ohr erregen lassen kann, dass Berlioz ein
Komponist ist, und auch allerhand über Alexandriner, wie der Schluss zeigt. Und
von Magalie (wunderbar wandelbar: Meike Finck in einer von fünf Rollen),
Philippes so sanfter wie strenger Sekretärin, lernt Driss, dass nicht alle
Frauen sich von einem erzwungenen Kuss verführen lassen – auch das eine höchst
aktuelle Erkenntnis.
Philipp Mauritz ist
ein melancholischer Philippe, willensstark, dank Driss zunehmend lebensfroh und
in der Paragliding- Szene, wenn Philippe sich jesusgleich aus dem Rollstuhl
erhebt, geradezu berückend. Frédéric Brossier spielt seinen Driss mit
unerschütterlichem Frohsinn und ebensolchem Selbstbewusstsein. Dass er kein Omar
Sy ist, dafür kann er nichts, und doch erinnert diese Besetzung daran, dass der
Film durch die verschiedenen Hautfarben der Spieler noch eine ganz andere
(sozialkritische) Ebene berührte. Die bleibt der Potsdamer Adaption verschlossen
– und das Stück daher netter, als es sein müsste.