Rüsselsheimer Ruder-Klub 08 "Archiv und Chronik"

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Dr. Karen Joisten

Prof. Dr. Karen Joisten

 

 

 

 

 

 

 

 

"Heimat ist auch Veränderung"

Interview: Prof. Karen Joisten über einen philosophischen Begriff, der wieder in aller Munde ist

Von Bettina Sangerhausen (aus https://spendenparlament-hmue.de" vom 30. Juni 2018)

HANN.MÜNDEN. Heimat – das ist Sehnsuchtsort und Politikum zugleich. Für Dr. Karen Joisten, Philosophie-Professorin an der TU Kaiserslautern und Wahl-Hann. Mündenerin, ist Heimat viel mehr als das: Ein politischer und philosophischer Prozess, der ständig um uns herum stattfindet und den wir tunlichst mitgestalten sollten, damit die Gesellschaft funktionieren kann.

Frau Dr. Joisten, wieso ist so ein lange eingestaubter Begriff wie "Heimat" plötzlich aktuell?

PROF. DR. KAREN JOISTEN: Globalisierung, Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft, auch Verunsicherung durch Digitalisierung und Flüchtlingsbewegungen werden als Bedrohung erlebt. Darauf kann man mit dem Rückzug ins Private, ins Vertraute reagieren. Man spricht auch vom "Cocooning", dem Einrollen in einen Kokon – Fenster und Türen werden geschlossen gehalten vor den Problemen der Welt. Heimat als sicherer Ort ist auf einmal wichtig.

Als ich 2003 die "Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie" geschrieben habe, löste das noch Befremden aus. Heute wird darüber diskutiert.

Wie definieren Sie Heimat?

JOISTEN: Heimat muss geschaffen werden, sie ist nicht einfach da. Ich halte es da mit dem Philosophen Ernst Bloch, der sagt, Heimat muss man verwirklichen. Das Wort hat in unserer Geschichte eine Vielzahl von Bedeutungen erfahren: Es war ursprünglich ein reiner Rechtsbegriff, der Besitz bezeichnete, ganz ohne Emotion. Im Lauf der Zeit kamen Idealisierung und Überhöhung, eine Menge positiver und negativer Seiten, dazu. Es gibt nicht das eine Heimatverständnis, also auch keine Definition. Das heißt: Wir müssen darüber reden. Ich verstehe Heimat als denkerische Suchbewegung, als etwas Progressives. Für mich ist dabei die entscheidende Frage: Wie wollen wir unser Miteinander gestalten?

Das klingt jetzt nicht gerade nach Komfortzone ...

JOISTEN: Das allzu Heimelige, allzu Vertraute funktioniert nicht. Der Stachel der Veränderung muss der Heimat immer innewohnen. Der Mensch ist beides: Bindung und Bewegung, Heim und Weg. Wir müssen uns geborgen fühlen können, wollen aber auch Neues entdecken.

Welche Rolle spielen dabei Traditionen?

JOISTEN: Die sind wie ein Regal voller alter Bücher. Wenn ich nur davor stehe und die Buchrücken anschaue, habe ich nichts davon. Ich muss die Bücher herausnehmen, darin lesen, mir ihren Inhalt übersetzen und aneignen und im Hier und Jetzt fruchtbar machen. Das Wort "aneignen" mag ich in diesem Zusammenhang. Es heißt, ich mache mir etwas zu eigen, dann gehört es mir. Und dann können zur Tradition auch Innovation und Aufbruch kommen.

Zur Person

PROF. DR. KAREN JOISTEN (56), in Rüsselsheim geboren, ist nach Gastprofessuren in Kassel und Erfurt Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Kaiserslautern. Sie lebt in Hann. Münden und pendelt zum Arbeitsplatz. Nach ihrer Habilitation zum Thema Heimat folgten Vorträge und Publikationen, u.a. in "Zukunft Heimat" (mit Udo Di Fabio, Hermann Lübbe und Andreas Maier) und "Utopie Heimat. Psychiatrische und kulturphilosophische Zugänge". Karen Joisten ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und hatte bis vor kurzem einen Gastsohn aus Eritrea. Gerade hat Michel Friedmann Joisten für die Deutsche Welle interviewt ("Auf ein Wort. Michel Friedmann im Gespräch mit Karen Joisten", http://www.dw.com/de/tv/auf-ein-wort/s-40362437). (tns)

Was heißt das konkret für das tägliche Miteinander?

JOISTEN: Wir brauchen immer auch eine Offenheit für das Fremde. Das fängt beim Essen an und zieht sich durch alle Bereiche. So lasse ich mich auf etwas Neues ein und erweitere immer wieder den eigenen Horizont, den Heimathorizont. Jeder kann seinen Horizont erweitern, deshalb sind Bildung und soziale Projekte so wichtig. Meine Heimat erstreckt sich zwischen mir und meinem Horizont. So ist Heimat nicht an einen Ort gebunden, sondern kann überall sein.

Und um sich dabei nicht zu verlieren, braucht man eine stabile Basis?

JOISTEN: Man muss in sich selbst beheimatet sein. Wenn ich in mir selbst beheimatet bin, brauche ich keine Angst vor Neuem oder Veränderungen zu haben.

In mir selbst beheimatet bin ich dann, wenn die Mischung zwischen Heim und Weg stimmt. Das ist die stabile Basis, die verhindert, dass ich mich verliere, oder besser gesagt: Ich bin in der Lage, die richtige Dosis an Neuem zu bestimmen, die ich mir zumuten kann. Stabile Verhältnisse und Dauerhaftigkeit sind wichtig, die sich aber der Veränderung nicht verweigern dürfen. Ein praktisches Beispiel dafür ist für mich in Hann. Münden der Bürgertreff, ein ehrenamtlich betreutes soziales Zentrum. Der Treff ist eine stabile Einrichtung, die sich aber permanent verändert.

Warum ist Heimat oft so ein problematischer Begriff?

JOISTEN: Das Problem ist, wenn sich immer nur die zu Wort melden, die schon glauben zu wissen, was Heimat ist. Wenn man krampfhaft an dem festhält, was man hat, erzeugt man Erstarrung statt Lebendigkeit. Das Weiterentwickeln geht verloren. Das braucht man aber, damit das Miteinander funktionieren kann.

Sind Sie in Hann. Münden heimisch geworden?

JOISTEN: Ja, ich denke schon. Dabei spielt die Natur eine Rolle, die hier wunderschön ist, aber natürlich auch die Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle. Die beschriebene Mischung aus Tradition und Aufbruch finde ich genau hier. Zum Beispiel bei den Fachwerkrettern: Da bringt die denkmalgeschützte Altstadt aktuell Menschen zusammen, die gemeinsam etwas Neues machen, um das Alte zu bewahren.