Das Interview
führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 27.07.2017)
Rüsselsheim,
Österreich, Frankreich und nun Dänemark: Nach seinem 50. Geburtstag hat es
Hans-Dieter Nachtigall bei besonderen "Wiegenfesten" stets ins Ausland gezogen.
Seit Samstag weilt der langjährige Sportamtsleiter auf der Insel Fünen, wo es
vom angemieteten Haus nur ein paar Meter zur Ostsee sind. Ob er seinen 80.
Geburtstag an diesem Donnerstag mit einem Bad im mit rund 18 Grad frischen
Meerwasser beginnt, bleibt abzuwarten. Gefeiert wird im Kreise der zehnköpfigen
Familie auf jeden Fall, zumal Schwiegersohn Paul Anagnostou am gleichen Tag 53
Jahre alt wird.
Herr Nachtigall,
mit dem Satz "Sport war mein Leben" haben Sie sich am 30. Januar 2001 nach 361
Monaten als Leiter des Rüsselsheimer Sportamts aus dem Berufsleben
verabschiedet. Was geht sportlich noch, wenn man 80 wird?
Ich bewältige ein
tägliches Fitnessprogramm mit fünf Kilometern auf dem Ergometer sowie Hanteln
zur Kräftigung und sitze drei mal pro Woche 20 Kilometer im Radsattel. Dazu
spiele ich noch Boule und Skat und gehe regelmäßig in die Sauna. Nur Samstag und
Sonntag mache ich eine Pause. Nach Knie- und Hüftoperationen musste ich mit 60
mit Fußball, mit 72 mit Tennis und leider jetzt auch mit dem Skifahren aufhören.
Sie haben in der
Fußball-Oberliga in Göttingen im Tor gestanden, waren Niedersachsenmeister im
Leichtathletik-Fünfkampf und Vorsitzender des Turngaus Main-Rhein sowie beim SC
Opel Rüsselsheim. Welche Sportarten haben Sie am meisten begeistert,
beziehungsweise üben heute noch große Faszination aus?
Fußball,
Leichtathletik und Skifahren, vor allem aktiv. Ein schönes Fußballspiel schaue
ich mir auch heute noch gerne im Fernsehen an, obwohl mir das uferlose
Geldgebaren bei Gehältern und Eintrittskarten sowie die teils chaotischen
Meldungen aus den Verbänden gar nicht gefallen. Und leider gibt es in meinen
Augen immer weniger Mannschaften, mit denen man sich noch wirklich
identifizieren kann.
Beruflich waren
Sie zunächst sieben Jahre lang als Sportlehrer tätig. Haben Sie den Wechsel ins
Sportamt nie bereut?
Nein, denn ich
hatte das große Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können. Und da ich die
Situation in den Schulen und Vereinen aus erster Hand kannte, habe ich bei
politischen Diskussionen bei den Parlamentariern stets ein gutes Gehör gefunden.
ZUR PERSON
Hans-Dieter Nachtigall wurde 1937 in Berlin
geboren. Zusammen mit seinen beiden Schwestern kam die Familie in den
Kriegswirren Ende 1944 bei den Großeltern in Bad Sachsa im Harz unter, bis
der Vater in Northeim (bei Göttingen) eine Anstellung als Polizist fand.
Nach der Ausbildung zum Großhandelskaufmann folgte
Nachtigall 1960 dem Ruf des Rüsselsheimer Olympiateilnehmers und Gründers
der Deutschen Turnschule, Adalbert Dickhut, und absolvierte in Frankfurt die
Ausbildung zum Turn- und Sportlehrer. 1964 kam er als erster hauptamtlicher
Trainer zur TG Rüsselsheim. Nach Anstellungen an der Dürer- (bis 1966) und
Büchner-Schule wechselte der ehemalige Oberliga-Fußballtorwart von Göttingen
05 anno 1971 als Abteilungsleiter ins städtische Presse-, Sport- und
Verkehrsamt, wo er bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden am 31. Januar
2001 blieb. (kri) |
Was waren für
Sie die bedeutsamsten Dinge, die Sie in Ihrer beruflichen Zeit anstoßen konnten?
Da fällt mir
spontan die Einführung des ersten pflegeleichten PVC-Bodens in der Dürerschule
ein. Und beim DLW-Kunststoffboden in der ehemaligen Köbel-Halle haben wir eng
mit dem Institut für Sportwissenschaften zusammengearbeitet. Ende der 80er Jahre
sind wir mit jungen und AH-Kickern ins Badische gefahren, um Kunstrasenplätze zu
testen, was später durch Stippvisiten nach England dann so perfektioniert wurde,
dass viele andere nach Rüsselsheim kamen, um hier Anschauungsunterricht zu
nehmen. So kam es dann wohl auch dazu, dass ich als Pionier von
Kunstrasenplätzen galt. Das Thema hat mich deshalb so interessiert, weil ich
immer das beste Produkt für unsere Sportler wollte.
Und was ließ
sich in den gut 30 Jahren nicht umsetzen, um das Image der Sportstadt
Rüsselsheim zusätzlich zu befördern?
Es war ja wirklich
schon etwas Besonderes, dass Rüsselsheim dank der top Infrastruktur teilweise
acht Bundesligisten vorweisen konnte. Deshalb habe ich stets darauf geachtet,
dass Reparaturen prompt erledigt wurden. Als das Stadion renoviert wurde, war es
für mich logisch, die Voraussetzungen zu schaffen, dass dort jederzeit
Flutlichtmasten installiert werden könnten. Die Sauna im Hallenbad hätte ich für
vergleichsweise kleines Geld gerne renoviert und vergrößert, weil das eine gute
Einnahmequelle für die Stadt gewesen wäre. Der Bau einer Eishalle wäre aufgrund
des Energieaustauschs nur sinnvoll in Verbindung mit einem Hallenbad gewesen,
aber daran hat mein Herz nicht so gehangen. Ein Golfplatz, der hinter dem
Industriegebiet Hasengrund jenseits der Autobahn geplant war, hätte dem Image
der Stadt sicher gutgetan.
Welche
sportlichen Höhepunkte vor Ort sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Die vielen
Hockey-Europacups, die Bundesligaspiele der TG-Volleyballdamen, und die
Heimspiele der SG Wallau/Massenheim in der Handball-Bundesliga waren immer
Highlights. Aber natürlich waren auch das Michael-Stich-Turnier und die
Ausstrahlung des "Aktuellen Sport-Studios" aus der Köbel-Halle was ganz
Besonderes.
Vor wenigen
Wochen war Hessentag in Rüsselsheim. Hätten Sie das jemals für möglich gehalten?
In meiner Zeit bei
der Stadt war das nie Thema, und ich war ehrlich gesagt ziemlich skeptisch,
nicht zuletzt aufgrund der besonderen Struktur der Stadt. Rückblickend kann ich
sagen, dass ich angenehm überrascht war, denn vieles – allen voran das Weindorf
– war wirklich vom Feinsten. Bei der Sprungschanze war ich selbst aktiv als
Helfer dabei.
Sie sind in
Berlin geboren, über Niedersachsen 1964 nach Rüsselsheim gekommen und seither in
Haßloch-Nord heimisch. Wollten Sie danach nie mehr weg?
Einmal war ich kurz
davor, als der Kollege in Leverkusen nach Hamburg wechselte. Aber dann kam 1976
der Verkehrsunfall mit meiner ältesten Tochter Ilka, und danach war kein Gedanke
mehr daran. Hätte ich Heiligabend 1944 nicht bei meinen Großeltern verbracht,
würde es auch mich nicht mehr geben. In dieser Nacht wurde unser Haus in Berlin
von einer Luftmine getroffen und ist bis auf die Grundmauern abgebrannt.
Wie wird man mit
einem so krassen Schicksalsschlag fertig, sein 13-jähriges Kind zu verlieren?
Gar nicht. Das
steckt immer drin.
Den 80.
Geburtstag feiern Sie mit Ihrer Frau Ute, mit der Sie 54 Jahre verheiratet sind,
zwei Töchtern und Schwiegersöhnen sowie vier Enkelkindern auf der dänischen
Insel Fünen. Warum ausgerechnet dort und wird es zu Hause auch noch eine Feier
geben?
Leider kann mein
ältester Enkelsohn Fritz nicht dabei sein, weil er sich gerade in Sachen Hockey
in Australien aufhält. Nach Fünen kommen wir im 45. Jahr, und es ist mein
absoluter Lieblingsplatz. Meine Töchter wissen das und haben mir diesen
Aufenthalt geschenkt. Was eine Nachfeier in Rüsselsheim betrifft, kann ich ja
nicht anders. Wie und wo das ablaufen wird, darüber mache ich mir mit meiner
Frau Gedanken.
Zurück zum
Eingangsmotto "Sport war mein Leben": Gibt es in dieser Richtung noch einen
Wunsch, den Sie sich gerne erfüllen würden?
Es wäre toll, wenn
ich meinen jetzigen Fitnesszustand noch möglichst lange beibehalten und weiter
Fahrrad fahren könnte. Dazu hoffe ich, noch möglichst lange unsere
Sport-Freundschaften in Holland, Österreich, England, Frankreich und Ungarn zu
pflegen, die nach 40, 50 Jahren immer noch bestehen. Und natürlich wünsche ich
mir, dass meine Familie insgesamt so sportlich fit und harmonisch zusammen
bleibt.