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Über Mitglieder des
RRK (2019)
Christine Traiser |
Christine Traiser (links) und Stefanie Scholz
zeigen eine Auswahl ihrer Sprachführer. |
Kommunikationshilfe in elf Sprachen
Ein
kleines Sprachführer-Projekt für Geflüchtete der Darmstädter Designerinnen
Stefanie Scholz und Christine Traiser hat sich auf andere Bereiche und neue
Zielgruppen ausgeweitet.
Von Bettina
Bergstedt (aus "https://www.echo-online.de" vom 10.10.2019)
Als
im Herbst 2015 auch viele Geflüchtete nach Darmstadt kamen, fragten sich
Stefanie Scholz und Christine Traiser, was sie als Grafikdesignerinnen tun
könnten, um ihren Beitrag zur neuen Situation zu leisten. Aus einer ersten
Ratlosigkeit wurde ein "Gerade wir!", als Traiser die Idee kam, mit ihren
grafischen und gestalterischen Mitteln einen Sprachführer zu entwickeln. "Denn
Kommunikation ist unser Handwerk, über das Bild finden Menschen auch ohne
gleiche Sprache zueinander, und gegenseitiges Verstehen selbst auf einfachem
Niveau ist das A und O für ein Miteinander."
Also stellten die
beiden Frauen pro Buchseite in jede Zeile mittig ein Bild. Links davon den
deutschen Begriff und rechts den in Urdu, auf Arabisch oder Farsi. Mit dem
Finger kann jeder auf das Bild deuten, auch Analphabeten, und in der eigenen und
jeweils fremden Sprache kann das Wort abgelesen werden: Die "point +
talk"-Bücher waren geboren.
ELF SPRACHEN
Die Sprachführer im Hosentaschenformat mit 64 Seiten
und 300 Bildern sowie Piktogrammen sind bisher veröffentlicht in Arabisch,
Farsi, Urdu, Tigrinya, Französisch, Oromo, Polnisch, Bulgarisch, Rumänisch,
Ukrainisch und – ganz neu – Russisch. Alle Sprachen haben zusätzlich
Englisch als Brückensprache. (bbeg) |
Scholz und Traiser
schauten sich nach potenziellen Unterstützern und Geldgebern um. Ziel war nicht,
möglichst rasch mit den Sprachführern viel Geld zu verdienen. Vielmehr sollten
die Pocketformate für jeden Verein und jede Privatperson mit 2 bis 3 Euro
erschwinglich sein, aber die Kosten sollten gedeckt werden. Die beiden fanden
schnell Unterstützer, angefangen beim Architekturbüro Planquadrat, und plötzlich
war aus einem gemeinsamen Interesse und Verbundenheit mit anderen heraus ein
kleines Netzwerk entstanden, das dem Projekt Rückenwind gab.
Es fanden sich
feste Abnehmer für eine bestimmte Anzahl von Büchern. Und das Übersetzungsbüro
Ka-Ve Kalla, das, "egal in welche Sprache übersetzt wurde, noch nie Anlass zur
Kritik gab – im Gegenteil: Bis hin zu Goethe-Instituten und Muttersprachlern
wurden die Übersetzungen hoch gelobt".
2016 erschienen die
ersten Hefte, bald in fünf Sprachen und schließlich, gut drei Jahre später, in
elf Sprachen. Ganz neu: in Russisch. "Wir haben die Hefte im Laufe der Zeit aber
auch inhaltlich verbessert – es kamen kleine Artikel hinzu, eine leicht
veränderte Aufbereitung oder neue Themen", so Scholz. Als Beispiel nennt sie
einen Apotheker-Ratgeber. Die Neuerungen sind aufgrund von Hinweisen der Nutzer
der Sprachführer entstanden, so ist das gesamte "point + talk"-Programm eine Art
"work in progress" bis hin zu weiteren Reihen. "Wir haben selbst viel über
Sprachen gelernt", sagen Scholz und Traiser.
Der Verein "Armut
und Gesundheit", der sich um Menschen ohne Krankenversicherung kümmert, wurde
auf die Sprachführer aufmerksam. Ob so etwas nicht auch für Medizin machbar
wäre, wurden die Designerinnen gefragt. In Zusammenarbeit mit Ärzten und
Fachleuten entstand der Sprachführer für "Gesundheit". Auf dem
deutsch-französischen Exemplar ist auf dem Titel zu lesen: "Bonne guérison! Gute
Besserung! – Sprachführer für den Arztbesuch".
Und noch ein Anstoß
kam von außen: Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) sah die Sprachführer und
wollte für das Rhein-Main-Gebiet einen dreisprachigen Führer ("Gute Reise!" auf
Deutsch, Englisch und Arabisch), indem vom Fahrplanlesen bis zum Ticketerwerb
alle Vorgänge und wichtigen Vokabeln rund um den Nahverkehr erklärt und
verzeichnet sind. Der Verbund hat diese Ausgabe als Alleinabnehmer finanziert,
und die Büchlein liegen nun an den öffentlichen RMV-Stellen aus.
Die Gesundheits-
und Sprachführer sind über den Gedanken der Unterstützung für Geflüchtete längst
hinausgewachsen, sie werden bis in die Schweiz versendet, das Landesamt für
Migration, Goethe-Institute, die Industrie- und Handelskammer, die European
Business School oder die Charité in Berlin sind Abnehmer, aber auch eine
Vermittlungsorganisation von Pflegekräften aus der Ukraine und Polen sowie
private Unternehmen, die mit Menschen aus dem Ausland zu tun haben.
Der Sprachführer
ist so angelegt, dass bei ausreichendem Bedarf aus den Grundbausteinen schnell
ein neuer, um einige Seiten erweiterter Führer entstehen kann oder eine
Übersetzung in eine weitere Sprache. Die Buchentwicklerinnen freuen sich über
weitere Ideen – und ihren bisherigen Erfolg.
Eine Brücke in
den Alltag
Ein kreativer
Sprachführer zweier Darmstädterinnen schließt eine Lücke in der
Flüchtlingshilfe. Der Sprachführer richtet sich an Flüchtlinge und ihre Helfer.
Aus "https://www.fr.de"
vom 8.01.2019
Da stehen sie sich
nun gegenüber, der syrische Flüchtling und die deutsche ehrenamtliche Helferin –
sprachlos. Er versteht kein Englisch und sie kein Arabisch. Wie soll sie sich
mit ihm verständigen, wenn gerade keiner der viel beschäftigten Dolmetscher in
der Nähe ist? Auf Dauer reichen Handzeichen und ein freundliches Lächeln nicht
aus.
Künftig könnte die
Begegnung folgendermaßen ablaufen: Die Helferin holt ein Büchlein hervor und
deutet auf einen der vorgefertigten Sätze, die in drei Sprachen abgedruckt sind,
nämlich auf Deutsch, Englisch und Arabisch. "Was brauchen Sie?" Er antwortet
stumm, indem er seinen Finger auf einen arabischen Satz legt, dessen deutsche
Übersetzung die Helferin ablesen kann: "Ich brauche Essen für das Baby" oder
"Ich suche meine Familienangehörigen." Das Heftchen enthält nämlich die
Grundausstattung für einfache Dialoge.
Standardsätze, Fotos und Piktogramme sollen
die Kommunikation erleichtern. |
Die freischaffenden
Kommunikationsdesignerinnen Stefanie Scholz und Christine Traiser haben den
Sprachführer für Flüchtlinge und ihre Helfer entwickelt. Dass es Bedarf gibt,
merkte Stefanie Scholz beim Willkommens- und Sprachcafé "Come together" mit
Flüchtlingen in der Paulusgemeinde. Christine Traiser wurde von ihrer Tochter,
die Stockbetten in der Notaufnahme Starkenburg-Kaserne aufbaute, auf das
Verständigungsproblem aufmerksam gemacht. Man behalf sich mit Zetteln, auf denen
immer wiederkehrende Sätze standen.
Die
Darmstädterinnen dachten sich Szenarien aus, um Verben und einfache Sätze für
bestimmte Situationen zusammenzustellen. So gibt es im Heft eine
"Putzteufelseite", auf der Reinigungsutensilien abgebildet und benannt sind. Die
Designerinnen verwenden aber auch Piktogramme, selbstgemachte Fotos, vorwiegend
aus Darmstadt, und Abbildungen von Lebensmitteln, mit deren Hilfe Flüchtlinge
ohne Deutsch-Kenntnisse einkaufen gehen können. Die Fotos haben die Frauen in
ihrem Umfeld gemacht. Stefanie Scholz’ Sohn musste dafür ebenso herhalten wie
Christine Traisers Hund.
Auflage von
10.000 Stück
Flüchtlinge mit
Smartphone oder Tablet können die im Heft angegebenen Apps aktivieren: Beiträge
des Goethe-Instituts, das deutsche Grundgesetz, die Internetseite des Bundestags
(auf Englisch) und die "Welcomegrooves", ein akustischer Sprachkurs mit
Musikuntermalung.
Warum ein solcher
Sprachführer bisher fehlte, können sich die Frauen nur so erklären: Alle
Kommunen und Organisationen, die mit der Flüchtlingsunterbringung zu tun haben,
sind überlastet und haben dafür keine Zeit. "Aber jetzt haben sie was in der
Hand", frohlocken die beiden. Die ersten Exemplare sind an Darmstadts
unabhängige Buchhandlungen ausgeliefert. Die Auflage – 10.000 Stück – ist
aufgeteilt in 6.000 Exemplare auf Deutsch-Englisch-Arabisch, 2.500 auf Farsi und
1.500 auf Urdu. Stefanie Scholz und Christine Traiser sprechen keine dieser
Sprachen, sind aber als Designerinnen begeistert von den geschwungenen,
ästhetisch schönen Schriftzeichen. Sie ließen sich die Texte von einem Bad
Vilbeler Dolmetscherbüro übersetzen und baten eine in England lebende Freundin,
die Richtigkeit zu überprüfen.
Ein halbes Jahr hat
es gedauert, bis ihre drei Sprachführer "Hallo – Erste Worte für einen guten
Anfang" druckreif waren. Das war mit viel Arbeit, aber auch viel Spaß verbunden.
Für die Herstellung investierten die Frauen ihr eigenes Kapital. Sie wollten
keinen Sponsor, weil die Heftchen neutral sein sollen. Allerdings nahmen sie
schon vor der Fertigstellung Vorbestellungen entgegen, etwa von der Stadt
Rüsselsheim und von Buchhandlungen.
Ein Sprachführer
kostet zwei Euro. Wer 100 Stück bestellt, erhält eine Ermäßigung. In den
nächsten Wochen wollen Stefanie Scholz und Christine Traiser bei Kommunen,
Hilfsorganisationen, Vereinen und Kirchengemeinden Werbung für ihre Sprachführer
machen. Wenn das Feedback positiv ausfällt, werden sie einen vierten
Sprachführer auf Tigrinya (Eritreisch) herausgeben.
Informationen zu
den Sprachführern gibt es im Internet auf der Seite www.pointandtalk.de.
Erhältlich sind sie in der Arheilger Bücherstube, dem Bessunger Buchladen, der
Buchhandlung Artemis, der Buchhandlung Lesezeichen, der Büchergilde Buchhandlung
am Markt und dem Georg-Büchner-Buchladen. (pyp) |