Das Gespräch führte
Till Weishaupt (aus "www.cicero.de", 2009)
Unauffällig, fast
schüchtern steht er auf dem Hof seines Reitgestüts: Karl Wilhelm Heinrich Fritz
Adam von Opel, kurz Carlo von Opel, führt gemeinsam mit seiner Frau Marion den
Dressurstall "Reitanlage Hofgut Petersau" mit über 70 Pferden bei Franckenthal
am Rhein. Er kennt die "Opelei", wie es in der Familie heißt, gut, schließlich
hat der Opel-Erbe die private "Geschichten- und Anekdotensammlung derer von
Opel" zusammengestellt. Für Cicero öffnet der Unternehmer die Tore zu seinem
privaten Landhaus und spricht offen über das Drama von Rüsselsheim,
Innenansichten einer Dynastie und die Zukunft von Opel.
Sie sind mit der
Familie nicht mehr im Autogeschäft tätig, haben Sie noch eine emotionale
Beziehung zu Opel?
Ja, aber sicher
doch!
Was empfinden
Sie, wenn Sie die täglichen Nachrichten über Opel lesen?
Es schmerzt mich.
Warum musste es
so weit kommen?
Mich berührt auch
das Schicksal der Mitarbeiter, die häufig schon in dritter Generation für Opel
tätig sind. Das ist schon schlimm. Rüsselsheim war ein Dorf, erst die Opel-Werke
haben die Menschen angezogen.
Was wäre denn
Rüsselsheim ohne Opel?
Zum Zweiten bedaure
ich, dass wir auch durch staatliche Hilfe die Überproduktion in der
Automobilbranche nicht abbauen. In Europa gibt es einfach zu hohe
Überkapazitäten mit einem harten Verdrängungswettbewerb. Es ist daher keine
Lösung, wenn Rüsselsheim in Zukunft nur Autos baut. Wir brauchen ein
zusätzliches Geschäftsmodell im Bereich Antrieb, Fortbewegung und Umweltschutz.
Hier ist, neben
Kapital, ein kreativer Unternehmergeist gefordert: Sie sind selber Unternehmer,
haben 1962 die Marke Chio Chips gegründet …
…weil sich meine
Mutter Irmgard von Opel beschwert hatte: Sie führte damals zwei
landwirtschaftliche Güter – Hofgut Petersau bei Frankenthal und Hofgut
Westerhaus bei Ingelheim – und beklagte die geringen Gewinnspannen in der
Landwirtschaft, der Handel verdiente ihr zu viel. Meine Idee war es dann, eines
unserer Produkte zu veredeln. Zuerst dachten wir an Kartoffeln als Pommes
Frites: Damals, an Tiefkühlkost wurde noch nicht gedacht, waren Pommes Frites
Frischware, wir hätten nur in einem kleinen Umkreis verkaufen können. Also
starteten wir den Versuch mit transportfähigen Kartoffelchips: Chio Chips,
zusammengesetzt aus unseren Initialien Carlo, Heinz und Irmgard von Opel wurde
dann ein Erfolg.
Chio Chips haben
Sie verkauft: Opel sucht händeringend einen verantwortungsvollen Investor, wären
Sie jetzt bereit, in die Firma Opel zu investieren?
Nein. Das Risiko
ist mir bei Opel zu hoch, ich kann hier keine finanzielle Verantwortung
übernehmen. Einen Haufen Schulden übernehmen, damit trete ich in ein Risiko, das
für mich, letztlich für meine Mitarbeiter und unsere Tochter nicht zumutbar ist.
Unter welchen
Bedingungen würden Sie doch einsteigen?
Es müsste an
langfristigen Erlösen gearbeitet werden. Genau diese Aussicht auf Erlöse sehe
ich nicht.
Wären Sie
bereit, mit Ihrem Namen bei der Suche nach Investoren und neuen Geschäftsfeldern
beratend zu helfen?
Ja, wenn ich damit
helfen kann, würde ich mit meinem Namen und meiner Person bereitstehen. Das
würde sicher sowohl von der Belegschaft als auch von der Wirtschaft gut
aufgenommen werden. Ich würde gerne einen Beitrag dazu leisten, dass die große
Traditionsmarke Opel mit ihrem Stamm an bewährten Mitarbeitern wieder an der
Weltspitze steht.
Was waren die
Fehler in der Vergangenheit?
Es begann vor
Jahren: Die Sparsamkeitswelle von Lopez war eine falsche Politik, heimische
Traditionszulieferer wurden gekündigt. Billiger sollte die Produktion werden,
dabei wurde sie aber eben auch nicht besser. Die Einsparungen gingen jahrelang
zulasten der Qualität.
… sprechen Sie da
aus persönlicher Erfahrung?
Ja, ich wundere
mich schon: Der Opel ist ein einigermaßen teueres Auto, aber es wird an
Kleinigkeiten gespart. Wenn Sie einmal einen Reifen wechseln wollen oder den
Sitz verstellen wollen: Alles ist schon recht billig gearbeitet, die Sachen
müssten haltbarer sein. Ein Opel entspricht einfach nicht dem heute erwarteten
hohen Qualitätsstandard. Das muss und das kann man ändern.
Der Stern von
Daimler steht für Sicherheit und Solidität, wofür steht der Blitz von Opel?
Heute steht die
Marke Opel zuerst für eine verkehrte Markenpolitik und ein schlechtes
Markenimage. Ursprünglich standen der Gründer Adam Opel, seine Söhne und
Rüsselsheim für deutsche Unternehmertüchtigkeit, Ingenieursfähigkeiten und
Erfindergeist. Seit der Kaiserzeit waren die Autos von Opel Begleiter der
Deutschen. Die Jahre des Wirtschaftswunders waren ohne Opel nicht denkbar. Die
legendären Modellreihen mit Namen wie Olympia, Kapitän, Admiral, Kadett, Rekord
oder Diplomat standen für Qualität und Vertrauen. Aber sie wurden nicht
fortgesetzt, es gab einen Bruch. Daimler zeigt mit der E-Klasse einen
erfolgreichen Weg: Die Marke vermittelt einem das Gefühl, "das ist mein Mercedes
– über die Zeiten, die Jahre hinweg".
Ein
grundsätzliches Führungsproblem?
Winterkorn von VW,
Wiedeking von Porsche oder Zetsche von Daimler – das sind deutsche
Spitzenmanager. Opel konnte in den vergangenen Jahren keine Spitzenleute binden,
die sich der Marke verpflichtet fühlen. Der Konzern wurde von amerikanischen
Managern stiefmütterlich eher schlecht als recht genutzt, weniger geführt.
Allein die Englischsprachigkeit verhinderte den notwendigen Kontakt zu den
Mitarbeitern am Fließband. Ein Hesse fühlt sich unter amerikanischen
Verhältnissen einfach unwohl. Rüsselsheim hat heute keine Unternehmenskultur
mehr, wie sie noch zu Zeiten meiner Vorfahren gelebt wurde. Opel muss dringend
wieder zurück an die erfolgreichen Wurzeln.
Die Rudergemeinschaft
Flörsheim-Rüsselsheim gewinnt beim Deutschen Meisterschaftsrudern 1949 in
Mannheim den Vierer-ohne und den Achter. Nach festlichem Empfang der
Meisterruderer auf dem Rüsselsheimer Marktplatz bewegt sich der Festzug
durch die Frankfurter Straße über die Opel-Brücke nach Flörsheim (vorn
zwischen Trainer Fritz Brumme und dem Meisterruderer Georg von Opel dessen
Söhne Heinz und Carlo). |
Haben Sie mit
dem ehemaligen GM-Vorstand darüber gesprochen?
Ja, wir haben ihn
in seinem Büro besucht und Bruder Gregor überreichte ihm einen sehr klar
geschriebenen Brief. Und Vater Georg hat seine Unzufriedenheit mit der
GM-Führung in aller Öffentlichkeit ausgesprochen. Aber Rick Wagoner hat mir
selber gesagt, seinen besten Mann benötigt er in den USA, um die Gewerkschaften
in Schach zu halten. Priorität hatten die USA. Die Amerikaner haben Gewinne
abgeführt und die Patente übernommen. Seit dem Jahr 1929 ist das Unternehmen
Europafiliale von General Motors.
Schmerzt Sie
heute der Verkauf des Unternehmens an die Amerikaner? Gab es damals eine andere
Chance?
Wilhelm von Opel
hatte das neue Ford-Werk in Köln besichtigt und sagte anschließend: Mit den
Amerikanern kommen wir nicht mit, die sind viel größer als wir. Es gab dann auch
nur Fritz von Opel, Raketenfritz, der im richtigen Alter war, um das Werk
weiterzuführen. Und der Preis, der hat ja wirklich gestimmt, nach heutigem Geld
sicher über eine Milliarde.
… und die
Amerikaner hatten kaum Freude: Ein halbes Jahr nach dem Verkauf erschütterte am
25. Oktober der Börsen-Crash zuerst die Wall Street und dann die Weltwirtschaft.
GM verbuchte damals einen Verlust von drei Millionen Dollar, die Opel-Brüder
wurden wohlhabend.
Jeder auf seine
Art, es brachte nicht allen Glück … Mein Halbbruder Gregor ist mit dem neuen
Autohandelsgeschäft zu schnell gewachsen und in die Insolvenz gerutscht. Ich
selber hätte bei dem Opelvertrieb meines Vaters einsteigen können. Aber dann
waren mir die beiden Hofgüter meiner Mutter wichtiger. Und noch viel wichtiger:
Es gibt eine Welt jenseits von Rüsselsheim, ich wollte etwas Eigenes jenseits
von Opel. Zudem fühle ich mich dem Land verbunden.
Haben Sie die
große Familientradition Opel als Belastung empfunden?
Die Tradition
natürlich nicht, aber den Namen. Wenn man Opel heißt, noch mit dem "von", in
einem schlossartigen Gebäude auf einem Berg wohnt und dann mit einer
Klassenkameradin in einer standesgemäßen Kutsche mit livriertem Kutscher und
einem Traber zur Volksschule gebracht wird, dann gibt’s natürlich Probleme. Das
war schon nicht so einfach. Doch die andere Möglichkeit wäre ein Mitfahren in
der Milchkutsche, von zwei Eseln gezogen, gewesen. Aber die fuhr zu anderen
Zeiten. Den drei Kilometer langen Nachhauseweg den Berg hoch sind wir dann
gelaufen und haben uns gegenseitig über Dinge aufgeklärt, die heute im
Vorschulalter schon längst bekannt sind.
Haben Sie
darüber in der Familie gesprochen?
Zu Hause wurde über
die Sorgen und Nöte der beiden Buben viel zu wenig gesprochen. Es gab auch viel
anderes zu tun – so nach dem Krieg. Aber trotzdem … Natürlich konnte der Name
auch sehr nützlich sein, wenn man ihn richtig einsetzte. Für private
Angelegenheiten hab ich den Namen aber lieber verschwiegen, beispielsweise war
ich zehn Sommer lang im Juni auf Sylt, die meisten kannten nur meinen Vornamen.
Zurück zu Opel und GM: Rick Wagoner wurde in die Pension verabschiedet … In eine
unverdient goldene Pension! Vertraglich sind die Millionen sicher korrekt, aber
sie sind moralisch unverdient. Ist der neue
GM-Chef, Fritz Henderson, als ehemalige rechte Hand der richtige Mann?
Ich weiß es nicht,
doch Zweifel ist angebracht. Schließlich hat Henderson über Jahre die
Entscheidungen von Wagoner mit gestützt. Aber schlechter kann es kaum werden.
Ein Konkurs von GM wäre vielleicht das Beste, wenn die guten Betriebsstandorte
erhalten bleiben.
Und der
Opel-Chef Forester?
Ich hoffe, er kann
es stemmen. Man muss jedoch Bedenken haben: Forester zählt letzten Endes zu
denselben Managern, welche die Krise bei Opel verursacht haben. Er hat jahrelang
unter Rick Wagoner gearbeitet. Ich könnte nicht für einen Menschen arbeiten,
dessen Meinung ich nicht vertreten kann. Warum hat
Forester es so weit kommen lassen?
Die Bundesregierung
hat unter Führung des neuen Wirtschaftsministers zu Guttenberg ein
Verhandlungsteam zur Rettung von Opel berufen. Sollte sich der
Staat beteiligen, oder wäre die Insolvenz richtig?
Lieber ein Ende mit
Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Insolvenz kann das Beste sein. Es muss
einen Neuanfang geben, in jedem Fall unabhängig von GM. Die Insolvenz hätte
zusätzlich den Vorteil, dass der Konzern eine Portion Schulden los werden
könnte. Die Vergangenheit zeigte mir: Der Staat ist kein guter Geschäftsmann, er
sollte lediglich die politischen Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft
schaffen. Opel ist eine gute Marke und wird einen Investor finden. Wichtig ist
jedoch der Erhalt der Arbeitsplätze durch Zwischenfinanzierungen. Hier ist der
Bund in der Pflicht.
Was sagen Sie
den Opel-Arbeitern am Fließband?
Langfristig führt
kein Weg an Einsparungen und Neuerungen vorbei. Ich bin mir ganz sicher, die
Mitarbeiter werden für den Erhalt des Werkes auch auf Gehalt verzichten, das
Werk und die Erhaltung der Arbeitsplätze haben Vorrang.
Emirate kaufen
Daimler, warum nicht Opel?
Ganz klar, denen
gefällt der Stern besser als der Blitz von Opel. Die Situation spiegelt doch
auch das Konsumentenverhalten wieder: Ein Mercedes hat heute doch einen anderen
Namen als ein Opel. Aber früher war das anders. Und da müssen wir wieder
hinkommen.
Was erwarten Sie
sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Keine übereilten
Schritte, nicht zu viele Versprechungen. Die Bundeskanzlerin sollte ihren
Einfluss und ihre gute Verbindung zu Präsident Obama dazu nutzen, dass sie Opel
von GM freibekommt. Merkel sollte zusätzlich um Investoren in dem arabischen
Raum werben. Die Abwrackprämie ist übrigens richtig: Ich sehe neben dem
Konjunktureffekt in der Wirtschaftskrise auch einen Vorteil für die Umwelt,
schließlich sind neue Autos umweltfreundlicher und verbrauchsärmer.
Sie sprechen die
Finanz- und Wirtschaftskrise an: Schlafen Sie noch gut?
Ja, jedenfalls kann
mir die Krise nicht den Schlaf rauben. Wir werden sie überwinden, alle
Notbremsen sind gezogen. Wichtig ist die schärfere Regulierung und Kontrolle im
Bereich der Finanzmarktgeschäfte. Der G-20-Gipfel hat gezeigt, dass wir bei der
Finanz- und Wirtschaftskrise alle an einem Strang ziehen. Wenn ich mal schlecht
schlafe, so hat dies andere Gründe.
Was könnte Ihnen
den Schlaf rauben?
… dass wir einfach
zu viel von dem nehmen, was wir nur einmal haben. Ich denke an die Bodenschätze,
ich denke an nicht nachwachsende Energien. Der Raubbau, den wir betreiben, ist unermesslich und geht zulasten derer, die uns folgen.
Sie denken an
kommende Generationen?
Ja, wir sind eine
Gesellschaft, die die Verbindung zur Natur verloren hat, wodurch unser
praktisches Denken verloren geht. Wir befassen uns mit dem großen Einmaleins,
ohne genau zu wissen, wo es langgeht. Wir werden immer bequemer, wollen nicht
mehr körperlich arbeiten, nicht mehr zupacken. Mit Sport kann man viel
ausgleichen, aber das reicht nicht. Wir werden krank, wir werden dicker. Die
Selbstreinigungskräfte, die sich auf den Märkten immer wieder finden, wirken
hier nicht. Zudem leben wir in den zivilisierten Gesellschaften weit über unsere
Verhältnisse. Noch nie ging es uns so gut wie heute, auch jetzt noch. Wir
jammern auf hohem Niveau, entsprechend tief können wir aber auch abstürzen. Doch
seien wir guten Mutes – in den vergangenen hundert Jahren gab’s zwei Kriege.
Unsere Vorfahren sind mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden und sie
haben’s geschafft, sie haben – etwas geschafft.
Was verdanken
Sie Opel?
Unseren Wohlstand
haben wir unseren Vorfahren zu verdanken. Aber etwas Vorhandenes zu bewahren,
ist oftmals schwieriger, als etwas aufzubauen. Aber ich find’s schon gut, was
unsere Vorfahren geleistet haben, nicht nur geschäftlich, sondern auch im Sport,
der Sportführung, aber auch in der Wirtschaft. Es wurden Arbeitsplätze
geschaffen und erhalten. Vater setzte sich mit dem Opel-Zoo in Kronberg ein
Denkmal. Und der Onkel Fritz war ja der erste Mensch, der sich mit
Raketenantrieb fortbewegt hat. Natürlich muss jeder Mensch seinen eigenen Weg
gehen. Es sollte sich keiner fahren lassen, auch wenn’s im Opel ist.
Was fahren Sie
für ein Auto?
Einen Opel Vectra,
Baujahr 2000.
Denken Sie an
ein neues Auto?
Vielleicht, es wird
hoffentlich wieder ein Opel sein. Ganz sicher sogar!