Aus "Rüsselsheimer
Echo" vom 16.10.2018
Frau Scherer,
wie oft fahren Sie in der Woche mit dem Fahrrad?
BRIT SCHERER: Jeden
Tag. Immer wenn es geht, und zur Arbeit sowieso.
Haben Sie
überhaupt ein Auto?
SCHERER: Ja, aber
das benutzen die Kinder jetzt. Ansonsten steht es mehr rum, als das es gebraucht
wird.
So ganz darauf
verzichten wollen Sie dann auch nicht?
SCHERER: Nein. Das
wäre auch unrealistisch. Das Auto ist in gewissen Situationen sehr praktisch. Es
wäre aber schön, wenn man das Fahrrad mehr benutzen würde. Ich merke ja selber,
man hat so viel Freude daran.
Was sind denn
die Vorteile?
SCHERER: Ich
bekomme den Kopf frei. Morgens fahre ich schon in der frischen Luft los, treffe
auf dem Weg vielleicht ein paar Bekannte, die ihre Hunde gerade ausführen. Das
macht doch Spaß. Dann fängt der Tag schon gut an. Außerdem tue ich etwas für die
gute Luft, für weniger Lärm, für eine stressfreiere Stadt.
Fahren Sie auch
im Winter?
SCHERER: Im Winter
ganz besonders. Ich kann es überhaupt nicht ausstehen, wenn mein Auto beschlagen
oder vereist ist. Da ist es doch einfacher, mit dem Rad schnell zum Rathaus zu
fahren als stundenlang das Auto frei zu kratzen. Früher habe ich auch viele
Ausreden gehabt. Mittlerweile fällt es mir überhaupt nicht mehr schwer.
Zum Radfahren
gehören aber auch gut ausgebaute Wege und ein fahrradfreundliches Klima. Ist
Rüsselsheim eine fahrradfreundliche Stadt?
SCHERER: Ja,
eigentlich schon seit über 20 Jahren. Wir haben mehrere Kollegen, die sehr
Fahrrad-affin waren. Mit dem ehemaligen Stadtrat Leyer hatten wir außerdem einen
Mann, der viel für den Radverkehr getan hat. Davon zehrt man noch heute. Es sind
viele Radwege da. Sie sind aber auch teilweise in die Jahre gekommen, aber bei
diesen muss man eben die Oberflächen, aber auch die Radwegbreiten auf die neuen
Bedürfnisse angepasst, erneuern
Erklären Sie
uns: Wie wird man denn Radfahrbeauftragte?
SCHERER: Ich bin
das zu allererst als Bürgerin der Stadt geworden. Und dann als Mitarbeiterin des
Rathauses, die gerne Fahrrad fährt. Ich kenne die Verwaltung. Ich kenne aber
auch jede Straße in Rüsselsheim aus meiner Haupttätigkeit im Tiefbauamt. Mein
Augenmerk hat sich deutlich verändert und ist verstärkt auf die Radfahrwege
gerichtet. Jetzt schaue ich viel intensiver auf deren Zustand.
Wir erklären Sie
sich den anhaltenden Fahrrad-Boom in der Gesellschaft, aber auch in der Politik,
die sich immer mehr des Themas anzunehmen scheint?
SCHERER: Es ist
doch klar: Wir sehen die ganze Umweltzerstörung und die Veränderung im Klima und
denken uns ja alle: Was können wir ändern? Das erste, was einem einfällt, ist
das Auto stehen zu lassen und auf das Rad umzusteigen. Zumindest für die kurzen
Wege. Rüsselsheim ist so prädestiniert dafür. Dazu muss man sagen: Es gibt
gerade so viele Fördergelder, Initiativen und Hilfestellungen für Kommunen, was
den Radverkehr betrifft. Wenn wir das jetzt nicht nutzen, wann dann? Wir könnten
womöglich sonst den Zug verpassen.
Also eine
Auto-Stadt wie Rüsselsheim, die in Zukunft auf das Fahrrad setzt, muss sich
Ihrer Meinung nach nicht ausschließen?
SCHERER: Nein: Auf
keinen Fall. Opel war früher selber Fahrradbauer. Ich suche schon seit langem
eine historische Aufnahme, auf der zu sehen ist, wie die Opelaner mit dem
Fahrrad zur Arbeit fahren. Aber schauen wir doch in die Niederlande. Dort fährt
jeder Fahrrad. Es fahren aber auch viele mit dem Auto. Und beides geht. Der
Radverkehr hat dort einen anderen Stellenwert.
Was könnte man
tun, um das Fahrradfahren in Rüsselsheim zu erleichtern?
SCHERER: Man kann
noch ganz viel tun. Zum Beispiel überall Radabstellanlagen aufstellen. An den
Einkaufszentren oder am Bahnhof verstärkt. Gerade jetzt, da auch die E-bikes
aufkommen. Wir müssen aber auch für qualitativ gute Radwege sorgen. Momentan
huppelt man so vor sich hin. Eine Erschütterung ohne Ende. Das ist das A und O,
die Oberflächen der Radwege zu ebnen.
Was noch?
SCHERER: Hinzu
kommt, die Sicherheit an den Kreuzungen zu verbessern. Aus Sicht des Radfahrers,
aber auch der Auto- und Lkw-Fahrer. Am meisten könnte man aber etwas an den
Schulen bewegen. Es gibt so viele Kinder, die mit dem Rad zur Schule fahren.
Aber unter welchen Bedingungen? Die Eltern haben Angst um ihre Kinder, weil es
nicht sicher genug ist. Gerade vor den Schulen müssen wir bewusst machen, dass
die vielen Eltern-Taxis eine Gefahr darstellen. Vor den Schulen möchte ich
deshalb Fahrradstraßen initiieren. Dass die Kinder zum Beispiel nebeneinander
fahren können. Und nicht mehr mit dem Auto teilweise bis vor die Tür gefahren
werden. Die Mütter steigen dann mit aus, machen den Kofferraum auf, holen den
Schulranzen raus und setzen den Kindern noch den Ranzen auf. Bald ist die
Selbstständigkeit wirklich total hin. Halteverbote werden sowieso missachtet.
Verrückt. So was geht gar nicht.
Die
Verkehrsdezernentin geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie fordert die
autofreie Innenstadt. Ist das realistisch?
SCHERER: Warum
nicht? Das gibt es in anderen Städten ja auch. Mit richtigen tollen Konzepten.
Nicht nur in Münster. Wir klagen über Parkplatznot, darüber, dass in den
Geschäften nichts los ist. Wenn man mit dem Fahrrad unterwegs wäre, gebe es
diese Probleme nicht.
Dazu müsste man
Straßen für den Autoverkehr schließen.
SCHERER: Jeder muss
mit dem Auto Zugang zum Haus haben, das muss man gewährleisten. Für Feuerwehr
und Einsatzkräfte sowieso. Aber man müsste das übrige Autofahren unattraktiv
machen. Es muss doch keine Durchgangsstraßen mehr geben. Oder nehmen sie das
Beispiel "Motorworld Manufaktur", die jetzt geplant ist. Ich kenne die
Verkehrsplanung dafür noch nicht, aber eigentlich ist dies ja ein Projekt, mit
dem man den Autoverkehr wieder in die Innenstadt holt, statt ihn herauszuhalten.
Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll? Ein sicherer Radverkehrsweg muss im
Verkehrskonzept der Motorworld enthalten sein. Genauso verstehe ich es nicht,
warum die ganzen Autos auf der Mainzer Straße stehen? Wir haben doch eine
Stellplatzsatzung, die für jeden verpflichtend ist. Anmerkung: Da es ein Tempo
30 Bereich ist, kann kein Radweg gebaut werden. So muss ich mich als Radfahrer
an den abgestellten Autos vorbeidrängeln. Das muss ja nicht sein. Wir müssen es
aber erst in den Köpfen der Menschen haben. Die autofreie Stadt – das muss etwas
Freiwilliges sein. Die Menschen aus Rüsselsheim müssen das auch wollen.
Wenn Sie einen
Traum hätten, welcher wäre das?
SCHERER: Ich möchte
gerne im Lotto gewinnen, und zwar den Euro-Jackpot, und diese Millionen Euro
hier in der Stadt in Radwege investieren – und in Sportzentren. Dass alle Kinder
sich auch motorisch entwickeln können.
Wenn sie Wahl
hätten: Ein Auto kaufen oder lieber ein Lastenrad. Wofür würden Sie sich
entscheiden?
SCHERER: Lieber ein
Lastenfahrrad.