BRAUNSCHWEIG. Das Erfolgssystem hat versagt. Statt, wie erwartet, jubelnd den
blauen Meisterschaftswimpel entgegenzunehmen, schauten die Spielerinnen des
Rüsselsheimer RK mit Tränen in den Augen zu, wie der neue deutsche Meister im
Hallenhockey geehrt wurde. Nicht der Titelverteidiger und Europapokalsieger,
sondern der Außenseiter Berliner HC hatte vor 1.000 Zuschauern in der
Braunschweiger Tunicahalle gewonnen. Und: Der 5:3-Sieg gelang verdientermaßen
der besseren Mannschaft. Erfolgstrainer Berti Rauth verfolgte die Siegerehrung
mit versteinerter Miene. Er hatte die Fehlerquellen der Niederlage schon
ausgemacht: In der nervösen Anfangsphase der Partie hatte Britta Becker zwei
Strafecken nicht nutzen können, während die Berlinerinnen in gleicher Situation
zweimal erfolgreich waren. "Diesen Rückstand haben wir bis zum Schluß mit
durchgeschleppt", bekannte Berti Rauth enttäuscht. Der Trainer sparte auch nicht
damit, seinen Spielerinnen Vorwürfe zu machen. Die eine habe zu früh die Nerven
verloren, die andere nie zur Ruhe gefunden, die dritte zu viele Fehler gemacht.
Zudem seien falsche Schiedsrichterentscheidungen zu "dramatischen" Zeitpunkten
getroffen worden.
Zum Kern drang der 33 Jahre alte Trainer allerdings nicht vor. Rauth stellte
zwar "unheimlich stereotype" Handlungsweisen bei seinen Spielerinnen fest und
nicht eingehaltene Absprachen über Spielvarianten, wies ein Versagen seinerseits
aber von sich. Sein Kollege beim RTHC Leverkusen, Rüdiger Hänel, der auch die
Nationalmannschaft betreut, sah das völlig anders. Hänel, ein leidenschaftlicher
Verfechter der Kreativität und Selbstverantwortung im Damenhockey, stellte nur
lakonisch fest: "Man hat deutlich gesehen, daß das dirigistische System verloren
hat." Rauth, der fundamentalen Anteil am steilen Aufstieg des Rüsselsheimer
Damenhockeys hat, gerät mit seiner Spielauffassung immer mehr in die Enge. Der
Hockeyfanatiker, der seine Spielerinnen von Kindesbeinen an auf sein Spielsystem
und seine dominante Rolle darin getrimmt hat, will nicht die Grenzen seines
Systems erkennen. Zu lange war der Rüsselsheimer RK in der Bundesliga überlegen,
als daß Grundsatzüberlegungen anzustellen gewesen wären. Diese Phase ist nun
beendet.
Das Finale der deutschen Hallenhockey-Meisterschaft von Braunschweig machte die
Schwäche der Rüsselsheimerinnen deutlich: Wenn die Mannschaft unter Druck gerät,
verläßt sie sich auf Bewährtes, unabhängig ob der Gegner dies längst erkannt hat
oder nicht. Und die Berlinerinnen hatten sich bestens auf ihren Gegner
eingestellt. Jeder Abschlag wurde beim Rüsselsheimer RK in bekannter Manier
ausgeführt - jedesmal geriet der Meister vergangener Tage sofort unter Druck.
Immer wieder wurde der Ball über die rechte Seite nach vorne gespielt - wie von
den Berliner Spielerinnen erwartet. "Links gibt es beim RRK nur sehr selten",
sagte Tanja Dickenscheid nach dem Spiel enttäuscht. Die Nationalspielerin war
die Beste in ihrer Mannschaft und die einzige der Rüsselsheimer Führungskräfte,
die nie den Glauben an einen Sieg verloren hatte.
Jungstar Britta Becker war überfordert und resignierte früh, Eva Hagenbäumer
kämpfte mit dem Mute der Verzweiflung und verlor dabei die Übersicht, Torhüterin
Bianca Weiß reagierte meist exzellent, nur in den entscheidenden Situationen
grundverkehrt: Um die Stärke der Rüsselsheimer Torhüterin wissend, hatten sich
die Berlinerinnen bei Strafecken nie für den direkten Torschuß, sondern immer
für das Abspiel entschieden. Jedesmal lief Bianca Weiß auf die vermeintliche
Schützin und ins Leere, dreimal war Silke Wehrmeister erfolgreich. "Bianca hat
sich nach Ansicht der Videos so entschieden, doch das war mit Sicherheit ein
Fehler", sagte Trainer Rauth das Spielgeschehen analysierend. Die Entscheidung
während des Spiels zu überdenken waren weder Torhüterin noch Trainer in der
Lage. Doch das war ja kein Einzelfall. "Wir spielen immer so und sind deshalb
leicht auszurechnen", sagte Tanja Dickenscheid zutreffend. In der Halbzeit
habe man sich eingeredet, den zweiten Durchgang mehr "mit Kopf zu spielen. Es
ist nicht gelungen. In der Zukunft wird geistige Stärke aber noch mehr gefordert
sein als in Braunschweig.