Aus "Deutsche
Hockey Zeitung" vom 15. Dezember 2020
Bei allen Sorgen,
die auch ihn als Trainer in diesen außergewöhnlichen Zeiten umgeben, verzweifelt
Berti Rauth nicht an der Corona-Krise. Der frühere Damen-Bundestrainer, der seit
13 Jahren beim Club an der Alster als Technikausbilder vor allem für
Nachwuchstalente arbeitet, kann der schwierigen Phase mit weitgehendem Verbot
von Gruppentraining sogar ein paar positive Seiten abgewinnen. In einem
Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagte Rauth kürzlich: "Ich habe im ersten
Lockdown eine interessante Beobachtung gemacht. Kinder und Jugendliche haben
wieder angefangen, das freie Spielen für sich zu entdecken. Die haben geschaut:
Was habe ich für Möglichkeiten, und was lässt sich daraus machen?"
Denn, so der
62-Jährige, in vielen Vereinen gäbe es "einen Zustand der Überorganisation. Für
alles ist gesorgt, alles wird vorgegeben." Dies sei zuletzt vielfach weggefallen
und habe dafür gesorgt, "dass es eine Rückbesinnung auf das gibt, was Sport
ursprünglich ausmacht: den Drang, sich zu bewegen, und die Lust, sich zu
messen." Und das gehe, ist der frühere Rüsselsheimer Meistermacher (15 nationale
und 18 internationale Titel mit den RRK-Damen) sicher, "zumindest für eine
gewisse Zeit, auch mit Abstand".
Die zeitliche
Schiene ist für ihn ein wichtiger Faktor: "Wenn dieser Lockdown zwei oder drei
Jahre dauern würde, dann schon", stimmt Rauth der Frage des
Abendblatt-Journalisten Björn Jensen zu, ob Corona besonders im Nachwuchs für
eine "verlorene Generation" sorgen würde. "Eine so lange Phase ohne Perspektive
würde dazu führen, dass wir erdrutschartig Talente verlieren", sagt Rauth, um
nachzuschieben: "Aber die Phase, die wir aktuell erleben, macht mir keine Angst
davor, dass uns nachhaltige Verluste drohen. Das überragende Talent bahnt sich
seinen Weg wie Wasser im Gebirge."
Doch ganz so
einfach will sich auch ein Berti Rauth die Sache nicht machen. "Vor allem im
motorisch wichtigsten Lernzeitraum, zwischen acht und zwölf Jahren, schadet eine
fehlende Trainingsintensität. Was man dort anbahnt, davon profitieren Kinder bis
ins Erwachsenenalter, und wenn es dort keine Kontinuität gibt, ist das
Verfestigen von Mustern schwierig", benennt der erfahrene Trainer die aktuelle
Gefahr ‒ und sieht auch seinen Berufsstand gefordert. Für sich selber ist Rauth
zur Erkenntnis gekommen, dass er "wegkommen muss vom verschulten Erklären, denn
davon haben die Kinder in der Schule schon genug". Deshalb verwende er bei
aktuellen Zoom-Konferenzen "nur etwa ein Viertel jeder Einheit darauf,
technische Grundlagen zu erklären, und den Rest, die Kinder zu Eigenständigkeit
anzuleiten".
Natürlich spürt
auch Rauth, dass speziell Kinder und Jugendliche, die sich für einen
Mannschaftssport wie Hockey entschieden haben, das Gemeinschaftserlebnis
vermissen. "Das, was ihnen am meisten fehlt, ist das gemeinsame Erleben, das
Sich-Messen in der Gemeinschaft. Deshalb ist es wichtig, ihnen zu zeigen, dass
diese Gruppe noch da ist, auch wenn sie physisch gerade nicht beisammen sein
darf", sagt der Trainer.
Dass den Kindern
derzeit "die Komfortzone genommen" worden sei, wie Rauth das Fehlen von
Trainingsgruppen und Übungsleitern bezeichnet, habe nach seiner Einschätzung
einen positiven Nebeneffekt: "Wenn das dazu führt, dass sie ihre Kreativität neu
entdecken, dann ist das ein wichtiger Schritt zurück zu der Spielkultur, die die
Vorstufe des organisierten Sports ist." Rauth streute im Interview auch
Selbsterlebtes ein: "Ich habe das Schlenzen früher nicht allein im Training
gelernt, sondern weil ich es im Hinterhof mit meinen Freunden immer und immer
wieder geübt habe." Nach Rauths Einschätzung seien "Kinder heute nicht anders,
die machen die Tricks, die sie im Fernsehen bei ihren Stars sehen, egal in
welcher Sportart, auch zu Hause nach". Folglich könne "dieser Drang, etwas zu
lernen, auch im Lockdown umgesetzt werden".
Und noch was
Positives: "Nach dem ersten Lockdown habe ich festgestellt, dass der Hunger auf
das Training viel größer war. Die Kinder haben gespürt, was ihnen gefehlt hat,
und waren richtig froh, als es wieder möglich war", sagt Rauth. Gleichzeitig
glaubt und hofft er, dass dieser "Motivationsschub" etwas sei, "das einen die
Demut lehrt, um schätzen zu können, was wir in normalen Zeiten in unserer
westlichen Welt alles haben". Der frühere Bundestrainer (1995 bis 2000) sieht
den Leistungssport "heute oft weit weg vom Ideal des Sports, der Begeisterung
für Bewegung". Aber genau diese Begeisterung sei es, was man "niemals verlieren
darf". lim