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Über Mitglieder des
RRK (2013)
Berthold "Berti" Rauth |
Berti Rauth mit dem Europacup-Wanderpreis
1993
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Aus
sieben Metern auf den europäischen Thron
Am Pfingstmontag vor 20 Jahren
verblüfften die Hockeydamen des Rüsselsheimer RK bei ihrer Europacup-Premiere
nicht nur Seriensieger HBC Amsterdam − Berti Rauth im Interview zu diesem
überraschenden Erfolg
Das Gespräch führte Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom
18.05.2013)
Man soll die Feste
bekanntlich feiern, wie sie fallen. Und deshalb wäre es absolut nachvollziehbar,
sollte sich die eine oder andere "Heldin" am Pfingstmontag ein Glas Sekt oder so
gönnen – auch wenn dieser Feiertag vor 20 Jahren auf den 1. Juni fiel. Das, was
den Hockeydamen des Rüsselsheimer RK anno 1993 auf der königlichen Anlage von
Leopold Brüssel gelungen ist, überstrahlt für viele Fachleute alle anderen 32
internationalen wie nationalen Meisterschaften. Mit einem 4:2-Triumph nach
Siebenmeterschießen über Rekordgewinner HBC Amsterdam hatten die aufstrebenden
Hessinnen die 18 Jahre währende niederländische Dominanz beim Europapokal der
Landesmeister sensationell beendet und sich selbst die sportlich wertvollste
Krone aufgesetzt.
Objekt der Begierde: Die Glaskugel für den
Europacupsieg 1993, die Kapitänin Eva Hagenbäumer hier noch Freude bereitet,
hat sich Trainer Berti Rauth gesichert. |
Spätestens jetzt
mussten auch die Hockey-Hochburgen in den deutschen Metropolen zur Kenntnis
nehmen, dass Trainer Berti Rauth am Untermain besonders gute Arbeit geleistet
hatte. Wie gut, dafür spricht neben den 15 europäischen Hallen-Triumphen nicht
zuletzt die Tatsache, dass nach nunmehr 39 europäischen Pfingst-Championaten nur
drei weitere Bundesligavereine ganz oben standen (Harvestehuder THC/1974,
Berliner HC/1997 und Rot-Weiss Köln/1999), aber alleine der RRK mit zwei
Erfolgen zu Buche steht. 1998 in London schlug am Pfingstmontag erneut die große
Stunde, diesmal gegen die Engländerinnen des Slough LHC und wiederum nach
Siebenmeterschießen (4:3). Für den inzwischen 54 Jahre alten "Vater" des
Rüsselsheimer "Frauenwunders" – seit 2007 beim Club an der Alster Hamburg als
Jugend-Koordinator tätig – indes steht der Coup vom Pfingstmontag 1993 in
Brüssel über allem.
Herr Rauth, hatten Sie im Fokus, dass sich der erste Europacupsieg zum 20. Male
jährt?
Das Datum hatte ich
so genau nicht drauf, aber ich bin froh, dass sich jemand erinnert. Ich tue das
eigentlich fast jeden Tag, denn die Plexiglaskugel, die es damals zusätzlich zum
Wanderpokal gab, steht seit vielen Jahren als einzige Trophäe bei mir im
Wohnzimmer. Nach dem Aufstehen komme ich daran vorbei und kann das immer noch
still genießen. Erfolge leben nur dann wirklich weiter, wenn man sich auch daran
erinnert.
Was für ein
Gefühl war das, erstmals zu den ganz "Großen" im Damenhockey zu gehören?
Ein paar Jahre
vorher bin ich mit den RRK-Damen zum Europacup der Landesmeister beim SC 80
Frankfurt gefahren. Ich war unglaublich beeindruckt vom Niveau der
Amsterdamerinnen. Das waren lauter große, athletische Frauen. Die hatten Power
ohne Ende und haben geschlagen wie Männer. Damals habe ich mir gesagt, "wie
schade, das kannst du nie gewinnen. Diese Qualität ist nicht zu erreichen". Die
waren wirklich eine Klasse für sich.
Habt Ihr Euch
vor Beginn des Turniers als krasse Außenseiter gesehen oder gab es Gedanken an
ein mögliches Finale?
Uns war vollkommen
klar, dass alle Teams, die in Brüssel dabei waren, zu Hause eine ganze Reihe
guter Gegner bezwungen haben mussten. Wir selbst hatten ja den damals top
besetzten RTHC Leverkusen im DM-Endspiel geschlagen und wollten uns unbedingt
gut präsentieren. Und nach den ersten Spielen war erkennbar, dass wir mithalten
konnten.
Erinnern Sie
sich noch an die Atmosphäre vor dem Endspiel gegen den zuvor 18 Mal in Serie
siegreichen HBC Amsterdam?
Wir waren noch
relativ unbedarft und die haben uns beim Warmlaufen fast umgerannt. Aber in
Ehrfurcht sind wir nicht erstarrt. Wir wussten, was wir können, obwohl mit Tanja
Dickenscheid eine ganz wichtige Spielerin wegen eines Kreuzbandrisses gefehlt
hat. Die Piste war schnell, was unserem Kombinationsspiel ähnlich wie in der
Halle entgegenkam.
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Prädikat besonders wertvoll: Nach 18
Triumphen des HBC Amsterdam hintereinander beenden die Hockeydamen des
Rüsselsheimer RK bei ihrer Europapokal-Premiere am Pfingstmontag 1993 die
holländische Siegesserie und tragen sich beim 20. Turnier als zweites
deutsches Team in die Siegerliste ein. Am Erfolg waren beteiligt (hinten)
Anja Warnecke, Masseur Pit Bulajic (†), Katrin Schmidt, Britta Becker, Petra
Vollhardt, Tanja Dickenscheid (verletzt), Denise Klecker, Sina Fröhlich,
Sabine Lersch, Trainer Berthold "Berti" Rauth, Betreuer Thomas Blivier (†)
sowie (vorn) Stefanie "Steffi" Rinderer, Sybille Breivogel, Susanne Müller,
Bianca Weiß, Eva Hagenbäumer, Marja Busch, Angela Müller, Nicole Hardt und
Anja Mück. |
Was ist vom
Verlauf des Finales alles haften geblieben?
Viel. Es war eine
totale Schlacht. Die Holländerinnen sind verbal wie körperlich brutal zu Werke
gegangen. Anja Warnecke, eine total besonnene Spielerin, ist irgendwann von der
Auswechselbank aufgesprungen und hat von der Seite hineingerufen "Was glaubt ihr
eigentlich, wer ihr seid?" Aber wir hatten damals wirklich ein ganz
außergewöhnliches Team mit einer Mischung aus großen Talenten und schon
routinierten Spielerinnen. Umso tragischer war es, dass Amsterdam in der zweiten
Halbzeit nach einer verstoppten Strafecke für uns per Konter in Führung ging.
Zum Glück hat Britta Becker dann eine eigentlich missglückte Strafecke unter die
Latte geschlenzt. Und beim Siebenmeterschießen sehe ich heute noch genau vor
mir, wie unsere Torhüterin Bianca Weiß den einen Ball im Sprung mit dem Schläger
um den Pfosten lenkt. Dass wir immer viel wert auf gute Schlenzarbeit gelegt
haben, hat sich dann zum Glück bei drei unserer Schützinnen ausgezahlt.
Wann ist Ihnen
bewusst geworden, etwas ganz Besonderes geleistet zu haben?
Eigentlich schon,
als wir zur Ehrung seitlich die Treppe zur rappelvollen Tribüne hinaufgelaufen
sind. Alle möglichen Leute kamen angerannt, um uns zu gratulieren und
abzuklatschen; die waren alle für uns. Wenn ich die Kugel heute sehe, weiß ich,
dass sie nicht umsonst da steht. Aber ich weiß auch, wie unglaublich schwer es
ist, einen solchen Erfolg nur ein einziges Mal feiern zu dürfen.
Gibt es noch
Kontakt zu den Spielerinnen und wäre es nicht spannend, sich mal als eine Art
Traditionsteam zu treffen?
Das ist eine süße
Idee und wäre bestimmt eine witzige Sache. Schade nur, dass Tommy Blivier, der
mich damals und lange darüber hinaus ganz doll unterstützt hat, das nicht mehr
miterleben kann. Wo alle Spielerinnen von damals leben und was sie heute machen,
weiß ich nicht. Aber bis zum 25. Jubiläum unseres Brüssel-Erfolgs sollte
genügend Zeit sein.
Beim Feldhockey-Europapokal feiern die Hessinnen einen
überraschenden Sieg gegen den HBC Amsterdam
Im
Siebenmeter-Schießen bleibt der RRK gelassen
Aus "Frankfurter
Allgemeine Zeitung" vom 1. Juni 1993
Sie kamen als unerfahrene
Neulinge und gingen als strahlende Siegerinnen. Die
Rüsselsheimer Damen haben beim Feldhockey-Europapokal in Brüssel
für die große Überraschung gesorgt. Nach zwei europäischen
Hallenerfolgen erstmals nun auch auf dem Feld in den Kreis der
besten acht Mannschaften vorgedrungen, erreichte der deutsche
Meister auf Anhieb das Finale und besiegte den zwölfmaligen
Cupgewinner und Titelverteidiger HBC Amsterdam mit 3:1 Toren im
Siebenmeter-Schießen. Nach der normalen Spielzeit hatte es 1:1
gestanden. "Das ist der größte Erfolg in der Vereinsgeschichte",
sagte Trainer Berti Rauth. Nach den europäischen Erfolgen in der
Halle 1991 und 1992 sowie der deutschen Doppelmeisterschaft in
Feld und Halle haben die Rüsselsheimerinnen nun alles gewonnen,
was eine Vereinsmannschaft gewinnen kann. "Unser persönlicher
Grand Slam", zog Rauth den Vergleich zum Tennis.
Ausgerechnet im Siebenmeter-Schießen zeigten sich die
Rüsselsheimerinnen viel gelassener als der erfahrenere Favorit
aus Amsterdam. Das Vertrauen in die eigene Stärke ist in den
nationalen Erfolgen des RRK in den vergangenen Jahren begründet.
Noch nie hatten die Rüsselsheimerinnen ein Siebenmeter-Schießen
verloren, zumal sie sich in Brüssel auf ihre Nationaltorhüterin
Bianca Weiß verlassen konnten. Spielführerin Eva Hagenbäumer war
es vorbehalten, den Triumph perfekt zu machen. Die eben nicht
als sichere Siebenmeter-Schützin bekannte Nationalspielerin
behielt im entscheidenden Moment die Übersicht und schoss das
wichtigste Tor ihrer Laufbahn. Zuvor hatten Britta Becker, der
bereits in der normalen Spielzeit der 1:1-Ausgleich gelungen
war, sowie Denise Klecker für die 2:0-Führung im
Siebenmeter-Schießen gesorgt. Nachdem die holländische
Nationalspielerin Ingrid Wolf an Bianca Weiß gescheitert war,
brachte der nächste Treffer die Entscheidung für Rüsselsheim.
Die Nationaltorhüterin hatte schon in der ersten Halbzeit der
normalen Spielzeit reaktionsschnell einen Rückstand verhindert.
"Vielleicht die spielentscheidende Szene", sagte Rauth.
Dies war überhaupt erst die zweite Finalteilnahme einer
Bundesliga-Mannschaft in den zurückliegenden zehn Jahren.
Entsprechend hoch muss der Rüsselsheimer Erfolg bewertet werden.
Der bislang einzige Sieg eines deutschen Teams war dem
Harvestehuder THC gelungen – bei der Europacup-Premiere 1974.
Seitdem beherrschten die niederländischen Mannschaften den
Wettbewerb – bis der Rüsselsheimer Ruder-Klub kam, sah und
siegte. |