Von Björn Jensen
(aus "Hamburger Abendblatt" vom 27.01.2018)
Es gibt sie, diese
Momente, in denen Anne Schröder denen, die ihr zuschauen, den Mund offen stehen
lässt vor Staunen. Wenn sie auf engstem Raum vier Gegenspielerinnen ausdribbelt,
als wären sie Fahnenstangen, und den Ball anschließend gezielt im Toreck
versenkt, während man sich noch fragt, wie zum Teufel sie überhaupt in diese
Position gekommen ist – dann wird deutlich, warum die 23-Jährige vom Club an der
Alster als technisch versierteste deutsche Hockeyspielerin gehandelt wird.
Es gibt aber auch
Momente, in denen man sich als Zuschauer abwenden möchte, weil das Fremdschämen
zu sehr schmerzt. Wenn sie sich auf dem Spielfeld in Rage redet, weil ein
falscher Schiedsrichterpfiff oder ein schlechtes Zuspiel ihr die Laune
verhageln, bis sie schließlich gegen jeden und alles pöbelt – dann wird
deutlich, warum sogar die Mittelfeldspielerin von sich sagt, dass sie sich mit
ihrer Art manchmal selbst im Weg steht.
Diese Extreme
vereint in einem Menschen machen Anne Schröder zur interessantesten
Persönlichkeit, die im Hamburger Damenhockey aktuell zu bestaunen ist. Und
natürlich ist das Viertelfinale um die deutsche Hallenmeisterschaft, zu dem
Alster an diesem Sonnabend Schröders Heimatverein Rüsselsheimer RK empfängt, für
den sie 13 Jahre lang spielte, ein guter Anlass, um über Außenwirkung und
Selbstwahrnehmung zu reden.
Anne Schröder sitzt
in einem Café an der Alster. Eine Erkältung macht ihr zu schaffen, sie trinkt
frischen Minztee, um gesund zu werden, denn das ist wichtig. Auch wenn Alster
die beste Mannschaft seit Jahren besitzt, souverän Nordmeister wurde und als
Topfavorit auf den Titel gilt (es wäre der erste seit 2009), kann Cheftrainer
Jens George auf seine Spektakelspielerin kaum verzichten. "Anne ist technisch
unfassbar versiert und hat sich über die vergangenen Jahre zur Führungsspielerin
entwickelt", sagt der Coach.
Dass er mit ihrem
zweiten Ich nicht immer glücklich ist, verschweigt George nicht. "Außerhalb des
Hockeys hatte ich mit ihr noch nie Probleme, auf dem Platz kann sie ein anderer
Mensch sein", sagt er und führt dies auf den unstillbaren Ehrgeiz zurück, der
die Ausnahmekönnerin antreibe. "Sie ist unheimlich zielstrebig, was eine
positive Eigenschaft ist. Aber dadurch wird sie schnell unzufrieden mit sich und
vergreift sich auch mal im Ton, was kontraproduktiv sein kann", sagt er.
Als
Psychologiestudentin weiß Anne Schröder, deren Freund Alessio Ress am Sonnabend
mit Alsters Herren gegen den Mannheimer HC ebenfalls um die Teilnahme am
Final-Four-Turnier in Stuttgart (3./4. Februar) kämpft, die Ausprägungen des
menschlichen Charakters einzuordnen. Schon früh in ihrer Karriere hat sie die
Vorwürfe hören müssen, zu impulsiv zu sein und damit nicht nur sich selbst,
sondern auch dem Team zu schaden. Deutlich häufiger jedoch hat sie mittlerweile
erfahren, dass Zielstrebigkeit und Ehrgeiz, die in dieser Form im Frauensport
nur selten zu beobachten sind, sie ans Ziel gebracht haben. Dass ihre Bewegungen
am Stock so leicht aussehen, ist das Ergebnis akribischen Trainings in
unzähligen Technikeinheiten mit ihrem Entdecker Berti Rauth, die sie stets aus
eigenem Antrieb absolvierte. Deshalb sagt sie: "Ich weiß, dass ich weiter daran
arbeiten muss, meine Energie positiv zu kanalisieren. Aber ich will gar nicht so
viel an meinem Auftreten verändern, weil mir und dem Team meine Eigenschaften
viel öfter helfen, als dass sie schaden."
Um ihre
Außenwirkung mache sie sich seltener als früher Gedanken, "weil ich durch das,
was ich erreicht habe, selbstsicherer geworden bin". Überhaupt sei das
Vorurteil, sie sei ein Mensch mit zwei Gesichtern, nicht zutreffend. "Ich bin
auch privat sehr emotional, kann krass fröhlich sein, aber genauso gut auch
jemanden heftig anmachen", sagt sie. Das richtige Maß zu finden fällt ihr noch
immer nicht leicht, "aber ich weiß jetzt, wann es sich gut anfühlt und wann
nicht. Wir haben im Team einen Weg gefunden, dass die Mitspielerinnen mir offen
sagen, was geht und was nicht. So kommen wir alle besser damit klar."
Tatsächlich hat
Anne Schröder in den vergangenen zwei Jahren deutliche Fortschritte gemacht im
Bemühen, auf dem Hockeyplatz den Fokus nicht zu verlieren. Geholfen hat ihr
dabei auch die Maßnahme des ehemaligen Bundestrainers Jamilon Mülders, sie in
den Kreis der Spielführerinnen aufzunehmen. "Auch wenn ich die Binde nicht
brauche, um für das Team mitzudenken, war es für mich schön, solches Vertrauen
zu spüren", sagt sie. Der Schritt von der freigeistigen Kreativspielerin zur
strukturgebenden Führungskraft sei ein großer, "ich bin noch auf dem Weg
dorthin", sagt sie. Aber die Momente, in denen man über ihre Kunst staunt,
überwiegen längst diejenigen, in denen man sich über ihre Ausfälle wundert.
Insofern ist der Weg, den Anne Schröder geht, der richtige.