Rüsselsheimer Ruder-Klub 08 "Archiv und Chronik"

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Alfred Segner

In seinem Element: Alfred Segner war in der Bundesliga ein gefürchteter Torschütze in der Hockey-Mannschaft des RRK

 

 

 

 

 

 

 

Um ein einmaliges Erlebnis gebracht

Nach dem deutschen Boykott 1980 tut sich für Hockeyspieler Alfred Segner (Rüsselsheimer RK) und Judokämpfer Adalbert Missalla (JC Rüsselsheim) keine zweite Olympia-Chance mehr auf.

Von Martin Krieger (aus "Main-Spitze" vom 15.05.2020)

Hier ein weiterer ausgefüllter Operationstag in der Ortho-Klinik in Offenbach, dort der 15. Tag ohne Berufsalltag in Rüsselsheim: Anders als vor exakt 40 Jahren können Adalbert Missalla und Alfred Segner diesen Freitag selbstbestimmt und vor allem höchstwahrscheinlich unbeschwert erleben. Am 15. Mai 1980 hatte das vollkommen anders ausgesehen. "Ich war total enttäuscht und ziemlich verärgert darüber, dass die weltpolitischen Umstände auf dem Rücken der Sportler ausgetragen wurden", beschreibt Hockeyspieler Segner seine Gefühle, als das Nationale Olympische Komitee (NOK) aufgrund des russischen Einmarsches in Afghanistan an jenem Donnerstag mit 59:40 Stimmen für einen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau votiert hatte. "Denn mir war klar, dass man immer damit rechnen muss, dass es aufgrund von Verletzungen oder Formschwäche die einzige Olympia-Chance sein kann."

Alfred Segner bejubelt den DM-Triumph 1977

Obwohl diese dunkle Vorahnung auch für den Judokämpfer Missalla zur bitteren Wahrheit wurde, blickt der 64 Jahre alte Orthopäde mit etwas weniger Groll auf die Entwicklung im Frühjahr 1980 zurück: "Da ich als Spätaussiedler aus Polen nach Deutschland kam, wusste ich im Gegensatz zu den anderen, was es bedeutet, unter sowjetischer Kontrolle zu leben. Insofern hatte ich ein gewisses Verständnis dafür, dass man etwas für den Weltfrieden tun muss ‒ auch wenn auf der anderen Seite natürlich der Wunsch da war, doch unbedingt dabei sein zu wollen. Zumal sich ja lange nicht alle West-Europäer dem Boykott anschlossen." Als Deutscher Meister in der Klasse bis 78 Kilogramm habe er schließlich in dieser Zeit dreimal täglich trainiert und nebenbei an der Uni Frankfurt in der Vorbereitung auf das Physikum gesteckt.

Im Gegensatz zu etlichen deutschen Topathleten, die entweder vor oder nach 1980 die besonderen Wettkampftage unter dem Banner mit den fünf Ringen mitnehmen konnten, blieb Missalla wie dem 62-jährigen Segner das Olympia-Erlebnis gänzlich verwehrt. Während Missalla eine komplizierte Daumenverletzung vier Jahre später um die Teilnahme in Los Angeles brachte, fiel Segner beim damaligen Hockey-Bundestrainer durchs Sieb. "Da habe ich mich subjektiv schon ein bisschen zurückgesetzt gefühlt, denn man ist ja in der Bundesliga auf all die Leute getroffen, die dann nominiert wurden. Und mit acht oder neun von denen hatte ich ja die WM in Bombay gespielt."

"Ich war total enttäuscht und ziemlich verärgert."

Über den Jahreswechsel 1981/82 schaffte es die DHB-Auswahl in Indien ins Endspiel, das gegen Pakistan 1:3 verloren ging. "Die Teilnahme an einem so großen Turnier hat mich schon ein bisschen fur Moskau entschädigt", sagt Segner, der die Silbermedaille in seinem Haus in Bauschheim aufbewahrt. Insgesamt 22 Länderspiele zwischen 1978 und 1982 sowie fünf DM-Titel mit dem Rüsselsheimer RK stehen zudem auf der sportlichen Habenseite des gelernten Fernmeldetechnikers, der nach einem Ingenieur-Studium und 38 Berufsjahren beim Autobauer Opel seit 1. Mai den passiven Teil seiner Altersteilzeit genießt.

Geburtsort im deutschen Pass muss 'Wroclaw' lauten

Nicht minder erfolgreich liest sich Missallas aktive Judobilanz. In Breslau aufgewachsen und während seiner späteren Glanzzeit zu einem internationalen Turnier in Polen erst zugelassen, als in seinem deutschen Pass der Geburtsort in 'Wroclaw' umgeschrieben wurde, habe er von seinem ersten Trainer Stanislaw Siewor sehr profitiert: "Er hat mir nicht nur die Technik beigebracht, sondern auch die richtige Einstellung zu diesem Sport. Judo bedeutet nicht ein bisschen raufen, Judo ist ein Lebensweg", erzählt der in Oberursel wohnhafte Mediziner. Dieses Gesamtpaket schlug sich in drei deutschen und zwei internationalen deutschen Meistertiteln nieder. Dazu feierte Missalla mit der Mannschaft des JC Rüsselsheim, für die er 13 Jahre lange auf die Matte ging, jeweils zwei DM- sowie Europacup-Triumphe und trug 1979 zu EM-Bronze mit dem DJB-Nationalteam bei. "Ich war immer der sichere Punkt."

Während Alfred Segner und die anderen Hockey-Kameraden von 1980 mit einer Länderspielreise nach Australien und als "potenzielle Silbermedaillenkandidaten" mit 10.000 Mark entschädigt wurden, sah dies bei den Judo-Leidensgenossen offenbar anders aus: "Wenn es eine Geldzahlung gegeben hätte, müsste ich das eigentlich wissen. Ich war damals ziemlich klamm und musste Trainerstunden in Frankfurt geben. Ich weiß nur, dass es monatlich 800 Mark von der Sporthilfe gab", berichtet Missalla. An die Reise für die entgangene Olympiateilnahme auf die Bahamas kann er sich indes gut erinnern, "wobei ich wegen Prüfungen an der Uni nachreisen musste und nur 100 Mark Taschengeld dabei hatte. Das haben andere an einem Tag ausgegeben." Gegen Ende der 80er Jahre habe er sich dann ebenso wie Segner darauf konzentriert, beruflich voranzukommen.

Dem Sport etwas zurückgeben wollten Segner wie Missalla trotz der leidvollen Erfahrung vor 40 Jahren dennoch. Von 2002 bis 2004 war Missalla Präsident des Hessischen Judo-Verbandes. Als Mediziner beschäftigte er sich intensiv damit, die Verletzungsrate im Judo zu mindern, hält regelmäßig Vorträge beim DJB und steht als Teamarzt dem JC Samurai Offenbach zur Seite. Segner fungiert seit drei Jahren als Zweiter Vorsitzender des Sportbunds Rüsselsheim und sitzt in dieser Funktion im Sportkreis-Ausschuss. Nahe liegend, dass beide jetzt intensiv die Daumen drücken, dass Rüsselsheims Sportler des Jahres, Pauline Heinz (RRK) und Eduard Trippel (JCR), nach der coronabedingten Verschiebung ihren Olympiatraum nun im Sommer 2021 in Tokio realisieren können. "Eduard ist ein guter Kerl, für den ich mich sehr gefreut und den ich auch medizinisch betreut habe", sagt Missalla. "Und Pauline ist ja noch so jung, sie wird auf alle Fälle ihre Chance bekommen", ergänzt Segner.

Nicht ausgeschlossen, dass sich die Wege der beiden Olympia-Geprellten irgendwann noch einmal kreuzen. Segners Kniegelenke sind nach zig Jahren auf Hallenböden, Natur- und Kunstrasen nicht mehr die Allerbesten, weshalb seit rund vier Jahren auch der Hockey- gegen den Golfschläger getauscht wurde. Da trifft es sich gut, dass Missalla als ausgewiesener Knie- und Schulterspezialist gilt und mit seinen beiden Kollegen in Offenbach pro Jahr rund 2.500 Operationen durchführt. "Und so lange es mir Spaß macht, mache ich weiter", sagt Missalla. Für den Fall der Fälle sollte es ob der sportlichen Parallelen an Gesprächsstoff jedenfalls nicht mangeln. Bestimmt auch über die Gefühlswelt rund um den 15. Mai 1980.