Rudern in Azerbaijan
von Uli Vorfalt
Eigentlich
wollte ich Rüdiger Hauffe ja schon im Iran besuchen, was aber immer
nicht klappen sollte. Inzwischen hatte Rüdiger die Stelle als "Headcoach
Rudern" in Azerbaijan angenommen und so musste ich meine Reisepläne
ändern. Am 4.10.09 war es so weit. Mein Flug führte mit Austrian
Airlines nach Wien und von dort weiter nach Baku, der Landeshauptstadt.
Dort wurde ich von Rüdiger abgeholt und mit dem Taxi ging es in einer
"Höllenfahrt" von ca. 5 Stunden über Landstraßen – teilweise Schotter –
ca. 350 km nach Mingecevir, der Stadt, in der das Leistungszentrum der
Azerbaijan Rowing Federation beheimatet ist.
Flug
längs des Kaukasus |
Der Mingecevir-Stausee |
Das Zentrum von Mingecevir |
Das
Ruderzentrum am Fluss Kura |
Mingecevir
ist die viertgrößte Stadt Azerbaijans mit ca. 120.000 Einwohnern (davon
ca. 30.000 Flüchtlinge aus Berg-Karabach), am Fluss Kura gelegen, der
durch den Mingecevir-Stausee fließt und an dessen Ufern auch das
Ruderzentrum liegt. Dieser Stausee ist ca. 605 qkm groß und hat eine
Länge von ca. 70 km. Er wird vom höchsten Staudamm Europas aufgestaut.
Ca. 10.000 deutsche Kriegsgefangene waren am Bau des Staudammes sowie
an dem Aufbau der Stadt beteiligt. Die "deutsche Handschrift" ist
teilweise noch zu erkennen. In dieser "unrühmlichen Zeit" war Azerbaijan
noch Sowjetrepublik.
10 Tage
sollte ich nun mit Rüdiger und seinem Mitbewohner Jochen, der den
Kanuten-Kader von Azerbaijan betreut, in einer Männer-WG verbringen. Nur
so viel, es hat prima geklappt. Nochmals vielen Dank an Jochen und
Rüdiger.
In erster
Linie interessierten mich natürlich die Trainings- und Ruderbedingungen
im Leistungszentrum, welches auch schon früher von den Russen genutzt
wurde.
Derzeit
fand ein gerade ein Trainingslager sowohl der Ruderer, als auch der
Kanuten statt. Es wurde täglich 3 x trainiert. So oft es möglich war,
saß ich bei Rüdiger im Motorboot und begutachtet das Geschehen zu
Wasser, aber auch an Land.
Die
Bootshalle des Ruderzentrums |
"Überbleibsel" aus russischer Zeit
Junioren-Vierer-ohne unterwegs |
Junioren-Vierer-ohne im Training auf spiegelglattem Wasser |
Das Wetter
war trotz Oktober noch sommerlich warm, der Himmel fast jeden Tag
strahlend blau. Es regte sich meist kein Lüftchen. Die Bedingungen also
ideal. Dementsprechend zeigt sich auch das Trainingsrevier. Der Kura ist
fast stehend und teilweise zu einem See verbreitert. Es gibt keine
Schifffahrt oder Freizeitboote. Man kann also alle Trainingseinheiten
ungestört absolvieren.
An etlichen
Bildern kann man ermessen, welch ideale Bedingungen dort vorherrschen.
Auch
Skullen gehört zum Programm |
Ein
Doppelvierer im Gegenlicht |
Der
Zweier-ohne in neuer Besetzung |
Leider
kennt man in Azerbaijan keine Strukturen wie wir sie von Deutschland
kennen. Es gibt keine Rudervereine oder Schulen, an denen Rudern gelehrt
wird. Man improvisiert mehr oder weniger. Es befindet sich alles im
Aufbau. Rüdiger hat also große Aufgaben zu bewältigen und harte Arbeit
vor sich. Trotzdem zeigten sich schon erste Erfolge im Junioren- und
Männerbereich: Im Zweier-ohne der Junioren Siege auf den
Prüfungsregatten in Köln und Hamburg und Teilnahme am C-Finale der WM –
im Lgw.-Einer der Männer B Teilnahme am C-Finale der WM. Lt. Rüdiger
sind beide Boote auf der WM unter Wert geschlagen worden.
Im
Bootsbestand für die Leistungsruderer ist man gut abgedeckt. Man rudert
vornehmlich Boote aus einer chinesischen Werft. Ein Zweier-ohne und ein
Skiff kommen aus Deutschland von Empacher. Im Nachwuchsbereich (Kinder
und Jugendliche) sieht es allerdings nicht sehr rosig aus. Leider fehlen
auch hier die Mittel. Es ist aber bewundernswert, mit welchem Material
die Jugendlichen zurecht kommen. Bei uns würde man es als Zumutung
empfinden, in solche Boote zu steigen. C-Boote sind hier gänzlich
unbekannt.
Man verfügt
über 2 Ruder- und 2 Kanu-Ergometer, die in einer offenen Halle
untergebracht sind. Der Hantelraum erinnert an frühere Zeiten bei uns.
Man muss sehr viel improvisieren, da das nötige Geld und damit auch
Material für Reparaturen usw. fehlt.
Momentan
ist allerdings in Mingecevir ein großes Olympiazentrum im Bau. Dort
werden nicht nur den Ruderern und Kanuten alle Möglichkeiten zum
Training etc. geboten. Derzeit sind ein Hallenschwimmbad, Sporthallen,
Bootshallen, Krafträume, Zielturm für Regatten plus Tribüne und ein
Hotel für Sportler und Trainer kurz vor der Vollendung. Rüdiger wird
dort auch eine sehr schöne Wohnung erhalten. Geplant sind auch ein
Restaurant und Tennisplätze.
Typisches Straßenbild in Mingecevir |
Flüchtlingsquartiere in einer Bauruine |
Rüdiger Hauffe kauft beim Obsthändler ein |
Eine
Metzgerei im Basar |
Leider in traurigem Zustand, der deutsche Gefangenenfriedhof |
Ein
Überlandbus
Blick
auf einen Teil des neuen Olympiazentrums in Mingecevir |
Eines der typischen Straßen-Kaffees |
Ein
Fernsehteam vor Ort |
Trotz des
intensiven Trainings nahmen Rüdiger und Jochen sich noch die Zeit mir
ein wenig Mingecevir zu zeigen. Auch eine Einladung zum Essen durch den
Leiter des Stützpunktes war im Programm enthalten.
Viel gibt
es von der Stadt allerdings nicht zu berichten. Es gibt zwar einen
großen Basar, aber Einkaufsgelegenheiten wie bei uns (Supermärkte,
Einkaufstraßen etc.) sucht man vergebens. Auch Restaurants, Kneipen o.ä.
sind so gut wie nicht vorhanden. Kaffees, in denen Tee ausgeschenkt
wird, gibt es jedoch zur Genüge. Allerdings befindet sich bei Rüdiger um
die Ecke eine "richtige Kneipe" (die einzige in der ganzen Stadt), die
auf Wild-West getrimmt ist, und das gar nicht mal schlecht. Hier
genehmigten wir uns zum Feierabend des öfteren ein (oder auch 2)
gezapfte Bier, welches gut gekühlt und auch sehr bekömmlich war.
Ein
Doppelzweier auf unbewegtem Wasser
Der
Fluss Kura: "Ein
Traum zum Rudern" |
Der
leichte Männer-Einer |
Der
Mädchen-Doppelvierer auf dem Heimweg |
Ein
Übungszweier für Anfänger |
Rüdiger Hauffe auf der Suche nach seinen Männern
Ein
Kinder-Einer |
Auch die
Kanuten werden im Training gefordert |
Das
Straßenbild wird fast ausschließlich von Männern in dunklen Anzügen und
weißen Hemden geprägt. Die Jugendlichen nähern sich allerdings schon dem
westlichen Standart mit Jeans und T-Shirt. Ein Handy ist in Aserbaijan
allerdings ein Muss, ebenso wie ein PKW der Marke Mercedes, BMW o.ä. und
wenn möglich, ein Geländewagen. Fahrzeuge der Marke Lada prägen
allerdings das gesamte Straßenbild, wobei fast jeder dritte PKW ein Taxi
ist. Wie die allerdings über die Runden kommen, ist mir ein Rätsel,
wobei der Sprit natürlich erheblich billiger als bei uns ist (ca. 40 ct.
der Liter). Öffentliche Busse verkehren auch, Fahrräder sind hier
anscheinend noch nicht bekannt.
Leider
verflog die Zeit viel zu schnell. Am 14.10. hieß es Abschied nehmen von
der WG in Mingecevir. Ein Taxi brachte mich im Eiltempo, d.h. erneut in
halsbrecherischer Fahrt zurück nach Baku. Pünktlich um 21.20 Uhr landete
ich nach erneutem Zwischenstopp in Wien wieder in Frankfurt.
Mein Fazit,
Mengecevir war eine Reise wert, ich werde bestimmt wiederkommen !
Das
Provisorium "Hantelraum" im Ruderzentrum |
Die
offene Ergometer-Halle des Ruderzentrums
Auf dem
Weg zurück nach Baku zum Flughafen |
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