|
Über Mitglieder des
RRK (1990)
Michael Schindler |
|
Marathonrudern - oder die
andere Art ins Ziel zu kommen
Der "Marathon-Man" der RRK-Ruderer: Michael Schindler |
Ich bin gebeten worden über das
Marathonrudern zu schreiben, eine exotische Form des Rennruderns. Es handelt
sich um Rennen zwischen 42 und 160 km Länge, deren Reglement nicht so stark
fixiert ist wie beim Kurzstreckenrudern. So dürfen nicht nur die olympischen
Bootsklassen an den Start gehen, sondern auch Doppelachter, Dreier sowie
C-Boote. Zudem wird das Rennen in Altersgruppen unterteilt. Dadurch hat man
nicht nur in der eigenen Abteilung seine Gegner, sondern man fährt auch gegen alle anderen Boots- und Altersklassen um den Sieg.
Das Angleichen der Boots- und Altersklassen erfolgt über einen Bonus, der mit
dem Alter und der langsameren Bootsklasse ansteigt. In Lüttich (60,55 km)
entspricht der Bonus dem Vorsprung, den die langsameren Klassen erhalten, so daß
das erste durchs Ziel rudernde Boot der Sieger ist. In Paris (42 km) dagegen
gibt es einen chaotischen Massenstart und der Sieger wird erst nach dem Rennen
durch Verrechnung der tatsächlichen Zeit mit dem Bonus bestimmt. Allerdings sind
die Boni vom Veranstalter nicht wissenschaftlich ermittelt worden, so daß die
Plazierung in der Gesamtwertung von Marathon zu Marathon schwankt. Real ist von
daher nur die Plazierung in der eigenen Abteilung und man sollte sich nicht über
den seiner Meinung nach ungerechtfertigten Bonus der einen Klasse gegenüber der
anderen aufregen. Manche Mannschaften überlegen sich anhand des jeweiligen
Bonus, ob sie im Vierer oder im Zweier an den Start gehen.
In Genf (160 km) und Rees-Deventer (100 km) sind offiziell nur C-Vierer
zugelassen wegen der zum Teil extremen Randbedingungen (1,5 Meter hohe Wellen).
Andere Bootsklassen können hier aber außer Konkurrenz mitfahren.
Das Marathonrudern verlangt nicht nur die typischen Eigenschaften des
Rennruderers wie Kraft, Ausdauer und Technik, sondern auch große psychische
Stärke, da gegnerische Zweikämpfe nicht nur über Minuten, sondern über Stunden
andauern können. Zum anderen kommt man dem Gegner bis auf wenige Zentimeter nahe
und beim Überholvorgang wird manch harter Spruch ausgeteilt. Und gerade diese
Zweikämpfe mit den anderen Bootsklassen machen den besonderen Reiz des
Marathonruderns aus.
Als Grundlage, um eine solche Strecke vernünftig rudern zu können, sollte man
keine Probleme mit dem Hintern oder den Händen haben, denn schmerzende
Körperteile sind äußerst unbeliebt. Leider kann diese Fähigkeit erst beim
Marathon selbst überprüft werden, was dann häufig zu den merkwürdigsten
Ruderstilen führt.
Die Verpflegung während des Rennens reicht von A wie Apfelsaft bis Z wie
Zaubertrank. Bananenstauden erfreuen sich auch wachsender Begeisterung. Ich
selbst bevorzuge Isostar sowie Mars und Snickers. Problematisch ist allerdings,
daß die Getränke sehr stark auskühlen und dadurch der Appetit auf die im
Wettkampf wichtige ausreichende Flüssigkeitsaufnahme weitestgehend gedämpft ist.
Im folgenden möchte ich ein Rennen der diesjährigen Saison beschreiben, um einen
Einblick in das Renngeschehen zu geben.
Michael Schindler im Einer |
|
|
"Ultramarathon", die Tour du Lac
Leman |
Ende September steht Genf ins Haus. Wir gehen als Vorjahressieger und
Rekordhalter an den Start. Allerdings ist die Mannschaft nicht mehr die alte. Es
handelt sich zwar bei allen um erfahrene Genfruderer, jedoch hat einer in diesem
Jahr wegen der Bundeswehr nicht viel trainieren können, was wir aber erst in
Genf erfahren. Dennoch gehen wir optimistisch an den Start. Am Freitag werden
die Boote auf das Rennen vorbereitet: Anbringen zweier elektrischer Pumpen,
Bugabdeckung, Spritzschutz für die Ausleger und die vorgeschriebene
Bootsbeleuchtung. Außer den Lampen sind Schwimmwesten und eine Leuchtpistole
vorgeschrieben. Am Abend werden die Getränke gemixt und die Verpflegung in
Gefrierdosen wasserdicht verpackt. Samstagmorgen um 9 Uhr erfolgt der Start. Wir liegen sofort an vierter Stelle
und finden schnell in unseren Rhythmus. Wir müssen allerdings feststellen, daß
wir nicht so stark wie im letzten Jahr sind und unser Soldat gibt sich vor allen
Dingen auch technisch sehr schlecht. Trotzdem gilt die Devise, daß das Rennen
160 km lang ist und da kann viel passieren. Nach 60 km steht fest, daß es ein
Zweikampf zwischen uns und der Renngemeinschaft Bonn/Düsseldorf werden wird.
Kurz vor der 80-km-Marke überholen wir dieses Boot und liegen vorne. Doch
nachdem unser schwächster Mann mit dem nächsten Steuermannswechsel wieder
mitrudert, müssen wir die Führung wieder abgeben. Bis zur 130-km-Marke kleben
wir am Gegner mit nur einer Minute Rückstand. In unserer stärksten Besetzung
holen wir immer wieder etwas auf, was wir nach dem nächsten Wechsel wieder
verlieren. Dann, nach 130 km, sind wir plötzlich wie ausgebrannt. Die
Siegermannschaft fährt uns langsam davon. Da hinter uns kein Boot ist, was uns
den zweiten Platz streitig macht, gehen wir den Rest der Strecke für unsere
Verhältnisse locker an. Eine Stunde vor der Ankunft ist unser Getränkevorrat
erschöpft, was die Stimmung nicht gerade hebt. Bezüglich des Steuermannswechsels stellt sich in Genf nach rund 90 km die
typische Schizophrenie ein: Einerseits freut man sich darauf, alle zwei Stunden
steuern zu können, aber andererseits sind die ersten zehn Minuten nach dem
Wechsel sehr hart, daß einem die Freude auf den Wechsel vergehen kann. Man ist
nämlich zunächst nicht in der Lage, die Skulls richtig anzufassen und die
ausgekühlten Muskeln schmerzen. Aber sobald die ersten zehn Minuten vorbei sind,
kann man wieder voll zulangen. Als Zweite erreichen wir nach 12 Stunden und 50 Minuten das Ziel. Wir sind uns
noch nicht ganz sicher, ob wir uns über den zweiten Platz freuen sollen, weil
wir so lange am Sieger drangeblieben waren und wir einen gewissen Ärger auf
unseren schwächsten Mann hegen. Aber die Freude, es wieder einmal geschafft zu
haben, gewinnt dann doch die Oberhand. Wegen des guten Wetters wird zusätzlich unser Rekord vom Vorjahr gebrochen.
Damit bleiben wir nur ein Jahr im Guinness-Buch der Rekorde. Die Unterbringung der Ruderer in Genf erfolgt in Bunkern. Am nächsten Morgen
stelle ich fest, daß nach 160 km Genf das Besteigen des Hochbettes nicht mehr so
elegant gelingt wie am Freitag. Das nächste Mal liege ich unten! |