Irgendwie wird man den
Eindruck nicht los, dass sich im hessischen Hockeysport alles um drei
Buchstaben dreht: RRK. Man muss in den Zeitungsarchiven schon tief
wühlen, um die Artikel auszusieben, bei denen es nicht um den
Rüsselsheimer Ruder-Klub geht. Aber kein Wunder. Der Branchenprimus, vor
allem seine Damen, hat seit Jahren die Sportart gut im Griff. Über 30
nationale und internationale Titel hat Trainer Berti Rauth mit dem
Damenteam gewonnen. Daran gemessen sind die RRK-Frauen das beste
Hockeyteam in Deutschland und womöglich sogar die erfolgreichste
Vereinsmannschaft überhaupt. Mit Mandy Haase, Denise Klecker und Silke
Müller stellten die Rüsselsheimerinnen zudem drei
Goldmedaillengewinnerinnen bei Olympia in Athen. So weit, so gut. Doch
was tut sich hinter den Rüsselsheimer Erfolgsfrauen?
Hockey ist in Hessen zwar
keine Boomsportart. Daran hat auch der Erfolg von Athen nichts geändert.
Selbst bei Spitzenbegegnungen mit einem halben Dutzend
Olympiasiegerinnen auf dem Platz, verlieren sich ein paar hundert
Zuschauer am Spielfeldrand, wenn überhaupt.
Das Interesse bei Kindern
und Jugendlichen, die den Schläger schwingen wollen, ist freilich
ungebrochen. „Wir haben zwanzig Prozent mehr Mädchen als noch vor einem
Jahr“, sagt Hans-Jürgen Pabst, bis zu seinem Ausscheiden im März 26
Jahre lang Präsident des Hessischen Hockey-Verbandes. Auch bei den Jungs
sind leichte Zuwächse zu verzeichnen. Und doch: Hessen schwächelt.
„Situation ist mau“
Das meint jedenfalls Jürgen
Fiedler, der Sportliche Leiter von Eintracht Frankfurt. Die Situation
ist kurios: Der Nachwuchs wächst, die Erfolge sind durchwachsen. „Der
RRK ist der einzige Verein, der die Fahne des Spitzensports oben hält.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation mau ist“,
sagt Fiedler.
So ganz scheint er mit
seiner Einschätzung nicht daneben zu liegen. Der Frankfurter
Traditionsklub Sachsenhausen-Forsthausstraße, 1998 noch deutsche
Pokalsieger, hat zur Bestürzung der Hockeyszene aus finanziellen Gründen
im letzten Herbst plötzlich den Spielbetrieb fast komplett eingestellt
und will den totalen Neubeginn von ganz unten wagen.
In der Feld-Bundesliga der
Damen stehen vor Beginn der Rückrunde der SC 1880 Frankfurt und Mannheim
am Tabellenende, die Eintracht-Damen sind letzte Saison, nach 24 Jahren,
erstmals abgestiegen, die Eintracht-Herren sind sogar in die 2.
Regionalliga gerutscht, in der Feld-Bundesliga der Herren sind einzig
die Rüsselsheimer vertreten. Bloß in der Hallen-Bundesliga sieht es für
die Hessen ein wenig besser aus.
Freilich ist die Beurteilung
der Lage auch Ansichtssache. Das Urteil von Hans-Jürgen Pabst fällt eher
altersmilde aus: „Wir haben zwar keinen Frankfurter Verein in der
Feld-Bundesliga, aber das liegt sicher auch an der Einführung der
eingleisigen Ligen. Ich denke, dass Hockey in Hessen gut aufgestellt
ist.”
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Richtungsweisend -
beim Rüsselsheimer Ruder-Klub legte Trainer Berti Rauth das
Fundament für die sportlichen Erfolge bei den Damen, die auch
außerhalb des Vereins in Person von Denise Klecker, Mandy Haase
und Silke Müller mit dem Gewinn der Goldmedaille mit der deutschen
Mannschaft in Athen für Furore sorgten.
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Kluft unübersehbar
Dennoch ist die Kluft zu den
Vereinen im Norden und Westen unübersehbar. Am Nachwuchs kann es nicht
liegen. Darüber ist man sich einig. Dort stimmen Quantität und Qualität.
Zuletzt haben die hessischen Mädchen (bis 15 Jahre) den
Hallen-Länderpokal gewonnen. Und auch Berti Rauth glaubt, dass fast
überall in Hessen hervorragende Jugendarbeit geleistet wird. Was läuft
also falsch?
„Kontinuität“, sagt Rauth,
„das ist das Zauberwort. Uns ist es bisher gelungen, das Niveau von der
Jugend bis zur Spitze zu halten, andere schaffen diese Durchgängigkeit
nach oben nicht immer.“
Ob das Rüsselsheimer
Erfolgsmodell, aus wenig finanziellen Mitteln viele Erfolge zu machen,
auch in Zukunft so gut funktioniert, weiß aber auch Rauth nicht. Um das
zu gewährleisten setzt er auf Engagement: der Eltern, der Trainer, des
gesamten Umfeldes. „Ich mache das ja nicht alleine. Es sind die vielen
Leute, die mit anpacken.“
Engagement nötig
Das dürfte, nicht nur beim
RRK, auch weiterhin nötig sein, um im Amateursport Hockey halbwegs
professionelle Strukturen zu haben. Denn klar ist auch, dass bei anderen
Klubs, vor allem im Norden, traditionell die Kassen besser gefüllt sind,
während selbst in Rüsselsheim die Spielerinnen ihre Vereinsbeiträge
bezahlen. Ein wenig scheint also auch im Hockey das Geld, oder besser:
Aufwandsentschädigungen, eine Rolle zu spielen.
Guter Ansatz
Rauth sieht’s gelassen.
„Hessen hat einen guten Ansatz. Ich sehe doch im Nachwuchs überall
Raketen herumlaufen. Was man daraus macht, ist der Schlüssel. Und das
Rhein-Main-Gebiet ist nun wirklich keine Diaspora im Hockey.“ Immerhin,
gibt der Erfolgstrainer zu bedenken, seien die Voraussetzungen gut:
kurze Wege, reichlich Nachwuchs und eine gute Infrastruktur bei den
Vereinen. „Das ist nicht so einfach, aber auch nicht so schwierig,
daraus etwas zu etablieren.“
Beispiel Bensheim
Und außerdem: Dass sich auch
abseits der Traditionsklubs einiges tut, zeigt ein schönes Beispiel aus
dem Odenwald. In Bensheim, wo es früher nie Hockey gab, hat sich aus
einer Schulsportinitiative ein beachtliches Nachwuchsreservoir gebildet.
Ohne Vorbilder vor Ort, ohne
eine Mannschaft, die im Ligabetrieb spielte, haben es ein paar
Abiturienten und ihr ehemaliger Lehrer seit 1995 geschafft, aus dem
Nichts eine Hockeyabteilung bei der SSG Bensheim aufzubauen, die
mittlerweile die achtgrößte Jugendabteilung in Hessen hat. „Dass dort
die Qualität noch nicht vorhanden ist, ist doch klar“, sagt Pabst, der
aber meint, dass dies nur eine Frage der Zeit sei. „Daran sieht man, was
das Engagement von ein, zwei Personen ausmachen kann.“
Wer weiß, wo das noch
hinführt. 1978 legte Berti Rauth das Fundament seines Erfolges mit den
Rüsselsheimer B-Mädchen: Sie gewannen die Hessenmeisterschaft, und zwei
aus dem Team – Bianca Weiß und Anke Wild – holten später die
Silbermedaille in Barcelona.
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