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"Nein", sagt Tanja Dickenscheid, „eine Leidensgeschichte ist nicht
zu Ende gegangen." Dabei spricht vieles dafür, die vergangenen Wochen und Monate
der Hockey-Nationalspielerin so zu bezeichnen. Im April, am Karfreitag, stürzte
sie beim Skilaufen. Diagnose: Kreuzbandriß. Dem deutschen Meister Rüsselsheimer
RK schwante Schlimmes ohne seine Mittelstürmerin. Schließlich hatte Tanja
Dickenscheid als eine Art Dauerläuferin im Angriff großen Anteil an den Erfolgen
der Vergangenheit. Auf diesen Aktivposten sollte also Trainer Berti Rauth für
die gesamte Feldsaison verzichten, wie es zuerst hieß. Doch die doppelten Sorgen
um die Gesundheit der Spielerin und das Fortkommen der Mannschaft sind mit dem
vergangenen Wochenende gewichen: Die Rüsselsheimerinnen schlossen die
Bundesligarunde der Gruppe Süd als Klassenbeste ab. Am Samstag steht der
Titelverteidiger gegen den Großflottbeker THGC, der erstmals so weit vordrang,
im Halbfinale um die deutsche Meisterschaft. Und Tanja Dickenscheid wird
mitspielen.
Fast genau fünf Monate liegen zwischen der Operation in Straubing Ende April und
dem Neubeginn in der Bundesliga Ende September. Eine Zeitspanne, die angesichts
der schweren Verletzung fast kurz zu nennen ist. Zwei Grundeigenschaften halfen
Tanja Dickenscheid so zeitig wieder auf die schnellen Beine: Ehrgeiz und
Optimismus. "Die Ärzte sagten mir, daß ich es noch bis zum Ende der Feldsaison
schaffen kann, also habe ich es versucht." Vier Monate lang ist sie jeden Tag in
die physiotherapeutische Abteilung des Olympiastützpunktes Frankfurt gegangen,
wo die Nachbehandlung und das Aufbautraining vorangetrieben wurden. Anfangs habe
sie zuviel gewollt, später dann die Lust verloren, als die Erfolge sich nicht
schnell genug einstellen wollten.
Die kleinen Tiefs wichen erst allmählich einem stabilen Hoch. Dank ihrer
Zuversicht und ihrer Krankengymnastin. Denn diese sorgte sich aus doppeltem
Grund um die schnellstmögliche Genesung der Patientin. Schließlich hoffte Eva
Hagenbäumer auf die baldige Rückkehr ihrer Mitspielerin beim Rüsselsheimer RK.
"Das Tollste war, als ich das erste Mal wieder an der frischen Luft laufen
konnte", sagt Tanja. Dickenscheid. Denn passiv zu sein oder in einem Raum
eingeschlossen, ist ihrer Natur zuwider. Die 24 Jahre alte Frau stammt vom Land,
ist in Gau-Algesheim in Rheinhessen zu Hause. Vielleicht deshalb, so glaubt sie,
fühle sie sich draußen am wohlsten, studiere ausgerechnet Biologie. Wegen des
größeren Platzangebotes und der frischen Luft zieht sie auch das Hockeyspiel auf
dem Feld dem in der Halle vor.
Aller Verbundenheit zum Sport und zur Natur zum Trotz konnte Tanja Dickenscheid
der Verletzung aber auch Gutes abgewinnen. Seit drei Jahren war sie fast
ununterbrochen unterwegs in Sachen Hockey und lernte deshalb die Zwangspause als
Kunstpause schätzen. Lange habe sie ihr Spiel nicht vermißt und das Gefühl
genossen, "endlich mal den Kopf frei zu haben vom Hockey". So fand sich Zeit für
Studium und Privatleben, das sonst zu kurz kam. Denn der Freund, Erik Zymna,
kämpft in der Judobundesliga, und einer von beiden war fast immer mit Training,
Wettkampf oder Lehrgang beschäftigt. Nun ist der Alltag eingekehrt, wird die
Zukunft wieder der Vergangenheit ähneln. Doch der sportlichen Karriere wegen
nimmt Tanja Dickenscheid manches in Kauf. Sogar den vorläufigen Verzicht aufs
Skilaufen.