Einmal ist auch für den "deutschen
Inder" Schluss
Rainer Seiferts Abschied nach 122
Länderspielen
Von Wolfgang Scheffler (aus "FAZ" vom 29. November 1980)
Rainer Seiferts Elternhaus liegt nur wenige Schritte vom
Rüsselsheimer Sommerdamm entfernt. Rainer Seifert, Sommerdamm, Rüsselsheimer
Ruder-Klub - Namen, die im deutschen Hockey Klang haben, die ein Stück deutsche
Hockey-Geschichte mitgeschrieben haben. In 122 Länderspielen trug Rainer Seifert
das schwarz-weiße Trikot der Nationalmannschaft, liegt damit in der ewigen
Rangliste der deutschen Nationalspieler hinter dem Berliner Carsten Keller auf
dem siebten Platz. 45 Tore schoss der technisch brillante Stürmer für das
bundesdeutsche Auswahlteam, mit dem er sowohl in der Halle als auch auf dem Feld
Europameister wurde.
All das ist jetzt Vergangenheit. Mit der dreiwöchigen Australien-Reise
verabschiedete sich der gelernte technische Zeichner aus der Nationalmannschaft.
"Der Abschied ist mir schwerer gefallen, als ich gedacht habe, zumal wir jetzt
eine dufte Truppe mit einer großartigen Kameradschaft zusammen haben. Aber
einmal muss ja Schluss sein", zieht Seifert einen Schluss-Strich.
Das deutsche Olympiaaufgebot für
Montreal 1976 (hinten: Bundestrainer Klaus Kleiter, Michael Peter, Dieter
Freise, Horst Dröse, Werner Kaessmann, Peter Trump, Uli Voss, Wolfgang
Strödter, Hans Montag; vorn: Rainer Seifert, Fritz Schmidt, Michael
Krause, Wolfgang Rott, Klaus Ludwiczak, Peter Caninenberg, Ralf
Lauruschkat, Heiner Dopp) |
Worte des Dankes haben sie alle gefunden. Der Bundestrainer Klaus Kleiter, der
sich schwertun wird, für das Ausnahmetalent Seifert einen Nachfolger zu finden,
und die Mannschaftskameraden, von denen jeder bei der Abschlussfeier ein paar
persönliche Worte an den scheidenden Mitspieler fand. Ein Zeichen, wie beliebt
Seifert im Nationalmannschaftskreis ist. Keine Selbstverständlichkeit, denn auf
dem Platz ist der "deutsche Inder", wie man ihn gerne wegen seiner
außerordentlichen Ballfertigkeit nannte, ein Individualist, ein Mann, der mit
seinen Soli ein Spiel allein entscheiden kann. Nicht nur in der Eliteauswahl,
sondern auch für seinen Verein Rüsselsheimer Ruder-Klub (RRK), für den er fünf
Feld- und drei deutsche Hallenmeisterschaften gewann. Rainer Seifert wohnt noch
heute mit seiner Frau und der fünfjährigen Tochter in seinem Elternhaus, von wo
er sich als Sechsjähriger zum ersten Mal auf den Wege machte, um am
nahegelegenen Sommerdamm erste Versuche mit dem Krummstock zu machen. Nachbar
war und ist Karl Heuß, einer der Männer, die hinter dem Aufstieg des RRK-Hockeys
stehen, und dessen Sohn Michael spielte auch Hockey. Da war die Entscheidung für
Hockey gefallen. Nicht wenige, die Seifert beim Turnier der Rüsselsheimer nicht
fußballspielenden Vereine oder bei Prominentenspielen gesehen hatten, sind der
Meinung, dass Seifert auch mit dem Lederball statt mit der kleinen Korkkugel
Karriere gemacht hätte.
Sein großes Ballgefühl, die Fähigkeit mit der Kugel im Rastelli-Stil zu
jonglieren und Gegner reihenweise zu narren, blieb nicht lange vorborgen. Mit 15
Jahren spielte er zum ersten Mal in der ersten Mannschaft des RRK, mit 21 Jahren
absolvierte er beim 1:0-Sieg über Pakistan in Lahore sein erstes Länderspiel.
1972 beim Olympischen Turnier war er in zwei Spielen dabei: gegen Uganda und
beim 2:1-Sieg über Argentinien, wo er beide Tore schoss.
Dass er im Endspiel einem anderen technisch brillanten Spieler, dem Frankfurter
Wolfgang Baumgart, den Vortritt lassen musste, war für ihn keine Frage: "Für mich
war es das größte, überhaupt dabei zu sein." Als Lohn erhielt zwar auch Seifert
eine Münchner Goldmedaille, aber nicht bei der Siegerehrung, sondern vom
damaligen Bundeskanzler Willi Brandt, denn damals bekamen nur die 13 Spieler
(Endspielteilnehmer und Reservisten des Endspiels) olympisches Gold.
Seit 1975, seit dem olympischen Turnier in Montreal hat Seifert einen Stammplatz
im Nationalteam, fünf Jahre lebte das deutsche Sturmspiel von Seiferts
Ausnahmefertigkeiten. Der Abschied von der internationalen Bühne ist freilich
kein Abschied vom Hockey. Für seinen Verein RRK wird er weiter in der Bundesliga
spielen, "zwar nicht so lange wie Fritz Schmidt, aber doch noch ein paar
Jährchen, denn das ist man den Kameraden schuldig, die ja mitgeholfen haben,
dass
ich so weit gekommen bin".
Schon am Sonntagmorgen setzt sich Seifert wieder für den RRK ein. Im Hessenderby
zum Auftakt der Hallenhockey-Bundesliga, Gruppe Süd/West, geht es gleich in der
Frankfurter Sporthalle Süd gegen SaFo Frankfurt (mit Wolfgang Baumgart).
Seifert: "Über unsere Aussichten kann man schwer etwas sagen, vielleicht
beflügelt es uns, dass die Endrunde in Rüsselsheim stattfindet, vielleicht hemmt
es uns aber auch."