Von
Uli Meyer (aus "Deutsche Hockey Zeitung" vom 23. Juni 1994)
Morgens drei Stunde
Schule, am Abend noch Bücher-Büffeln für die Klassenarbeit am nächsten Tag.
Nichts deutet darauf hin, dass dies kein Tag wie jeder andere sein sollte. Und
doch: Den 15. Juni wird Oliver Domke in besonderer Erinnerung behalten. Das
erste Mal im Trikot der A-Nationalmannschaft.
Und gewiss nicht
das letzte Mal. Sein Einsatz im ersten Länderspiel der "Best-of-five"-Serie
zwischen Deutschland und Pakistan in Frankfurt sei "keinesfalls als Reverenz an
das hessische Publikum" zu verstehen, wie Bundestrainer Paul Lissek schon vor
dem Spiel eindeutig feststellte. Für den DHBHerren-Coach ist der Rüsselsheimer
Domke "ein ernsthafter Kandidat für die Weltmeisterschaft und die Olympischen
Spiele."
Das Debüt des
18-Jährigen brachte für ihn selbst Licht und Schatten. Nach "weichen Knien"
(Domke) bei der Teamvorstellung vor Spielbeginn − vom hockeykundigen hessischen
Publikum wurde der Neuling aus den Reihen des Zweitliga-Tabellenführers
Rüsselsheimer RK besonders herzlich begrüßt —und zwölf Minuten Ausharren auf der
Auswechselbank riefen die ersten fünf Einsatzminuten einen ernüchternden
Eindruck hervor. "Ich habe kein Bein auf den Boden bekommen", bekannte der
Mittelstürmer hinterher ganz freiweg.
"Er hat anfangs
seine Grenzen aufgezeigt bekommen, später dann aber auch seine Möglichkeiten
erkannt und genutzt", bemerkte nicht nur Paul Lissek die Entwicklung des
forschen Jünglings im weiteren Verlauf mit für ihn rund 45 Spielminuten. Ein
Abseitstor und dann die Vorlage zum 2:1-Siegtreffer von Sven Meinhardt gingen
auf das Konto von Olli, dem Benjamin im deutschen Team. Lissek: "Ein
ordentlicher Einstand."
"Alles geht noch
viel schneller als im Juniorenbereich, aber im Grunde wird im A-Kader das
gleiche Hockey gespielt wie im C-Kader. Man muss sich nur an die neuen
Mitspieler und das Tempo gewöhnen." Die Art, wie Oliver Domke dies sagt, strahlt
Respekt und Selbstvertrauen gleichermaßen aus. So hat er sich auch als Jüngster
mit gerade 17 Jahren im Sommer 1993 einen Platz im deutschen Junioren-WM-Team
geholt und war am Ende eine wichtige Sturmkraft in der neuen
Weltmeister-Mannschaft.
Mittelfristig ist
Domkes Anspruch auf einen Platz im Herren-Nationalteam keine Frage. Fast
durchweg sehen die Experten, von Vereins- und A-Jugend-Bundestrainer Berti Rauth,
über Junioren-Nationaltrainer Bernhard Peters bis hin zu Paul Lissek, in Domke
das größte deutsche Hockeytalent in seinem Jahrgang (1976).
Olympia'96 — dieses
Ziel hat der Elftklässler fest vor Augen. Und wenn es vorher noch mit dem Sprung
auf den Weltmeisterschaftszug klappen sollte, dann toll. Aber für das WM-Ticket
nach Sydney alles stehen und liegen lassen, dazu ist Domke nicht bereit. "Wenn
er in der Schule zu weit mit dem Stoff hinterher ist, hat er auch für Hockey den
Kopf nicht richtig frei", weiß die Mutti.
Zweimal schon hat
Oliver dem Herren-Bundestrainer einen Korb gegeben. "Das habe ich bisher kaum
erlebt. Aber in seinem Fall auch verständlich", sagt Paul Lissek. Im Herbst 93
wollte er Domke schon beim Zentrallehrgang dabei haben, aber da war der
frischgebackene Junioren-Weltmeister nach einer langen Saison mit schier endlos
vielen Spielen und Lehrgängen im Verein, A-Jugend- und C-Nationalkader "absolut
platt". Und auch nun bei der Länderspielserie gegen Pakistan hätten es mehr als
die beiden Einsätze in Frankfurt und Neuss sein sollen. Der Stundenplan sah
indes anderes vor. "Nach dem zufrieden stellenden Auftaktspiel", sagte Oliver
Domke in Frankfurt, "ist die Absage sportlich zwar sehr schade, aber schulisch
besser für mich."
Viel Lob zum Einstand
Oliver Domke bereitete Siegtor gegen
Pakistan vor
Von Martin Krieger (aus "Main-Spitze"
vom 17.06.1994)
Der Stundenplan kannte auch mit einem frischgebackenen
Hockey-Nationalspieler kein Erbarmen. Keine zwölf Stunden, nachdem Oliver Domke
am Mittwoch Abend in Frankfurt beim deutschen 2:1(1:1)-Sieg über Pakistan
erstmals seine Fertigkeiten im A-Team des Olympiasiegers hatte demonstrieren
dürfen, musste das 18 Jahre junge RRK-Stürmertalent in der
Werner-Heisenberg-Schule schon wieder seinen Mann stehen. Denn: nach der
Begegnung mit den ausgebufften Spielern des aktuellen Champions-Trophy-Siegers
aus Zentralasien, galt es, die nächste Aufgabe in Form einer Deutscharbeit zu
meistern.
Während das Resultat der geistigen Leistung noch etwas auf sich warten lassen
wird, hätte der sportliche Auftritt vor gut 3000 Zuschauern auf der ruhmreichen
Anlage des SC 1880 Frankfurt kaum besser verlaufen können. Oliver Domke, nach
zwölf Minuten durch Bundestrainer Paul Lissek vom Platz auf der Auswechselbank
erlöst und fortan immer wieder eingesetzt, bereitete in der 47. Minute das
deutsche Siegtor im ersten von fünf Länderspielen gegen Pakistan vor. Von Klaus
Michler (Crefelder HTC) auf der linken Seite mustergültig angespielt,
überraschte der "Benjamin" im Team des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) Pakistans
zuvor überragenden Torwart Ahmed Mansoor mit einen Schuss aus spitzen Winkel ins
kurze Eck. Der in dieser Situation ungeschickt reagierende Schlussmann lenkte die
Kugel an den Pfosten, von wo sie dem überragenden Mülheimer Sven Meinhardt
direkt vor den Schläger rollte. "Das war ein Torwartfehler", gab sich Oliver Domke bescheiden, dem zwei Minuten zuvor sein erstes Tor wegen gefährlichen
Spiels aberkannt worden war.
Dass der RRK-Goalgetter mit seiner Leistung zufrieden sein durfte, wurde ihm nach
dem Abpfiff allenthalben bestätigt. "Ich hätte ihn nicht eingeladen, wenn er
keine Perspektive für die WM hätte. Er hat sich vor dem Tor einige Male gut
durchsetzen können, aber auch gesehen, was es für Widerstände gab", lobte
Bundestrainer Lissek. "Der Olli hat sich taktisch super eingefügt. Da, wo er
heute geflankt hat, hätte er bei uns ein Solo gewagt", hatte Vereinstrainer
Berti Rauth bemerkt. Dessen Arbeit würdigte der Bundestrainer im gemeinsamen
Fernsehinterview mit Oliver Domke. "Oliver spielt im richtigen Klub unter einem
richtigen Trainer", hatte Lissek gesagt, ehe das auch vom Stadionsprecher
besonders herzlich begrüßte "Juwel" sein erstes TV-Interview gab und
anschließend bis an die Schmerzgrenze Autogramme schrieb.
"Das war ganz toll, wie der Olli sich in seinem ersten Länderspiel und dann noch
gegen Pakistan eingefügt hat", freute sich RRK-Torwart Christopher Reitz für
seinen Rüsselsheimer Mitstreiter. Der 21 Jahre alte Schlussmann hatte jedoch
allen Grund, mit sich selbst zufrieden zu sein. Das Gegentor ging auf die Kappe
seiner Mitspieler, und mit drei Glanztaten verhinderte Reitz einen zweiten
pakistanischen Treffer. Der Bundestrainer hatte dies natürlich auch bemerkt.
"Wenn ich mich heute für die WM festlegen müsste, wäre Christopher die Nummer
eins", sagte Lissek. Reitz wird's gerne hören, doch bevor er - und vielleicht
auch Kollege Domke − im November zur WM nach Australien aufbrechen, steht für
beide noch eine nicht minder wichtige Hausaufgabe an. Der Wiederaufstieg des RRK-Männerteams in die Erste Bundesliga.
Ein "frecher Kerl" soll langsam wachsen
Oliver Domke überzeugt bei seinem Debüt
Von Peter Penders (aus "FAZ" vom
17.06.1994)
FRANKFURT. Ob das die richtige Vorbereitung war?
"Mir tut schon der
ganze Arm weh", sagte Oliver Domke. Daran war weniger das Debüt des 18
Jahre alten Rüsselsheimers in der Hockey-Nationalmannschaft beim
2:1-Erfolg über Pakistan schuld, sondern das Interesse der Autogrammjäger
an seinem Schriftzug. Der sah zwar im Vergleich zu den schwungvollen
Signets seiner Mitspieler noch etwas kindlich ungelenk aus, aber dass der
Teenager demnächst häufiger üben kann, daran hatte niemand Zweifel. Nur
Oliver Domke musste sich zunächst einmal um seinen Arm sorgen. Am Tag nach
seiner Premiere im DHB-Team stand für ihn nicht die Reise nach Leipzig zum
nächsten Länderspiel, sondern eine Deutschklausur auf dem Programm.
"Normalerweise", sagte Bundestrainer Paul Lissek,
"lässt ein junger Spieler
alles stehen und liegen und springt an die Decke, wenn man ihn zur
Nationalmannschaft einlädt." Beim Rüsselsheimer hat sich Lissek auch schon
mit Absagen vertraut machen müssen. Seine Teilnahme am Lehrgang im Herbst
vergangenen Jahres sagte Domke ab, weil er nicht zuviel in der Schule
verpassen wollte und sich ohnehin "müde von der Junioren-WM fühlte". In
Spanien hatte er, mit 17 Jahren der jüngste Spieler, mit dem DHB-Nachwuchs
den Titel gewonnen, nun ist er schon wieder das Küken. "Ein frecher Kerl",
sagt Kapitän Christian Blunck und will beides freundlich verstanden
wissen. Frech, weil der Rüsselsheimer weder sonderliche Berührungsängste
mit Mitspielern oder Gegnern offenbarte, und zum Kerl fehlen ihm im
Vergleich zu Athleten wie Blunck noch "ein paar Pfund auf den Rippen".
Hessenmeister und
Deutscher Vizemeister 1993 auf dem Feld, die A-Jugend des RRK (hinten:
Trainer Torsten Althoff, Oliver Domke, Simon Reiss, Jürgen Stuhlträger,
Sven Hoffmann, Nico Hosang, Martin Ruf, Torben Stalmach, Christian Domke,
Christian Kösling; vorn: Sebastian Körber, Christoph Napp, Björn
Emmerling, Martin Ehrhard, Daniel Voigt, Sebastian Klöckner, Marcus
Schäfer) |
Talent und Statur stehen noch in krassem Gegensatz, aber dennoch gehört
Domke zu den Spielern, die sich noch Chancen auf die Teilnahme an der
Weltmeisterschaft in Australien ausrechnen dürfen. Für die Olympischen
Spiele 1996 rechnet Lissek ohnehin fest mit ihm. Atlanta ist auch das
große Fernziel des Schülers, die Titelkämpfe am Ende dieses Jahres sind
bislang höchstens "im Hinterkopf". Doch so, wie das Jahr bislang für ihn
gelaufen ist, muss auch Sydney kein Wunschtraum bleiben. In der
Hallensaison waren seine Tore und Spielkunst ausschlaggebend für die
Rückkehr des Rüsselsheimer RK in die Bundesliga, auf dem Feld ist sein
Verein nur theoretisch noch am Aufstieg zu hindern.
Zufrieden sei er mit seiner Leistung gewesen, sagte der Debütant, den
viele Zuschauer besonders beobachtet hatten. Natürlich auch sein
Vereinstrainer. "Ich bin erstaunt, dass er so mithalten konnte, auch wenn
er manchmal lieber abgespielt hat, wo er im Verein gedribbelt hätte",
sagte Berti Rauth. Die Vorarbeit zum Siegtreffer durfte sich der Stürmer
gutschreiben lassen, obwohl er seinen Torschuss, den der pakistanische
Torwart unglücklich abwehrte, selber "völlig missglückt" sah.
Was den Aufsteiger des Jahres auszeichnet, die Branche erstaunt und der
Bundestrainer an ihm schätzt, konnte Domke bei aller Nervosität auch in
seinem ersten Länderspiel vorführen. Seine einzige Torchance nutzte er in
aller Ruhe mit einem frechen Heber, der Treffer indes fand wegen einer
Abseitsstellung keine Anerkennung. Das wird den Spieler gestört, die
Trainer Lissek und Rauth aber beruhigt haben. Domke darf darauf bauen,
langsamer aufgebaut zu werden als ein anderes Rüsselsheimer Talent. Britta
Becker muss sich seit ihrem Debüt mit 16 Jahren in der
Damen-Nationalmannschaft stets mit besonderen Ansprüchen
auseinandersetzen. Die härteste Konkurrenz hat der dennoch schon als
größtes deutsches Talent gehandelte Oliver Domke ohnehin in der eigenen
Familie. Bruder Christian darf in der kommenden Saison mit 16 Jahren
erstmals bei den Herren mitspielen. Und seinen Einstand in der
Jugendnationalmannschaft hat der jüngere Bruder im internen Vergleich
schon ein Jahr eher gegeben. Die neue Familienmarke hat Oliver Domke am
Mittwoch gesetzt.