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Über Mitglieder des
RRK (2006)
Holger Kraft |
Holger Kraft bei seinem Dezember-Auftritt im Stadttheater in Rüsselsheim |
Theater als Mannschaftsspiel
Der Schauspieler Holger Kraft ist wieder zu Hause
Von Stephan A. Dudek (aus "Main-Spitze" vom 06.07.2006)
Es dauert keine fünf
Minuten bis die entscheidenden Worte fallen: "Theater - das bedeutet für mich:
Gruppe." Schauspieler Holger Kraft, Kulturförderstipendiat der Stadt Rüsselsheim
von 1997, liebt die Gemeinschaft. Er schwärmt von gruppendynamischen Prozessen,
die bei der oft anstrengenden Probenarbeit entstehen, und beschreibt detailliert
den Einfluss jedes einzelnen Darstellers auf die Inszenierung. Irgendwann habe
er sich einmal während des Probierens bewusst zurückgenommen - und schon habe
sich "die ganze Temperatur" geändert: "Da sieht man dann, welche Macht ein
Schauspieler hat."
Ob Krafts Wunsch nach Verwurzelung
auch dazu führte, dass er nach dem Studium in Leipzig und Chemnitz sowie
anschließenden Wanderjahren von Jena über Freiburg bis Erlangen nun mit Frau und
Tochter in die alte Heimat zurückkehrte? Jetzt wohnt er in Astheim, umgeben von
Familie und Freunden - und wird nicht müde, an seine ersten Partner in Regine
Schröder-Krachts "?schon geseh´n!"-Ensemble zu erinnern: Gerd Zinck, Georg Otto,
Thomas Zielinski.
Überhaupt: Regine Schröder-Kracht.
"Bei ihr passierte die Initialzündung. Sie hat mir und anderen Selbstvertrauen
gegeben. Damals wussten wir alle nur, was wir nicht wollten. Ohne sie würde ich
heute vielleicht noch Hockey spielen." Bis zu Shakespeares "Sommernachtstraum"
1993 hatte er vor allem als Mitglied im Bundesliga-Team des Rüsselsheimer RK von
sich reden gemacht. Mittlerweile sind "die Rüsselsheimer" zur festen Größe in
Theater-Deutschland geworden, berichtet er.
Zwischen dem Jahr 2000 und 2004
gehörte er zum achtköpfigen Ensemble des basisdemokratisch verwalteten
"Theaterhauses" in Jena, wo er unter der künstlerischen Leitung von Claudia
Bauer tief ins zeitgenössische Theater eintauchen konnte. Hier hat Kraft
wichtige Erfahrungen gemacht. Er beobachtete, wie unterschiedlich die Kollegen
auf die Erfordernisse des Mannschaftsspieles "Theater" reagieren und wie sehr
sie aufeinander angewiesen sind. Als sich 2003 eines Abends die Geburt seiner
Tochter ankündigte, wollte ein ausverkauftes Haus das brisante "Königinnendrama"
Marc Beckers, "Margot und Hannelore", sehen. Er rettete die Aufführung, indem er
trotzdem auftrat - und kam dann sogar noch rechtzeitig in die Klinik ...
Jetzt spielt Kraft in ein paar Tagen
"Leben bis Männer", ein Stück nach Thomas Brussig, das er vergangenes Jahr schon
einmal auf die Rüsselsheimer Stadttheater-Bühne gebracht hat. Eine Kleinigkeit
wird diesmal anders sein: Spielstätte ist das Stadion am Sommerdamm. Anfangs
hielt Kraft diesen ausufernden Ort für völlig unbespielbar. Als ihm dann aber
Regisseur Thomas Friemel, auch einer aus der "?schon-geseh´n!"-Historie, die
Machbarkeit des Unterfangens bestätigt hatte, war die Sache klar. "Wenn Thomas
sagt `Das geht`, dann geht es auch. Ich vertraue ihm hundertprozentig. Und so
etwas ist unbezahlbar!"
Das Leben als freischaffender
Künstler erfordert allerdings auch ein gutes Maß an Vertrauen in die eigene
Zukunft. "Ich weiß nicht, was in einem halben Jahr sein wird", sagt Kraft,
revidiert sich jedoch gleich wieder, weil die Regel zurzeit gerade von der
Ausnahme durchkreuzt wird: Ab September gastiert er am Berliner "Deutschen
Theater" in Tom Lanoyes Stück "Mama Medea".
Für Film und Fernsehen ist Kraft -
noch - überhaupt nicht zu haben. Dank seines Kontaktes zum Rüsselsheimer
Filmemacher Patrick Tauss konnte er an einem Workshop der Filmakademie in
Ludwigsburg teilnehmen und war schockiert über die Fließbandarbeit vor der
Kamera. Sein Traum sieht anders aus: Er ist davon überzeugt, dass "die Jenaer",
an deren Seite er sich so wohl gefühlt hat, irgendwo und irgendwann wieder
zusammenkommen, um die qualitätvolle Arbeit von damals weiterzuführen. Und für
Rüsselsheim hofft er, dass sich alle professionell arbeitenden Ehemaligen aus
dem "?schon-geseh´n!"-Stall möglichst bald zu einer gemeinsamen Produktion im
Stadttheater wiedertreffen. Auc h hier denkt er zuerst an die Gruppe, nicht an
sich. Holger Kraft - der Teamspieler!
Tiefgang und eine gute Portion Humor
Holger
Kraft spielt im Stadion am Sommerdamm Thomas Brussigs "Leben bis Männer"
Aus "Main-Spitze" vom 13.07.2006
dom. Nachdem sich beim
Jubiläumskonzert im Festungshof die heute als Profimusiker beschäftigten
Ex-"IKS-Big-Band"-Mitglieder bereits ein Stelldichein an alter Wirkungsstätte
gaben, steht am Wochenende das nächste "Kultur-Sommer-Heimspiel" professioneller
Künstler an, die ihre Wurzeln in Rüsselsheim haben. Holger Kraft, Anja Stoffel
und Thomas Friemel gehörten vor Jahren allesamt zur Theatergruppe "?schon
geseh´n!" und betreten bei einer Inszenierung von Thomas Brussigs "Leben bis
Männer" gleichermaßen vertrauten Boden wie spielerisches Neuland. Denn
einerseits ist Rüsselsheim den Akteuren als Spielort bereits bekannt, das
diesmal zur Bühne auserkorene Opel-Stadion am Sommerdamm allerdings bietet einen
ungewöhnlichen Rahmen.
"Wir haben das Stück ja im Dezember
schon einmal hier im Stadttheater als Doppelmonolog aufgeführt. Wir wollten aber
gerne ausprobieren, das Ganze einmal in seine natürliche Umgebung zu bringen -
immerhin ist es ja ein Fußballstück", erklärt Schauspieler Holger Kraft zur Wahl
des Spielortes für das Ein-Personen-Stück. Mit Hilfe der Stadion-eigenen
Funkanlage wird sich Kraft während der etwas über 60 Minuten Spielzeit frei auf
dem gesamten Stadion-Areal bewegen können und dennoch für die Besucher
verständlich bleiben. Die nämlich behalten auf der Tribüne den Überblick.
"Das hat auf jeden Fall seinen Reiz.
Ich habe zwar schon Open-Air gespielt, aber noch nie in einem Stadion mit einer
so großen Fläche. Da gibt es für mich ziemlich lange Laufwege", so Kraft, dem
das Stadion noch aus seiner Zeit als Hockey-Spieler vertraut ist.
"Leben bis Männer" wurde auf der
Grundlage des dramatischen Textes von "Sonnenallee"-Autor Thomas Brussig
inszeniert. Verantwortlich hierfür zeichnen mit Anja Stoffel und Thomas Friemel
ebenfalls zwei Rüsselsheimer. Die Bühnenbildnerin und der Regisseur haben schon
in ihrer gemeinsamen Zeit am Aachener Theater mehrere Projekte gemeinsam
verwirklicht und sich auch für das Fußballstück zum Team formiert.
"Mit Fußball als Folie kann man viel
transportieren. Und obwohl die Hauptfigur viele der bekannten
Fußball-Plattitüden benutzt, entpuppt sich das Stück als weitaus tiefgründiger
als man zunächst erwartet", erklärt Friemel.
Kraft schlüpft für "Leben bis Männer"
in die Rolle eines namenlosen Trainers von der Magdeburger Börde, dessen
Biographie den tragischen Idealtypus des Ost-Verlierers darstellt. Ganz Trainer
definiert der zweifelhafte Held sein Leben, und nebenbei auch vieles darüber
hinaus, komplett über seinen Sport und geizt dabei nicht mit Herbergerschen
Weisheiten und deren hanebüchener Interpretation.
"Es wird auf alle Fälle ein
unterhaltsames Stück. Tiefgang hat ,Leben bis Männer´ nämlich ebenso wie eine
gute Portion Humor", verspricht Kraft.
Schauspieler Holger Kraft in "Fight Club" (2001) am Jenaer "Theaterhaus" |
Zuspiele und Querschüsse
Theater: In "Leben bis Männer" entdeckt Schauspieler Holger Kraft viele
Parallelen zwischen dem Leben und dem Fußballspiel – Aufführungen am Samstag und
Sonntag im Stadion
Aus "Rüsselsheimer E cho"
vom 13.07.2006
e - Ein Mann alleine auf dem
Fußballplatz. Er steht und agiert auf dem grünen Rasen des Rüsselsheimer
Stadions und entdeckt beim Vergleich zwischen Leben und Spiel zahlreiche
Parallelen. Da gibt es Attacken, Fouls und Fairness, Dribblings, Flanken,
Zuspiele und Querschüsse.
Beim Rezitieren schweift der Blick
des Akteurs, der zwischenzeitlich auch in Verkleidung auftritt, hinauf zur
Tribüne, auf der sich der Schauspieler Holger Kraft am kommenden Samstag (15.)
um 22 Uhr und am Sonntag (16.) um 15 Uhr die ganze Stadt versammelt wünscht.
Denn Kraft, der wie der Regisseur Thomas Friemel und Bühnenbildnerin Anja
Stoffel aus der lokalen Theatergruppe "?Schon geseh’n!" hervorging und das Hobby
zum Beruf machte, gibt im Kultursommerprogramm ein titelgemäßes "Heimspiel".
Auf Initiative des Stadtmagazins M 55
wird mit "Leben bis Männer" von Thomas Brussig nicht nur ein aktuelles Fußball-,
sondern auch ein Nach-Wende-Stück gezeigt. "Leben bis Männer" wurde 2001 in
Berlin uraufgeführt. Das Solostück ist zwar medaillenverdächtig, aber
ausgezeichnet mit dem Drehbuchpreis der Bundesregierung wurde der Autor 1999 für
den Leinwandhit "Sonnenallee" und erhielt ein Jahr später den Hans-Fallada-Preis
in Neumünster.
Thomas Brussig kennt das Leben in all
seinen Facetten. Er war Museumswärter, Tellerwäscher, Reiseleiter und
Hotelportier, bevor er Soziologie und danach Dramaturgie studierte. Seit 1995
arbeitet er als freier Autor und gab 2002 ein "Kleines Deutsches Wörterbuch" mit
Jörg Bong und Florian Illies heraus.
"Leben bis Männer", das in
Rüsselsheim bereits im Dezember über die Bühne ging, wird jetzt innerhalb des
städtischen Kultursommerprogramms im Stadion gezeigt. Holger Kraft verstärkt die
Stimme mittels Funkmikrofon, so dass er von jedem Platz gut zu hören ist.
Für alle drei Akteure ist "Leben bis
Männer" ein Heimspiel, auf das sie sich gerne einlassen. Holger Kraft, als
freischaffender Schauspieler zuletzt in Erlangen engagiert, wird das Stück
womöglich auch auf der Insel Rügen spielen. Regisseur Thomas Friemel hat in
Aachen Regie geführt und das NRW-Theaterfestival geleitet, Bühnenbildnerin Anja
Stoffel arbeitet als Regie-Assistentin an verschiedenen Orten und freut sich
darauf, am Samstag und Sonntag wieder einmal heimisches Publikum zu erleben.
Funktionieren statt Nachdenken
"Leben bis Männer" im Rüsselsheimer Stadion
Von Alexandra Ehrhardt (aus
"Main-Spitze" vom 17.07.2006)
Brüllen kann er. Und das so sehr,
dass man sich zeitweise die Ohren zu halten möchte und sich dafür
beglückwünscht, nie in einer Fußballmannschaft gespielt zu haben. Darum geht es
nämlich. Zumindest vordergründig. In Thomas Brussigs "Leben bis Männer"
verkörperte der Rüsselsheimer Holger Kraft am späten Samstagabend den Prototyp
Fußballtrainer: cholerisch, dörflich, störrisch.
Im Opel-Stadion, mitten auf dem
Fußballfeld, der Tribüne oder scheinbar lässig angelehnt an die Bande, eröffnet
Kraft vor rund 60 begeisterten Zuschauern die kleine Welt des unbekannten
Mannschaftstrainers, der für seine Elf Frau und Kind links liegen lässt: "Andere
hatten eine Familie, ich hatte Tatkraft Börde." Im schwarzen Anzug, mit
Stollenschuhen und Käppi spielt Kraft die junge Version jener Mannschaftsführer,
die man normalerweise im Trainingsanzug in der Kneipe Stammtischparolen von sich
gebend kennt. Diese ausholenden Gesten beim Erläutern der Fußball-Politik und
-Wirtschaft, Hände dann wieder tief in den Anzugtaschen vergraben, bei der
Erinnerung an verlorene Kriege auf dem Rasen - das kennt man doch zu gut.
Dem beklemmend-komischen Stück liegt
der gleichnamige Roman des "Sonnenallee"-Autors zugrunde, der von den beiden
Rüsselsheimern Anja Stoffel und Thomas Friemel authentisch inszeniert wurde.
Übergangslos philosophiert der Ostdeutsche über Frauen, die seine Spieler nur
vom Sport ablenken oder erklärt in keiner Gegenmeinung tolerierenden Stimme die
Vorteile des Fußballs gegenüber sämtlichen anderen Ballsportarten. "Nur Fußball
ist ein Spiel fürs Auge", sagt der verkappte Fußballspieler und erklärt im
selben Atemzug Volley- und Handball als langweilig und Baseball als zu
schwierig. Nein, ein Rassist er nicht, auch wenn er die Namen der ungarischen
Mannschaft mit ausländischen Hochzeitstänzen gleichsetzt. Da wird
nationalistische Dilettanten-Psychologie von einem Fußballfanatiker ausgeführt,
der sämtliche Spielverläufe auswendig kennt und diese wie eine universale Folie
auf alle Lebensbereiche legt.
Der Monolog des DDR-Antihelden, der
nach der Wende seine Arbeit verliert, funktioniert jedoch weitaus tiefer als
augenscheinlich vermutet. Es geht im Grunde nicht um diese namenlose
Trainerpersönlichkeit, die barsch ihren Spielern eine Individualität abspricht
mit der Erkenntnis "Wenn jeder macht was er will, braucht er nicht Fußball zu
spielen. Dann soll er lieber zum Tennis gehen". Der Sport dient lediglich als
Werkzeug, um den bedingungslosen Gehorsam zu verdeutlichen. Regeln brauchen die
Männer und klare Kommandos - was beim ersten Hinhören nach Kita und Kaserne
klingt, erinnert im Nachklang an totalitäre Regime: widerstandsloses
Funktionieren ohne nachzudenken.
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