|
Über Mitglieder des
RRK (2005)
Holger Kraft |
Der "Julius Cäsar der Seitenlinie"
Holger Kraft spielt "Doppelmonolog für
einen Schauspieler" im Theater
Von Nina Finkernagel (aus "Main-Spitze" vom
20.12.2005)
|
|
RÜSSELSHEIM Der selbst ernannte
"Julius Cäsar der Seitenlinie", dessen ganzes Herzblut für den Fußball pulsiert,
tobt, brüllt, schlägt urplötzlich leisere Töne an und entrollt damit ein großes
Feld der Gefühlsskalen, die Holger Krafts wandlungsfähiges Einfühlungsvermögen
in die Figur des Fußballtrainers aus der ostdeutschen Provinz beweisen. In
Thomas Brussigs Monolog "Leben bis Männer" erweckt der Rüsselsheimer
Schauspieler eine Rolle zum Leben, deren ganzes Denken an diesen Sport gefesselt
ist.
Dem Einpersonenstück kam es zugute,
dass die Bühnenfläche nicht an erhöhter Stelle frontal zum Publikum positioniert
war, sondern - markiert durch einen Kreis Glühbirnen - sich mitten unter ihm
befand. In drei Stuhlblöcken um Kraft waren die Zuschauer gruppiert worden.
Kaugummikauend und mit viel Energie interpretiert Kraft einen Menschen, dessen
Horizont sich vordergründig völlig eindimensional nicht über den Ballsport
hinaus bewegt, hinter dem jedoch ein Mann steht, der auf diese Weise zu
kompensieren versucht, was er an anderer Stelle nicht erreicht hat: zum Beispiel
eine intakte Familie.
Geradezu verletzlich wirkt er, wenn
er sich in punkto Arbeitslosigkeit eingesteht: "Alles, was Sie früher nebenbei
erledigt haben, wird zum Höhepunkt des Tages." Die abrupt wechselnden Stimmungen
von lauter Expressivität zu ruhigem Sprechfluss verhelfen vor allem letzteren
Stellen zu einer besonders intensiven Wirkung. Häufig sind die Ausführungen des
Fußballtrainers von einer Komik erfüllt, sodass auch humorvolle Seiten des
Monologs nicht zu kurz kommen.
Unter dem Gesamttitel des Abends,
"Doppelmonolog für einen Schauspieler", verkörpert Holger Kraft unter der Regie
des ebenfalls aus der Opelstadt stammenden Thomas Friemel eine weitere, vom
Leben nicht sehr begnadete Persönlichkeit: "Der Gitarrenmann" von Jon Fosse
führt in einer Weise den Faden fort, kontrastiert aber auch mit der vorigen
Figur. Denn der Straßengitarrist verleugnet weniger seine Existenz, überspielt
sie nicht durch lautes Gebaren, sondern erkennt in der Bilanz seines Lebens:
"Ich bin ein verunglückter Mann, aber so welche muss es ja auch geben."
Brüllender Cäsar an der
Seitenlinie
Theater: Holger Kraft
facettenreich als Fußballtrainer und Straßenmusiker im „Doppelmonolog für einen
Schauspieler“
Von Peter Thomas (aus "Rüsselsheimer
Echo" vom 19.12.2005)
Stratege und Psychologe, Träumer
und Rüpel: Der Trainer in "Leben bis Männer“ von Thomas Brussig ist eine
zerrissene Figur im Kleinen. Zwischen Platz und Kneipe und Job hat er irgendwann
seine Träume verloren, die Familie, den sportlichen Ziehsohn. Doch wie ein Ball,
der mit voller Wucht über den Platz getreten wird, so folgt der Trainer seiner
Lebensaufgabe, dem Fußball – auch wenn der Schuss längst nicht in Richtung Tor
fliegt.
Holger Kraft hat sich dieser
schwierigen Rolle für den Abend "Doppelmonolog für einen Schauspieler" im
Stadttheater angenommen. Er schreit und flüstert, beschwört und spuckt und
spottet, lässt nach und nach die einzelnen Facetten dieses Charakters
aufleuchten inmitten der Arena, die von einem schlichten Band aus Glühbirnen
abgesteckt ist. Der aus Rüsselsheim stammende Schauspieler erkundet die
Spannweiten der Gegensatzpaare, die Thomas Brussig als dramatisches Grundgerüst
des Stücks angelegt hat: Männer/Frauen, Ostdeutschland/Westdeutschland, Trainer/
Mannschaft, schließlich Fußball/ andere Sportarten, der größte Konflikt von
allen.
Die Rolle, die Brussig für "Leben bis
Männer" entworfen hat, ist ein Archetyp ohne Namen, dessen persönliche Welt
Sehnsüchte und Ängste eines Landes auf sich projiziert. Ein halbes Jahr vor der
Weltmeisterschaft in Deutschland hat Regisseur Thomas Friemel zusammen mit
Kostüm- und Bühnenbildnerin Anja Stoffel mit diesem 2001 in den Kammerspielen
des Deutschen Theaters in Berlin von Peter Ensikat uraufgeführten Stück alles
andere als ein Fußballmärchen inszeniert. Eher als Trauma und Sucht präsentiert
sich der Sport in der Erzählung des Trainers. "Der Trainer muss brüllen können",
sagt der Coach, den Holger Kraft im dunklen Anzug gibt, während die Stollen der
Fußballschuhe im harten Stakkato über die Bühnenbodenbohlen der Studiobühne
klackern.
Über die Evolution des Fußballs
sinniert der "Cäsar der Seitenlinie", erzählt von seinem Eintritt in die SED. So
wollte er die Reiseerlaubnis zu einer Welt- oder Europameisterschaft bekommen.
Doch die DDR-Auswahl qualifizierte sich nicht mehr. Als zunächst
beiläufig-stiller Kontrapunkt zum Leitmotiv Fußball entwickelt sich die
Reflexion der Wende-Ära um 1989. Bis der Heiko, der beste Spieler in der
Mannschaft des Trainers, als Mauerschütze vor Gericht steht. Brüllend verteidigt
der Coach den Spieler: Er hat doch nur gehorcht, hat die oberste Tugend der
Mannschaft erfüllt.
Irgendwann blendet der Trainer all
seine Probleme wieder aus, fokussiert die Aufmerksamkeit auf Platz und
Mannschaft: "Wir spielen nicht nur Fußball, wir trotzen den Zeiten", ruft er dem
Team zu, dessen Spieler wegen ihres Berufs immer seltener vollzählig zum Match
erscheinen.
Holger Kraft (vorn rechts) im Jahr 1992 in
einem Hockeyspiel seiner Mannschaft, des Rüsselsheimer RK, gegen den
Dürkheimer HC, hier in der Mitte und nicht an der "Seitenlinie" |
Dann wechselt das Licht und Holger
Kraft wechselt die Trainerjacke mit dem Instrumentenkasten des Gitarrenmanns. Wo
die Emotionen eben noch über eine Stunde lang hochgekocht sind, verabschiedet
sich der "Doppelmonolog" aus dem Abend mit einem unheimlich stillen Stück. Der
"Gitarrenmann" von Jon Fosse ist eine zweite Geschichte des Zusammenbruchs einer
individuellen Welt. Doch der Musiker, der Tag für Tag für ein bisschen Geld in
der Fußgängerzone spielt und singt, schreit seinen Frust nicht hinaus über die
harte Fläche des Aschenplatzes. Neugierig betrachtet sich der Künstler selbst,
um ganz leise und ohne jeden Höhepunkt von der Bühne und aus der Geschichte zu
verschwinden.
Die Geschichten dieser so
unterschiedlichen Figuren verband der Theaterabend "Doppelmonolog für einen
Schauspieler" durch den Übergang ohne Bruch im Spiel zum dramatischen
Spiegelbild und steigerte so die Spannung noch einmal. Verdienter, anhaltender
Applaus belohnte Holger Kraft, Thomas Friemel und Anja Stoffel für diesen
emotional aufgeladenen Theatermarathon.
Aus Homepage
"www.theater-ruesselsheim.de":
Doppelmonolog für einen Schauspieler
Unter der Regie von Thomas Friemel
schlüpft der Schauspieler Holger Kraft in zwei Monologrollen. In Jon Fosses
Stück "Der Gitarrenmann" spielt er einen Gitarristen, der Tag für Tag in einer
Unterführung für all jene spielt, die zufällig vorbeikommen. In Thomas Brussigs
"Leben bis Männer" stellt er einen Fußballtrainer aus der Provinz dar. Absurde
Wendungen und mitreißende Komik kennzeichnen seinen leidenschaftlichen Monolog.
"Leben bis Männer" ist ein Pendant zum "Kontrabass" von Patrick Süskind.
Der Gedanke, Holger Kraft an einem
Abend in zwei Monologrollen schlüpfen zu lassen, folgt der Idee, dass in jeder
Brust "zwei Seelen" wohnen. Zwei Mal fällt er aus höchsten Höhen in tiefste
Tiefen, zwei Mal spielt er einen Menschen, der sich als Zentrum der Welt
begreift, aber am Rand steht, einmal auf dem Fußballplatz als Trainer, einmal in
der Fußgängerzone als der Gitarrenmann. Beide tragen den Wunsch nach einem
heimatlichen Hafen in sich, in den sie wahrscheinlich nie einlaufen werden, da
sie ihr eigenes Leben – so gut es geht – umschiffen.
Holger Kraft und Thomas Friemel
sind beide in Rüsselsheim geboren, aufgewachsen und haben dort ihre ersten
Theatererfahrungen gesammelt. Beide waren Mitglieder der Gruppe "!schon geseh’n?"
und sind zeitgleich aus Rüsselsheim ausgezogen. Holger Kraft absolvierte eine
Schauspielausbildung in Leipzig und war drei Jahre lang am Theaterhaus Jena
engagiert. Thomas Friemel arbeitete nach Regieassistenzen am Staatstheater Mainz
und am schauspielfrankfurt als fester Regisseur in Aachen. Beide sind im Moment
freischaffend tätig.
Verlagsinformationen zu den
Stücken:
Jon Fosse: "Der Gitarrenmann" (Gitarmannen)
"Der
Gitarrenmann, der täglich in der Unterführung Musik spielt für Menschen, die sie
hören wollen (und solche, die sei nicht hören wollen) (…) lebt in einer Stadt,
in die er der Liebe wegen kam und eines Sohnes wegen blieb – könnte aber ebenso
gut anderswo wohnen; er spielt Lieder, die er mittlerweile hasst, und könnte
ebenso gut – nichts tun (…) Ein hoch musikalischer, sprachlich artifizieller
Text, der glasklare Sätze in Versform zur Verfügung stellt (…). Fosses
namenloser Protagonist: das ist der alt und müde gewordene, monomanische
Gitarrenspieler Fosse, der als Jugendlicher Pop- und Rocktexte schrieb, bevor er
das Instrument gegen die Schreibmaschine austauschte. An ihr entstehen, mit
Stilmitteln der Wiederholung und Variation, Texte, die mehr Rhythmus sind denn
Rede, schiere Struktur und schmeichelnde Suggestion, gesprochen von Menschen in
einem sozialen Leerraum." (Neue Zürcher Zeitung)
Thomas Brussig: "Leben bis Männer"
Einer packt aus. Mehr als zwanzig
Jahre war er der Stratege am Rand. Im Training ein harter Knochen, auf dem Platz
ein Erlöser. Sein Verein hieß einst !Tatkraft Börde!, sein Beruf ist
Fußballtrainer. Jetzt zieht er vom Leder, und es gibt kein Halten: Weil einer
seiner Spieler vor Gericht gestellt wurde, hat die Mannschaft den Aufstieg nicht
geschafft. Nach "Helden wie wir" und "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" hat
Thomas Brussig nun den Aufschrei eines Menschen aus der Provinz aufgezeichnet.
"Leben bis Männer" ist der Monolog eines Mannes, der ein enger Verwandter des
Kontrabassisten von Patrick Süskind könnte. Ein Fußballtrainer aus der Provinz
rechnet ab. Ein leidenschaftlicher Monolog voller absurder Volten und
mitreißender Komik – ein Pendant zum "Kontrabass" von Patrick Süskind.
|