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Über Mitglieder des
RRK (1933)
Georg von Opel |
Ted Phelps, Eric Phelps und Georg
von Opel am 29. Juli 1933 auf dem Passagierschiff "Empress of Britain" von
Southampton nach Kanada |
Georg von Opel und die "Diamond Sculls"
Vom Vorrennen in Henley gegen den Franzosen
Vincent Saurin
Georg von Opel bereitet sich
1933, wie schon
im Vorjahr, in England unter Trainer Eric Phelps auf große
Aufgaben im Einer vor und startet Anfang Juli bei den
"Diamond
Sculls" in Henley. Anschließend im Juli geht Georg von
Opel nach Kanada. Am 30. Juli 1933 feiert der RRK sein 25jähriges Jubiläumsfest.
Georg von Opel teilt einige Tage später seinem Verein in einem Telegramm mit,
dass er in Toronto Kanadischer Meister über die
Kurzstrecke (1/4-Meile) wurde und dabei den kanadischen Meister und Diamond-Sculls-Sieger,
Joe Wright, mit einer Viertellänge geschlagen hat, ein besonderes
Jubiläumsgeschenk.
Hier ein Bericht von
Georg von Opels Vorrennen bei den "Diamand Sculls" in Henley gegen den Franzosen Vincent Saurin, der viele
Jahre später aus der Erinnerung geschrieben wird:
"Sie müßten Henley kennen",
sagt Georg. Der blonde, im langen Training hartgewordene
Mann sprüht aus beiden blauen Augen, wenn er vom Rudern
spricht. "Henley ist der Höhepunkt unserer großen
Kämpfe. Trotz Olympia, trotz Europameisterschaft und
allem sonstigen. Henley, das ist eine der historischen Stätten
in England, dem Mutterland des Sports."
Sie sagten damals zum einundzwanzigjährigen Opel, er
solle vor allem auf Saurin achten, den starken französischen
Meister. Eric Phelps, der Trainer des Deutschen, hatte
Georg langsam aufgebaut. Langsam? Georg lächelt. Ihm
graut es heute noch, wenn er daran denkt, was alles
damals von ihm verlangt wurde. Wenn er sich später
erneut auf große Kämpfe vorbereitete und Fritz Brumme
ihn mit leichterer Hand führte, als es der in seinen
Anforderungen so viel härtere Engländer tat, dann weiß
Opel, dass in Henley die Grundlage seiner Kampfkraft
gelegt wurde.
Aber er will von den Diamond-Sculls in Henley 1933 erzählen.
"Man muß Henley erst studieren" sagt Georg.
"Das ist ‒ ja mein Gott! ‒ wie soll man das
beschreiben? Die Hitze sengt und die liebliche Landschaft
lockt. Das ganze Ruderfest verwirrt zunächst. Die
gewaltige Tradition belastet."
Eric Phelps sagt: "Georgie, wenn Du gegen Saurin
bestehst, dann ist alles gut, er ist der Stärkste."
Er ist stark. Heute noch empfindet Opel diesen Mann als
den furchtbarsten Gegner, den er je gehabt hat. Ein
mittelgroßer Franzose, dunkelhaarig, mit geradegezogenem
Scheitel in der Mitte, ein lustiger Pariser, aber mit der
gallischen Zähigkeit, die manchmal unerwartet
herausbricht und alle Vorurteile von den schnell
ermattenden Franzosen Lügen straft.
Als sie an den Start gehen, zwinkert Saurin dem
Deutschen zu.
"Georges, en avant aujourd´hui. Nous verrons."
"Ja, wir werden sehen", denkt auch Georg. Der
Franzose ist zwei Jahre älter. Er gilt in jenem Jahr als
Favorit in Henley. Und Opel ‒ ja, er spürt seine
heraufwachsende Form. Er weiß, dass er einen großen
Willen besitzt, dass er langsam ins Rennen kommen, auch
"hinhalten" kann, wie man so sagt. Phelps hat
vorher eindringlich darauf hingewiesen, dass Opel gleich
mit "fortgehen" müsse. "Nur nicht
wegziehen lassen, den temperamentvollen Mann, Georgie.
Immer an ihm bleiben, ja sehen, dass Du vor ihn kommst.
Denn nur dann kannst Du ihn beobachten, kannst Du abwägen,
was er in sich hat." Opel lächelt etwas hilflos.
Der Tag ist warm und blau. Das Hügelland um die Themse
steht wie eine schöne Theaterkulisse um die Kämpfe. Die
Menschen am Ufer fluten hin und her. Die Schleusen am Fluss sind
heruntergelassen. Man liegt im ruhigen Wasser. Ja, ein wenig, ganz wenig
Gegenstrom ist zu spüren. Man muss Henley kennen, um zu wissen, wie das ist. Der große
Buhtz könnte davon berichten, dem die Strecke so gut lag,
der Berliner, der am Wannsee ähnliche Ruderverhältnisse
hatte und der wahrhaftig ein Mann der Weltklasse war. Er
gewann zweimal die Diamond-Sculls, 1932 und 1934. In
diesem Jahr, von dem hier die Rede ist, ist er nicht am
Start.
Georg von Opel |
Vincent Saurin |
Georg denkt: Ich muss mich an den Franzosen klammern. Ich
kann nicht weit vorausplanen. Gegen diesen Gegner muss
ich mich auf die Intuition des Augenblicks verlassen.
Alle Taktik hilft hier nichts. Ich muss auf meine Kraft
vertrauen und auf mein Glück. Wenn die Auslosung gleich
zwei der aussichtsreichsten Männer gegeneinander wirft,
im Vorrennen schon, dann hört jedes Rechenexempel auf.
Wie immer, wenn es um die große Entscheidung im Sport
geht. Die 2.000 Meter der Skullerrennen in Henley dauern
bei den Besten kaum acht Minuten. Aber was sind das für
Minuten!
Und während uns Georg von Opel weiter von Henley erzählt,
fragt er plötzlich: "Weiß man eigentlich, was jene
Minuten für die Männer bedeuten, die in ihren Booten
wie festgeschmiedet um die höchste sportliche Bewährung
ringen." Opel schweigt. Er ist amerikanischer und
kanadischer Meister. Er hat die Serie der Kämpfe gegen
den älteren und so riesenhaft starken "Gummi"-Schäfer
bestanden, den Olympiasieger. Er wurde 1947 nach zwanzigjähriger
aktiver Laufbahn deutscher Meister. Aber jedesmal, wenn
dieser Kampf gegen Saurin in ihm wach wird, dann kommt
über sein Gesicht der Ausdruck einer furchtbaren
Anstrengung. 'Es war mein schwerster Kampf."
Er geht natürlich los wie ein Pfeil, der Pariser. Georg
hängt sich an ihn. Er denkt nach einigen hundert Metern,
dass er es vielleicht bis tausend aushalten könnte. Nur,
an Saurin heranzukommen, vermag er nicht. Furios, mit
langem schnellem Schlag, geht der Pariser los. Wie
schnell ist er! Wie stark muss er sein!
Aber ein Ruderrennen ist wie jeder Wettkampf, bei dem es
um die Spitze geht, erst im Ziel entschieden. Noch halte
ich mit, denkt Georg. Ich muss ihn nur nahebei hören.
Ich muss immer denken, auch er ist keine Maschine, auch
in ihm geht ähnliches vor wie in mir. Die Sonne sticht.
Opel hört die Zuschauer schreien, reden und rufen. Ja,
da radelt auch fünfzehn Meter von ihm entfernt in diesem
lieblichen Themsetal sein Trainer Eric Phelps auf dem
Fahrrad dahin. Er winkt, er nickt, er hat ein
zuversichtliches Gesicht.
Also macht er es richtig, er, Georg von Opel, der heute
gegen den Favoriten von Henley, gegen den Franzosen Saurin, im Einer anrudert. Die englischen Blätter haben
gemeint ‒ egal, was sie gemeint haben, Opel schaut sich um.
Eineinhalb Längen liegt der Franzose vor ihm. Also näher
heran. Er weiß von sich selbst, dass er nach tausend
Metern immer noch "da" ist. Aber es zehrt, es
zehrt. Schon ist, wie er es nennt, die "normale
Kraft" dahin.
Georg aus Rüsselsheim wirft einen Blick nach oben in
den blauen Himmel. Der Schweiß perlt ihm von der Stirn,
blendet schon in die Augen hinein. Sein Herz pocht stark,
sein sonst so unbeirrbar ruhiges Herz. Aber dennoch: Mag
der Phelps auch wieder beruhigend winken, bis tausend
Meter will er mithalten. Ja, in dem Gefühl, sich diese
Grenze gesteckt zu haben, wagt er jetzt sogar einen
Vorstoß.
"Schneller Schlag, Georg, ruhig und wuchtig
durchziehen, wie du es gelernt hast", sagt er zu
sich selbst. Georg wendet den Kopf zur Seite. Die tausend
Meter nähern sich. Der Trainer Phelps gibt kein Zeichen,
schaut sogar seltsam starr vor sich hin. Französische
Rufe erschallen: "Saurin, Saurin tiens, en avant!"
Georg von Opel mit den aktiven
Ruderern des Rudervereins Rüsselsheim 1931 vor der Bootshalle (Georg
Schmitt, Fritz Brumme, Karl Pöppel, Paul Diehl, Karl Sittmann, Trainer Friedrich Traiser, Marcel Schopfer, Wilhelm Heil, Willi Filtzinger, Willi Petzold,
Georg von Opel) |
Und nach diesem Zwischenspurt merkt der deutsche Ruderer
Georg von Opel, dass der Franzose Saurin im genau
gleichen Abstand vorne liegt wie bisher ‒ eineinhalb
Bootslängen, also zwölf Meter, lange zwölf Meter.
Georg blickt zum Ufer: "Eric ‒ ‒ " will er
rufen. Aber es gelingt ihm kein Wort. Der Phelps versteht
auch so. Er mahlt mit den Kiefern, den harten
energiegeladenen Kiefern.
Eric, selbst ein großer Skuller, kennt kein Aufgeben. Er
reißt das Sprachrohr an den Mund. Und jetzt tut der
Trainer Eric Phelps etwas, was Georg heute noch nicht
begreift. Nie hat er von diesem Trainer ein falsches, ein
bluffendes Wort gehört.
"Georgie", ruft Phelps, "go on ‒ he is tired." Mach weiter! Mein Gott, ob er weitermachen
kann? Aber wie? Der große Saurin soll müde sein wie er,
Georg von Opel, der gar nicht weiß, wie er sich noch
vorwärts bringen soll, dessen Körper ausgeleert ist,
dessen Arme nur noch wie zwei mechanische Hebel
weiterschwingen? Saurin müde? Aber wenn Eric das sagt,
muss es stimmen. Der starke Franzose lässt nach? Oh,
Eric, wenn das wahr ist, dann spürt ja auch der andere
etwas von der Grenze, dann hängt auch ihm der dicke
Panzer der Ermattung über allen Gliedern.
Und Georg von Opel reißt alles in sich zusammen. Er
buchstabiert laut vor sich hin: Jetzt ‒ machst ‒ du
zwanzig ‒ harte ‒ Schläge ‒ ‒ ‒. Und siehe da, sein Körper
gehorcht. Das Opelsche Boot fliegt vorwärts. Plötzlich
liegt es Bord an Bord mit dem des Franzosen. Der schaut
seitwärts, sein Scheitel ist auseinandergefallen, sein
Blick ist wirr. Georg sieht das alles wie in Trance.
Jetzt jagen sie nebeneinander vorwärts. Gäbe einer auf,
wenn er ein Sportsmann ist und neben seinem Gegner liegt?
In jener Klasse, zu der die gehören, die an diesem Tag
in Henley kämpfen, gibt es jetzt kein Aufgeben mehr.
Eric radelt neben den beiden. Saurins Trainer hält an
seiner Seite. Beide schmettern in ihre "Blashörner",
ihre Sprachrohre.
Die Menschenmenge, hier zum Ziel hin dicht auf den Tribünen
hochgestaffelt, ruft, schreit und gellt; die Ruderer,
ineinander verbissen, nebeneinander liegend, hören
nichts, vernehmen nichts, sehen nur den flackernden
Lichtschein der Sonne. Aus dem brodelnden Lärm heraus hört
Opel noch einmal Phelps Ruf: "Spurt, Georgie, Spurt!"
Es ist das gewohnte Wort, dem Georgs Ruderorganismus,
ohne zu denken, zu folgen gewohnt ist. Sein Körper reckt
sich unter der Weisung. Der Wille hat nichts mehr damit
zu tun.
Aus dem Unbewussten reißen die Arme, und jetzt federt
noch einmal der Körper, und jetzt zieht das Boot langsam,
langsam an dem des Franzosen vorbei. Nie wird Georg den
Blick Saurins vergessen, den jäh erstaunten Blick eines
Mannes, der geschlagen wird und es nicht verstehen kann.
Ein sieggewohnter Ruderer schaut mit glasigem Auge, wie
einer vor ihm ins Ziel fährt. Zentimeter um Zentimeter.
Noch steht der Ruf des Eric Phelps in der Luft: "Spurt,
Georgie Spurt!" Dann ist die Ziellinie da und hart sinkt ein Mann, der
zwei Meter vor einem gewaltigen Gegner gesiegt hat, ausgebrannt und wie
erloschen nach vorn. Und weiß lange nicht, wie ihm geschieht.
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