Es soll Menschen geben, die für
den Fall der Fälle verfügt haben, bloß nicht ins Rüsselsheimer Stadtkrankenhaus
gebracht zu werden. Andere Leute wiederum lassen auf die "Hessenklinik" und ihre
Ärzteschaft nichts kommen. Der Kreis derjenigen, die froh darüber sind, dass die
größte Kommune im Kreis Groß-Gerau über ein Hospital verfügt, schließt seit
wenigen Wochen auch den Namen einer Nationalspielerin ein − der
Hockey-Nationalspielerin Friederike Barth.
Einige Monate später
zum Einstand von
"Pindi" Barth ein Europacupsieg in der Halle für den RRK in Cambrai 2000 (hinten: Mandy Haase, Nina Günther, Jana Schwärzel,
Lisa Jacobi, Nicole Hardt, Tanja Dickenscheid, Trainer Berti Rauth;
vorn: Betreuer Thommy Blivier, Denise Klecker, Britta Becker,
Friederike Barth, Jennifer Lutz, Sybille Breivogel, "Physio" Hanne
Zöller) |
Läuft alles wie geplant, dann wird
die 24 Jahre alte Abwehrspielerin im Oktober in eine Rüsselsheimer
Wohngemeinschaft einziehen und am 1. November ihren ersten Arbeitstag an der
August-Bebel-Straße erleben. Das Bewerbungsgespräch, zu dem die angehende
Physiotherapeutin Ende Juni von ihrem aktuellen Wohnort Duisburg an den Main
gebeten worden war, ist jedenfalls zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen. Was
noch fehlt und was wohl RRK-Coach Berti Rauth dazu bewogen hat, die für den
Ruder-Klub bedeutsame Neuigkeit bislang nicht als Fakt hinzustellen, ist das
Examen. Zumal Rauth in seiner Funktion als Bundestrainer sehr wohl bewusst war,
dass Friederike Barth einen Teil ihrer Prüfungen just in diesen Tagen ablegt, in
denen die Damenauswahl des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) in Köln um die
Europameisterschaft und das Ticket nach Sydney kämpft.
"Ich wusste vorher auch nicht, ob ich
den Kopf dafür frei haben würde, und es gibt schon einige, die sich an den Kopf
greifen. Aber ich muss sagen, dass es bisher gut gelaufen ist. Hockey ist eine
gute Ablenkung − so 'was, wie eine aktive Pause", sagt Friederike Barth. Heute
Abend, nach dein entscheidenden Spiel um den Gruppensieg gegen England, wird sie
zum dritten Mal während der EM-Tage die rund 45-minütige Fahrt nach Duisburg
antreten, um tags darauf eine weitere der insgesamt 16 Examensprüfungen in
Angriff zu nehmen. Rechtzeitig vor dem Halbfinale am Freitag wird sie ins
Mannschaftsquartier nach Hürth zurückkehren und sich mit den anderen 17
Nationalspielerinnen auf ihren 43. Einsatz im A-Team vorbereiten. Bedenken, dass
ihr am 21. September mitgeteilt werden könnte, dass sie die Anforderungen nicht
erfüllt hat, hegt sie nicht: "Ich hatte bisher immer ein gutes Gefühl, und
normalerweise fällt man auch viel früher durch das Raster."
Dass sie nach Abschluss der
dreijährigen Ausbildung, zu der sie 1996 ihrer Geburtsstadt Hamburg den Rücken
gekehrt und sich dem Club Raffelberg angeschlossen hatte, nun in Bälde nach
Rüsselsheim kommt, ist vornehmlich beruflich begründet. "Für mich kam im
Vorausblick auf Olympia 2000 nur eine Arbeitsstelle in Frage, bei der die
sportlichen Belange Berücksichtigung finden", sagt Friederike Barth, die fast
alle "Pindi" rufen. Wie kommt's? "Ich hatte als Kleinkind sehr wenig Haare. Ein
Sandkastenfreund wollte dazu wohl Pinsel sagen, hat aber nur 'Pindi'
hinbekommen."
Im Alter von sechs Jahren hatte sie
dann nicht nur mehr Haare, sondern beim Club an der Alster erstmals einen
Hockeyschläger in der Hand. Und da dessen Handhabung zunehmend besser klappte,
durfte sie 1989 ihr erstes von 82 Länderspielen in den Jugendauswahlen des DHB
bestreiten. Höhepunkt dieses Abschnitts war Platz eins bei der Junioren-EM 1992,
und der nahtlose Übergang der 1,76 Meter großen Athletin in den A-Kader schien
programmiert. Doch nach dem ersten Einsatz bei den "Großen" im Oktober 1994 tat
sich längere Zeit nicht viel. "Ich bin nicht der Typ, der alleine für sich
trainiert, um sein Level zu halten oder zu steigern", sagt sie. Zwei Bänderrisse
im linken Fußgelenk kamen hinzu, und so gehört "Pindi" eigentlich erst seit dem
WM-Jahr 1998, das mit der Bronzemedaille gekrönt wurde, fest zum Stamm des
Nationalteams.
Die Art und Weise, wie sie die im
Juni erlittene Kapselverletzung im rechten Knöchel weggesteckt und nun EM- wie
berufliche Belastung angeht, imponiert Berti Rauth sehr. "Das sind Siegertypen,
und so Leute brauchen wir. Wir haben ein langes Gespräch geführt, und zum Glück
für den RRK hat sich dann die Stelle im Krankenhaus aufgetan. Denn 'Pindi'
bringt über eine weitere Steigerung ihres Selbstvertrauens und ihrer Athletik
alles mit, um eine absolute Topspielerin zu werden. Das wird uns in der Phase
nach Britta Becker sehr helfen", sagt Rauth. Wie lange der Ruder-Klub sich der
Unterstützung, die voraussichtlich mit der Hallensaison anlaufen wird, der
Pastorentochter sicher sein kann, ist freilich offen. "Ich wollte aus Hamburg
weg und habe auch jetzt wieder den Drang verspürt, aus Duisburg fortzugehen. Und
eigentlich möchte ich auch noch 'mal ins Ausland", sagt Friederike Barth. Dass
Berti Rauth und Co. alles versuchen werden, ihr diesen "Spleen" auszureden, darf
als gesichert gelten.