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Über Mitglieder des
RRK (1992)
Christopher Reitz |
Bianca Weiß und
Christopher Reitz: Rüsselsheim bietet Ersatz im Hockeytor
Von Volker Stumpe (aus
"FAZ" vom 04.07.1992)
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Christopher
Reitz und Bianca Weiß |
In den
beiden vorolympischen Länderspielen gegen Schottland machte Bianca Weiß
ausnahmsweise das, was der Bundestrainer Rüdiger Hänel normalerweise einer
anderen überlässt. Die Rüsselsheimerin hütete beim 7:0 in Frankfurt und beim 3:1
in ihrer Heimatstadt jeweils das Tor der Hockeynationalmannschaft. Wenn die
Deutschen am 27. Juli in Barcelona gegen Spanien ihr erstes Spiel bestreiten,
vertraut Hänel wieder Susanne Wollschläger vom Club Raffelberg. Die 27 Jahre
alte Duisburgerin bringt die Erfahrung von 95 Länderspielen mit. Bianca Weiß,
24 Jahre alt, stand erst zwanzigmal im Nationaltrikot zwischen den Torpfosten.
Während des olympischen Hockeyturniers in Barcelona wird die Studentin auf der
Ersatzbank Platz nehmen müssen, womit sie sich längst abgefunden hat. "Ich nehme
an, daß ich kein einziges Spiel machen werde, wenn alles normal läuft." Was
nicht heißen soll, dass sie mit ihrer Rolle zufrieden ist. "Wer sitzt schon gerne
auf der Bank. Ich auch nicht. Aber wenn jemand anderer gut ist, dann ist das
schon in Ordnung", sagt Bianca Weiß, die nicht ernsthaft daran zweifeln
mag, dass Susanne Wollschläger die zur Zeit beste deutsche Torfrau ist.
Nach den Olympischen Spielen
allerdings kann sich die Lage ändern. Susanne Wollschläger hat nämlich laut
darüber nachgedacht, ihre nationalen Pflichten einer jüngeren Spielerin zu
übertragen. Genaues weiß zwar selbst der Bundestrainer noch nicht. "Aber darüber
wurde schon gemunkelt." Wäre der Weg in das Tor der Nationalmannschaft für
Bianca Weiß damit frei? Keineswegs. "Ich möchte zwar die Nummer eins
werden", sagt die Rüsselsheimerin. Doch dieses Ziel teilt sie mit anderen jungen
Kolleginnen. „Es gibt noch genügend andere, die es machen könnten." Sowohl die
Hamburgerin Alexandra Schmidt als auch die Hanauerin Julia Bingel können sich
Hoffnungen machen. "Sollte Bianca mit der gleichen Leistungsentwicklung
aufwarten wie in den vergangenen Jahren, dann wäre sie auch weiterhin eine
Kandidatin", sagt Hänel.
Eine geradezu sprunghafte
Leistungsentwicklung hat ein anderer Barcelona-Reisender hinter sich. Seit
einigen Wochen darf der Rüsselsheimer Ruder-Klub auf einen weiteren
Nationaltorhüter stolz sein. Zwei Tage vor Bianca Weiß wird auch
Christopher Reitz nach Spanien fliegen. Und der war von seiner Nominierung
maßlos überrascht. "Das war schon Wahnsinn. Ich kannte die Spieler ja nur als
Halbgötter." In der vergangenen Saison war der 19 Jahre alte Abiturient mit
seiner Mannschaft aus der Bundesliga abgestiegen. Doch Zweitklassigkeit hindert
nicht daran, für höhere Aufgaben berufen zu werden. Vor zwei Wochen erst hat der
Bundestrainer Paul Lissek dem jungen Mann auf dem Flughafen von Birmingham
mitgeteilt, dass er nun zur Hockeyauswahl gehört, die in Barcelona eine Medaille
gewinnen will. "Wenn mir das jemand vor einem Vierteljahr erzählt hätte. Ich
hätte ihn für verrückt erklärt", sagt Reitz, der niemals damit gerechnet
hätte, dass Markus Steinwachs von Uhlenhorst Mülheim wegen ihm nun zu Hause
bleiben muss.
Seit drei Jahren steht Christopher
Reitz in der Juniorennationalmannschaft. Einen nachhaltigen Eindruck muss er
während eines Turniers im Januar dieses Jahres in Pakistan hinterlassen haben.
Lissek sah sich die Videoaufzeichnungen an und lud den Rüsselsheimer im März zu
einem Lehrgang an. Dem sah Reitz eher zweifelnd entgegen, stellte dann
aber fest, dass "ich das eigentlich auch kann. Und die waren dann alle
überrascht, dass ein junger Spieler so gut mithalten kann." Reitz
muss den
Bundestrainer überzeugt haben, denn am 1. April stand er in einem Spiel gegen
die GUS plötzlich im Tor der Herrennationalmannschaft. "Ohne Ballberührung. Das
war ein optimaler Einstieg, um hier Luft zu schnuppern." An "Halbgötter" wie
Carsten Fischer oder Volker Fried hat sich der Neuling inzwischen gewöhnt. Doch
wie Bianca Weiß geht auch Christopher Reitz davon aus, dass er in
Barcelona zuschauen wird. Der Limburger Michael Knauth ist "die uneingeschränkte
Nummer eins". Doch der ist mittlerweile 27 Jahre alt, was mitunter bedeuten
könnte, dass bald auch der Platz im Tor der Herrennationalmannschaft frei werden
könnte. Christopher Reitz wäre bereit. "Es ist absolut mein Ziel, eines
Tages auch bei Olympia der erste Torwart zu sein." 1996 in Atlanta könnte es
soweit sein.
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Wunschtraum geht für
Christopher Reitz etwas überraschend in Erfüllung
RRK-Keeper hat die Stammposition im Blick / In
Barcelona noch Ersatzmann
Von Stephen Lämmerhirt
(aus "Main-Spitze" vom 11.07.1992)
Niemand hatte so recht seine Nominierung erwartet. Zwar war
er zuletzt immer zu den Lehrgängen des A-Kaders von Bundestrainer Paul Lissek
eingeladen worden. Doch immerhin hatte sich Christopher Reitz (Rüsselsheimer RK)
gegen zwei prominente Erstliga-Keeper durchzusetzen. Während Michael Knauth (HC
Limburg) seine Position als unangefochtene Nummer eins zwischen den Pfosten der
deutschen Hockey-Nationalmannschaft verteidigte, zog Markus Steinwachs
(Uhlenhorst Mülheim) gegen den Stammtorhüter des Rüsselsheimer Zweitligisten und
der nationalen Junioren-Auswahl den kürzeren.
Der 19jährige, der in diesem Jahr sein Abitur erfolgreich baute, steht in einer
langen Torhütertradition des Ruder-Klubs. Dem Hockeyfan fallen in diesem
Zusammenhang sofort die Namen von Peter Kraus (München 1972) und Tobias Frank
(Los Angeles 1984/Seoul 1988) ein. "Natürlich sind diese beiden meine großen
Vorbilder. Und mittelfristig will ich auch die Nummer eins werden", meint Reitz
und beweist damit gleich eine Eigenschaft, die er auch als Grundlage seines
steilen Aufstiegs sieht. "Ehrgeiz gehört einfach dazu, wenn man sich auf ein
solches Ziel hin quälen will."
Bereits jetzt spricht er von einem absoluten Traum, der in Erfüllung geht. Wen
wundert es. Denn schließlich hat Christopher Reitz ganze fünf Einsätze im
A-Kader absolviert. Und sein Länderspieldebüt war schließlich auch mehr als
kurios. Am 1. April dieses Jahres ‒ kein Aprilscherz ‒ hatte er beim 5:0-Erfolg
Deutschlands gegen das Team der GUS nicht einen, Ballkontakt.
Er erinnert sich noch gut an die Situation, als Paul Lissek seinen Spielern
mitteilte, wer nun mit nach Barcelona fährt und wer daheim bleiben muss. "Wir
standen in der Empfangshalle des Birminghamer Flughafens, kurz vor dem Rückflug
nach Deutschland. Zuvor hatten wir das Turnier in Milton Keynes gewonnen. Da hat
Paul Lissek uns zusammengerufen", berichtet das Nesthäkchen des deutschen Teams.
Aber,
dass er im Kader der jüngste und unerfahrenste ist, inmitten international
gestandener Männer ‒ immerhin sechs Spieler waren bereits beim Gewinn der
Silbermedaille 1988 in Seoul dabei ‒ ist kein Problem. "Wir sind eine nette,
homogene Mannschaft. Ich werde akzeptiert und schon bei den Lehrgängen hatten
wir einen Riesenspaß", wird Reitz mit der Situation als Youngster mühelos
fertig.
Auch Leistungsdruck verspürt der künftige Wehrdienstleistende
‒ ein Platz in der
Sportfördergruppe der Bundeswehr ist ihm schon sicher ‒ als Nummer zwei nicht.
"Natürlich fahren wir als einer der großen Favoriten zu den Olympischen Spielen.
Doch schließlich sitze ich erst einmal auf der Ersatzbank. Der
Nominierungsstress,
vor allem beim Turnier in Milton Keynes war erheblich größer", bleibt Reitz auch
für den Fall gelassen, dass er doch zum Einsatz kommt. Nach Barcelona bleibt
wieder keine Zeit, sich zu entspannen. Denn schon steht die
Junioren-Europameisterschaft und davor noch einige Lehrgänge auf dem Programm.
Doch gerade gezielte Pausen und die Einteilung der eigenen Kräfte seien
unheimlich wichtig. "In den Spielen der Meisterschaftsrunde merkt man, dass diese
Doppelbelastung einiges an Konzentration und Motivation kostet", sieht er seine
Leistungen im Vereinsdress selbstkritisch.
Begonnen hat Christopher Reitz seine sportliche Laufbahn mit fünf Jahren beim RV
Offenbach. Der Sprung in die Jugend-Nationalmannschaft gelang schließlich 1986.
Dort knüpfte er erste Kontakte zu RRK-Coach Berti Rauth, der als Honorartrainer
des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) die B-Jugend-Auswahl coacht. Zur Feldsaison
1990 erfolgte schließlich der Wechsel zum Rüsselsheimer Ruder-Klub.
Der Weg von Christopher Reitz zwischen die Pfosten war jedoch nicht von Anfang
an vorgezeichnet. Erstmals 1981 spielte Reitz als Keeper. Dennoch ‒ er stand im
Kader zweier Nachwuchs-Altersklassen - wechselte er noch zwischen Tor und Feld.
"Das war eine sehr vorteilhafte Entwicklung. Denn, daher wusste ich ja wie sich
Stürmer vor dem Kasten verhalten. Mitspielen und -denken ist nicht umsonst eine
Stärke von mir", erzählt Reitz.
"Ich bekam
regelrecht Gänsehaut, als wir ins Stadion einmarschierten"
Christopher Reitz nimmt gelassen auf der Bank
platz / Ausflüge zur Leichtathletik
Von Bernd-Dieter Jenrich (aus "Main-Spitze" vom 03.08.1992)
Eröffnungsfeier Barcelona 26.07.1992 |
Seine schulische Reifeprüfung hat er
unlängst bestanden, die olympische steht noch aus. Dass er bislang nicht zum
Einsatz gekommen ist, stört Christopher Reitz indes nicht die Bohne. "Sauer bin
ich auf keinen Fall", äußert der Hockey-Nationaltorwart des Rüsselsheimer
Ruder-Klub (RRK), "ich bin ja gewissermaßen erst vor einem halben Jahr in den
A-Kader reingesprungen, womit ich nie gerechnet hatte." Deshalb sei er "sehr,
sehr froh", überhaupt dabei zu sein.
Und ihm sei auch schon vorher klar gewesen,
dass er in Barcelona nur die Nummer
zwei hinter Michael Knauth (27) vom Limburger HC sein würde. Der sei im
Augenblick "gut drauf" und habe dies im bisherigen Turnierverlauf eindrucksvoll
bestätigt. Schließlich sei es für einen Torwart "ungewöhnlich", mit 19 schon
dazu zu gehören, üblicherweise seien die Kollegen "Mitte oder Ende 20". Zudem
fühlt sich Reitz "voll akzeptiert und integriert", vom ihm zufließenden
"Riesenerfahrungswert" ganz zu schweigen.
Kein verkniffenes Konkurrenzdenken also bei dem Abiturienten, der mit seiner
Rolle "kein Problem" hat und "sehr zufrieden" ist. Was nicht ausschließt,
dass
der gebürtige Frankfurter "schon mal gern" zum Einsatz käme, "wenn auch nur fünf
Minuten". Egal wie: der Hobby-Tennisspieler genießt die "tolle Atmosphäre" des
olympischen Flairs in vollen Zügen. So schwärmt er von der großartigen
Eröffnungsfeier: "Ich bekam regelrecht eine Gänsehaut, als wir einmarschierten,
vorn links Steffi Graf, rechts Boris Becker, und 60.000 Menschen jubelten uns
zu." Auch die eher spartanische Unterkunft im Athletendorf störe ihn und seine
Mannschaftskameraden nicht: "Wenn man ein 5-Sterne-Hotel gewöhnt ist, mag das
was anderes sein. Wir waren beim abschließenden Lehrgang zuletzt wieder in der
Jugendherberge in Limburg untergebracht. Doch das scheint uns ganz gut bekommen
zu sein, so etwas schweißt auch zusammen."
Den Kontakt zu Olympiateilnehmern anderer Sportarten schätzt der Rüsselsheimer
gleichfalls, der jedoch bedauert, dass nur relativ wenige Tickets zum Besuch
anderer Wettkämpfe zur Verfügung stehen. Am Freitag Abend freilich war man
gemeinsam mit den RRK-Hockeydamen bei den Leichtathleten im Olympiastadion, wo
er sich auch am Samstag unter anderem die 100-Meter-Endläufe anschaute.
Vorrang gebührt aber naturgemäß dem weiteren Abschneiden der eigenen Mannschaft.
Auch wenn theoretisch noch etwas kippen könnte ‒ für Christopher Reitz "sind wir
im Halbfinale". Und auch ansonsten ist der Keeper zuversichtlich. "Wir haben
zuletzt zweimal die Champions-Trophy gewonnen und sind auch von daher sicherlich
Favorit auf Gold", prognostiziert er, räumt aber zugleich ein, dass wohl die
"Tagesform" entscheiden werde. Denn: "Von den vier Halbfinalisten kann jeder
jeden schlagen." Mit dem Halbfinale sei das vorher gesetzte Minimalziel auf
jeden Fall erreicht, nun werde das Finale "anvisiert".
Live dabei sein werden in Halbfinale und Finale die Eltern von Christopher, die
gestern anreisten. Auch eine ganze Busladung des RRK wird aufkreuzen,
Heimtrainer Bertie Rauth ist eh vor Ort. Die Nabelschnur zur Heimat ist mithin
nicht gekappt. Zu Freundin Denise, die ebenfalls beim RRK Hockey spielt, steht
Reitz in regelmäßiger telefonischer Verbindung.
Nach Olympia ist für den Rüsselsheimer auch die persönliche Zukunftsplanung
klar. Beruflich möchte er Arzt werden ("vielleicht Sportmediziner oder
Orthopäde"), allzumal er im Olympiastützpunkt Frankfurt "viel mit Ärzten zu tun"
hat. Zunächst muss der 1,84 m große Torwart jedoch am 1. Oktober zum Bund
einrücken, wobei es sein Wunsch wäre, nach der dreimonatigen Grundausbildung in
die Sportförderkompanie in Mainz aufgenommen zu werden. Sportlich peilt Reitz
Ende August in den Niederlanden bei der Junioren-Europameisterschaft den Titel
an, wobei auch Blunck (Hamburg), Mayerhöfer (Bad Dürkheim) und Kurtz aus dem
aktuellen Olympiaaufgebot zum Team gehören. Nächstes Jahr steht in Spanien
("vielleicht wieder in Terrassa") die WM für die Junioren an. In der deutschen
Mannschaft ist Christopher Reitz dabei schon unangefochten die Nummer eins.
Diese Position strebt der 19jährige über kurz oder lang auch in der
A-Nationalmannschaft an. "Bei den nächsten Olympischen Spielen möchte ich nicht
auf der Bank sitzen. Da werde ich rechtzeitig vorher nach oben gucken und
anklopfen", verrät der junge Mann gesunden Ehrgeiz.
Aus "FAZ" vom
04.08.1992:
Reitz bewahrt die
Herren vor einer Blamage
Vor dem Einzug in das
Finale steht für die deutschen Hockeyherren am Mittwoch die hohe Hürde Pakistan.
Die deutsche Auswahl kam in ihrem letzten Vorrundenspiel beim 2:1 gegen
Argentinien nur knapp an einer Blamage vorbei, qualifizierte sich aber als
Gruppenzweiter sicher für die Runde der besten Mannschaften der Welt. "Gut,
dass
wir die Favoritenrolle los sind. Man hat gesehen, dass wir kein Dream-Team sind.
Heute haben höchstens einige Spieler wirklich viel geträumt", sagte
Bundestrainer Paul Lissek.
Die spielstarken
Pakistani erkämpften sich den Sieg in der Gruppe B durch einen begeisternden
6:1-Erfolg gegen Spanien. "Wenn sich die Pakistani in ihren Rausch spielen, sind
sie schwer zu stoppen", urteilte Lissek nachdenklich als Beobachter auf der
Tribune. Weltmeister Niederlande belegt nach dem 6:0 über Malaysia Rang zwei und
trifft im zweiten Halbfinale auf Australien. Der Weltmeister von 1986 hatte
schon am Vormittag Olympiasieger Großbritannien 6:0 besiegt und sich Rang eins
in der Gruppe A gesichert.
Gegen die defensiv
eingestellten Argentinier trafen der Mülheimer Carsten Fischer (56.) und der
Gladbacher Michael Hilgers (61.) nach dem überraschenden 0:1 durch Ferrara (44.)
noch zum 2:1-Sieg. Der erstmals in diesem Turnier aufgebotene Rüsselsheimer
Ersatztorwart Christopher Reitz bewahrte die deutsche Mannschaft vor einem
höheren Rückstand, als er in der 52. Minute einen Siebenmeter von Geneyro
abwehrte.
"Schöner gewinnen kann man gar
nicht mehr"
Hockeyherren bejubelten Einzug ins
Finale
Von Bernd-Dieter
Jenrich (aus "Main-Spitze" vom 07.08.1992)
Sie feierten und ließen
sich von den auf den Kunstrasen von Terrassa stürmenden Fans feiern, als ob
ihnen soeben schon Gold zugeflogen wäre. Doch das kann erst am Samstag geschürft
werden, wenn es ins Finale gegen Australien geht. Der Jubel im deutschen
Hockeylager war indes begreiflich. Denn gegen die Stock-Artisten aus Pakistan
gewinnt man nicht jeden Tag, allzumal nicht beim olympischen Gipfeltreffen. "Das
ist absolut erste Sahne", jubelte Kapitän Volker Fried (Köln) nach dem in der
Verlängerung errungenen 2:1-Triumph. Das "Gefühl" der Endspielteilnahme kenne er
zwar schon von 1984 und 1988, als es jeweils Silber gab, doch "mit dieser
Mannschaft" sei es "ein ganz besonderes".
Im Mittelpunkt der
Ovationen stand naturgemäß der zweifache Torschütze Carsten Fischer (Mülheim),
der mit seinem kahlen, schweißnassen Schädel um die Wette strahlte. Zunächst
hatte der 30jährige die von Khalid vorgelegte 1:0-Führung der Pakistani (27.)
mit einem Penalty egalisiert (46.), um den es zuvor einige Aufregung gegeben
hatte. Denn unmittelbar davor hatte Sven Meinhardt (Mülheim) im Anschluss an die
erste Strafecke für das deutsche Team zum 1:1 vollstreckt.
Doch bevor der Ball die
Torlinie überschritten hatte, war der Pfiff des Unparteiischen ertönt: Er hatte
bemerkt, wie die Kugel von einem Pakistani mit dem Fuß abgewehrt worden war. So
gab es, dem Reglement entsprechend, einen Penalty. Mit den genannten Folgen
durch Fischer, der dabei "normalerweise" die andere Ecke bevorzugt, "doch
diesmal habe ich den Ball halt auf der anderen Seite durchs Netz geschossen".
Der Arzt war es denn
auch, der in der zwölften Minute der Verlängerung die dritte Strafecke für den
DHB mit einem knallharten Ballermann zum verdienten Sieg verwandelte. Und später
lapidar meinte: "Silber habe ich schon zweimal (1984 und 1988), diesmal holen
wir Gold - ich hoffe es zumindest." Darin ist sich die Mannschaft im Grunde
einig, von der allgemeinen Euphorie waren selbst die "Edelreservisten" gepackt.
"Ich kann es noch gar nicht richtig fassen", freute sich etwa der Alzeyer
Christian Mayerhöfer vom Bad Dürkheimer HC. Und Ersatzkeeper Christopher Reitz
vom Rüsselsheimer RK, der sich zunächst auf dem Platz mit seiner angereisten
Mutter in den Armen lag, meinte: "Schöner gewinnen kann man gar nicht mehr.
Jetzt wollen wir auch Gold, denn wer gibt sich im Finale schon mit Silber
zufrieden."
Gar so weit mochte sich Paul Lissek
denn doch nicht aus dem Fenster lehnen, der seinen Schützlingen eine
"Riesenleistung" bescheinigte, "überhaupt soweit gekommen zu sein". Alles andere
sei jetzt eine "Zugabe". Immerhin prognostizierte der Bundestrainer,
dass die
Aufgabe im Endspiel zwar nicht leichter werde als gegen Pakistan; indes:
"Australien liegt uns eher, weil die Mannschaft einen ähnlichen Stil pflegt wie
wir." Wobei der 44jährige zusätzlich erneut auf die Strafeckenkünste seiner
Mannen hofft. Denn da gebe es noch einige Variationen der Sorte "Hyper, Mega und
Atom".
"Wir haben hart für das
Ziel gearbeitet"
2:1-Finalsieg über
Australien bescherte Hockey-Team nach 1972 wieder Olympia-Gold
Von Andreas Hardt (aus "Main-Spitze"
vom 10.08.1992)
Am Ende, nach ihrem
kollektiven Strip, trugen sie nur noch Shorts und Goldmedaille. Andi Keller sang
mit bluesig heiserer Stimme vor: "We are the Champions: Und das Publikum im
Deutschen Haus huldigte ihnen mit wachsender Begeisterung: "Dream Team, Dream
Team." Die deutschen Hockey-Herren hatten ihren Traum erfüllt, durch das 2:1
über Australien wurden sie Olympiasieger. Nun feierten sie ausgelassen. "Noch
habe ich das alles gar nicht realisiert", sagte Bundestrainer Paul Lissek.
Gratulation für
Christopher Reitz und Eva Hagenbäumer |
Michael Hilgers ließ mit
seinen Toren in der zweiten und 59. Minute Wünsche in Erfüllung gehen. Der
australische Ehrentreffer durch Greg Corbitt (65.) war nur Ergebniskorrektur.
Vollkommen überlegen hatten die Deutschen gespielt, der frühe Führungstreffer
vereinfachte die Aufgabe erheblich. 20 Jahre nach dem Olympiasieg von München
erreichte damit zum zweiten Mal eine deutsche Hockeymannschaft die höchsten
olympischen Weihen.
Im Hintergrund stand
Calle Fischer, der Libero. Er feierte mit sich und engen Freunden, so
alkoholhaltig wie es seine Diabetes zuließ. "Ein Traum hat sich erfüllt", meinte
der überragende Libero, der 1984 und 1988 schon zweimal Silber gewonnen hatte.
"Wir haben so hart für dieses Ziel gearbeitet, uns vorbereitet wie nie, und
jetzt haben wir es tatsächlich geschafft." Fischer, der seine internationale
Karriere beenden wird, war mit acht Toren nicht nur bester deutscher Torschütze.
Der kahlköpfige Letzte
Mann war die Führungspersönlichkeit einer Mannschaft, die zielbewusst,
selbstbewusst und realitätsbewusst ihren Weg gegangen ist. Die vor 18 Monaten
einen "Spieleraufstand" gegen Trainer Klaus Kleiter anzettelte, dem das Stigma
eines Verlierers anhing. Lissek wollten sie, nur mit dem Limburger, der noch nie
ein Endspiel verlor, schien ihnen die Traum-Verwirklichung zu gelingen. "Pauli,
Pauli", forderten im Deutschen Haus Fans und Spieler den Meister der Träume auf
die Bühne. Paul Lissek aber blieb beiseite. Er freute sich innerlich, umarmte
diesen und jenen, philosophierte dabei über Verletzungspech und Videoanalyse und
rang sich schließlich zu der Erkenntnis durch: "Ich glaube, wir sind wirklich
die Besten."
Seit den Zeiten der
großen Inder hat keine Mannschaft mehr diesen Sport derartig beherrscht wie die
deutschen Herren. Binnen 18 Monaten holten sie die Europameisterschaft und zwei
Siege bei der Champions-Trophy, gewannen bis auf eines jedes Turnier, an dem sie
teilnahmen. "Das ist mir eigentlich alles viel zu schnell gegangen", sagte
Lissek, der Systematiker, der Mannschaften eigentlich über Jahre aufbaut. Vier
Jahre hat er jetzt Zeit. Mit dem Schlusspfiff von Terrassa begann die nächste
Olympiade, Deutschland ist durch den Sieg für Atlanta 1996 bereits qualifiziert.
Neben Fischer hat definitiv Michael Hilgers seinen Rücktritt angekündigt.
Michael Metz, Andreas Keller und Kapitän Volker Fried werden ihnen folgen.
Fritz Schmidt gratuliert
Christopher Reitz
Rüsselsheims
Olympiateilnehmer von Spielen hellauf begeistert
Von Jürgen Hüpohl (aus "Main-Spitze"
vom 11.08.1992)
Sechs Rüsselsheimer
Medaillengewinner, niemand hätte vor den Olympischen Sommerspielen von Barcelona
damit gerechnet. "Wenn mir einer vor ein paar Monaten gesagt hätte, ich werde
Olympiasieger, hätte ich ihn für verrückt erklärt", strahlt Torwart
Christopher Reitz. Mit einem leuchtenden Blick schaut er auf seine
Goldmedaille, die um seinen Hals baumelt. "Die deponiere ich vorsichtshalber in
einem Safe. Alles andere wäre zu riskant."
"Sechs Medaillen von
den Olympischen Spielen, 1
mal Gold und 5 mal Silber", das bringen sechs RRK-Hockeyspieler/innen von den Olympischen Sommerspielen 1992
in Barcelona mit nach Rüsselsheim (Susanne Müller, Britta
Becker, Christopher Reitz, Bianca Weiß, Eva Hagenbäumer,
Tanja Dickenscheid) |
Mit gerade erst 19
Jahren hat der Abiturient etwas geschafft, wovon andere ihr Leben lang träumen.
Ein Glückwunsch reihte sich gestern auf dem Flughafen an den anderen. Äußerst
herzlich gratulierte auch der Rüsselsheimer Olympia-Gewinner Fritz Schmidt, der
1972 in München zum Hockey-Sieg beigetragen hatte.
"Ich habe im Hunsrück
das Endspiel im Fernsehen gesehen und mich danach zugerichtet", berichtete Fritz
Schmidt und macht dabei eine Trinkbewegung in Richtung Mund. Der vielgelobte
Nachwuchs-Keeper Reitz, in Barcelona beim 2:1-Sieg gegen Argentinien eingesetzt,
überzeugte prompt (unter anderem hielt er einen Siebenmeter) und kann sein Glück
"noch gar nicht fassen". Die beiden vergangenen Nächte hatte das Gold-Team
durchgefeiert, "Olympiaringe" unter den Augen beweisen es. "Da blieb keine Zeit
zum Verarbeiten des Erfolges". Aber Olympia, das "war einfach ein wunderschönes
Erlebnis".
Geradezu begeistert
sprechen die fünf Rüsselsheimerinnen von dem "Fest der Jugend". Der spontane
Frust nach dem verlorenen Finale gegen Spanien (1:2) ist mittlerweile ein wenig
verflogen. "Wenn man im Endspiel steht, dann will man eben gewinnen", erklärt
Tanja Dickenscheid, die in allen Begegnungen durchspielte. "Bei der
Siegerehrung habe ich schon auf die Spanierinnen geschielt. Aber jetzt kann ich
mich freuen über die Silbermedaille". Mit ihrer eigenen Leistung war die
Gau-Algesheimerin zufrieden. "Nach schlechtem Beginn habe ich mich gesteigert
und an Selbstvertrauen gewonnen." Ihre Vorstellungen über die olympischen Spiele
seien weit übertroffen worden. "Es war überwältigend".
So sieht es auch Eva
Hagenbäumer. Über ihre geringen Spielanteile (nur in zwei Halbzeiten kam sie
zum Einsatz) freilich war sie enttäuscht. "Ich finde, der Trainer hätte häufiger
wechseln müssen. Manche Spielerinnen schienen gegen Ende platt." Das Thema
Nationalmannschaft ist für die 25jährige dennoch noch lange nicht abgehakt.
Obwohl sie zuletzt Rücktrittsgedanken geäußert hatte.
Eine Portion Enttäuschung stand
Britta Becker ins Gesicht geschrieben. Auf dem Rückflug viel ihr beim Lesen
eines kritischen Artikels in einer Frankfurter Tageszeitung fast das Brötchen
aus dem Hals. Ihre Leistung beim Turnier in Spanien war in mehreren Medien
bemängelt worden. "Da wird von manchen mit zweierlei Maß gemessen. Ich glaube,
dass ich meine Aufgabe doch erfüllt habe. Sicher habe ich weniger Alleingänge
gestartet als sonst", wehrt sich die 19jährige, "aber ich war nicht müde, wie's
behauptet wurde". Der Endspiel-Frust ist bei der Rüsselsheimerin allerdings
verflogen, die positiven Olympia-Erinnerungen überwiegen eindeutig.
Im Gegensatz zu Britta Becker musste
Torfrau Bianca Weiß regelmäßig die Bank drücken. Nur im Spiel gegen
Kanada (4:0) wurde sie eingewechselt. Doch mit dieser Rolle konnte sie wie in
der Vergangenheit gut leben. In Zukunft freilich könnte die Wahl-Mainzerin gar
zur Stamm-Keeperin avancieren. Denn Susi Wollschläger will ihre Karriere
beenden. "Susi hat mir im Bus das Trikot mit der Nummer eins überreicht. Das
fand ich super", schwärmt Bianca Weiß, die etwas bedauert, dass die "Sportstätten
in Barcelona so weit auseinander lagen und es schwer war, Sportler
kennenzulernen". Immerhin reichte es zu einem "Hallo" mit Boris Becker.
"Es entstehen nur flüchtige
Gespräche", weiß Susanne Müller. Die Hanauerin zeigt sich ansonsten
angetan von Olympia, wie keine Zweite. "Das werde ich nicht vergessen." |