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Über Mitglieder des
RRK (1993)
Britta Becker |
BRITTA BECKER
Hockey-verrückt und
doch nachdenklich
Von Hanspeter Detmer
(aus "Deutsche Hockeyzeitung" vom 23. Dezember 1993)
Eigentlich müsste Britta Becker
derzeit mit sich und der Welt rundum zufrieden sein. Schließlich hat keine
deutsche Hockeyspielerin in diesem Jahr mehr Medaillen und Auszeichnungen
erhalten als sie. Zunächst wurde Britta mit dem Damen-Nationalteam
Hallen-Europameisterin. Dann scheiterte sie mit ihrem Rüsselsheimer RK zwar bei
der Verteidigung des Hallen-Europacups am Berliner HC. Doch eine Woche später
war die Rüsselsheimer Bilanz wieder in Ordnung, als Britta mit dem RRK den
deutschen Hallen-Meistertitel zurückeroberte.
Britta Becker und ihr Rüsselsheimer
RK − ein Kapitel für sich. Hier ist sie zu Hause, hier fühlt sie sich geborgen.
Ist es da ein Wunder, dass sie Wesentliches zum größten Erfolg in der
Hockey-Geschichte ihres Vereins beitrug? Mit ihrem Ausgleichstor 14 Minuten vor
dem Abpfiff des Finals um den Feldhockey-Europacup der Landesmeister gegen den
Amsterdamschen HBC erzwang sie Pfingstsonntag in Brüssel die Entscheidung durch
Siebenmeterschießen. Nervenstark eröffnete Britta den Reigen der Scharfschützen
mit Erfolg, was die Holländerinnen wiederum Nerven kostete. Nach 18-jähriger
niederländischer Alleinherrschaft trug sich der Rüsselsheimer RK als zweiter
deutscher Verein bei den Damen in die Europacup-Siegerliste ein.
Doch war die Becker'sche
Medaillenjagd damit noch nicht beendet. Natürlich war Britta dabei, als sich
Deutschlands Damen im Juli in Philadelphia mit einem Turniersieg bei der
WM-Qualifikation für die WM-Endrunde 1994 in Dublin durchsetzten. Und in
Terrassa bei der Juniorinnen-WM gab es wenigstens nach dem unglücklich
verpassten Finaleinzug noch Bronze und für Britta noch ein zusätzliches
Trostpflaster: Am Ende wurde sie zur besten Spielerin der
Nachwuchs-Weltmeisterschaft gekürt.
Abgeschlossen hat Britta ihre
Siegesserie schließlich mit der erfolgreichen Verteidigung des deutschen
Feld-Meistertitels, wobei sie ihrem Rüsselsheimer RK gleich zu Spielbeginn mit
einem verwandelten Siebenmeter den Weg zum Erfolg ebnete.
Das alles dürfte eine ausreichende
Begründung dafür sein, dass meiner Meinung nach Britta Becker Deutschlands
Hockeyspielerin des Jahres 1993 ist.
Kritik tat weh
Warum aber war Britta am Ende eines
unvergleichlichen Erfolgsjahres eher nachdenklich, wenn nicht gar traurig?
Nach der
Juniorinnen-Weltmeisterschaft hat sie sich geärgert über einige Kritiken: Sie
hätte an Dynamik, Kreativität, spielerischer Spontaneität eingebüßt. "Das hat
mir weh getan", sagt sie, "denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich heute
viel besser spiele als vor zwei oder erst recht vor vier Jahren zu Beginn meiner
Karriere im A-Nationalteam."
Britta begründet ihre
Selbsteinschätzung: "Als ich Mitte 1989 meine ersten A-Länderspiele bestritt,
war ich eine völlig unbekümmerte 16-jährige Selbstdarstellerin, die aus lauter
Freude über jede Berufung durchaus auch für die Kulisse spielte. Inzwischen aber
bin ich nicht mehr die kleine Britta, der das Team und der Trainer jeden
Eigensinn verzeiht. Ich habe, auch wenn ich immer noch jung an Jahren bin, eine
so große internationale Erfahrung gesammelt, dass ich jetzt gezwungen bin, diese
verantwortlich zum Wohle des Teams, egal ob im Verein oder in der
Nationalmannschaft, einzubringen. Dribblings, die früher gut für mich waren,
müssen heute nicht gut fürs Team sein. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass
ich heute für das Team, in dem ich spiele, wertvoller bin, als ich das
vergleichsweise vor vier oder vor zwei Jahren war."
Das ist ein klares Wort einer
Athletin, deren Kritiker-Umfeld begreifen muss, dass sie vom naiven Jung-Mädchen
zu einer inzwischen 20 Jahre jungen Frau gereift ist. Wobei es allerdings für
relativ Außenstehende nicht einfach ist, diese Erfahrung zu machen. Es braucht
schon einige Zeit, bis Britta gegenüber etwa einem Journalisten so viel
Vertrauen entwickelt, bis sie sich in dieser Form offenbart. Wobei man sagen
muss: Grundsätzlich hat sie, zum Schutz ihrer Persönlichkeit, mit ihrer
Zurückhaltung recht.
Britta Becker als Lenkerin des Teams
− wenn es ums Ballverteilen und um die Rhythmusbestimmung geht, sind
Soloeinlagen selten gefragt Und dennoch: Ein bisschen Hockey-Göre, die tut, was
ihr gerade einfällt, sollte sie dann und wann doch noch einmal sein. Doch
sogleich stellt sich die Frage: Ist es Britta überhaupt noch möglich, die
Selbstdisziplin abzuschütteln und der Spontaneität freien Lauf zu lassen?
Knapp 90 Pflichtspiele hat Britta
Becker in diesem Jahr bestritten. In der letzten Hallensaison wurde sie von
Rückenschmerzen geplagt und musste zwischen den Spielen mehr Krafttraining
absolvieren als ihre brillante Stocktechnik auf dem laufenden halten. Würde sie
auf gezieltes Kompensationstraining verzichten, haben ihre Ärzte vorausgesagt,
dass sie nur noch zwei Jahre Hockey spielen könnte. Auch humpelte sie zur
Jahresmitte mit dem Verdacht auf einen Ermüdungsbruch, der sich dann
glücklicherweise nur als Überstrapazierung einer Sehne im Fuß herausstellte.
Über die Probleme hat ihr bislang die
Liebe zu ihrem Sport hinweggeholfen: "Ich bin total Hockey-verrückt." Aber es
sollten ihr angesichts der Tatsache, dass Britta trotz ihrer laut offizieller
Statistik bereits 98 Länderspiele erst 20 Jahre alt ist, auch andere helfen.
Ihre Trainer sind gefordert. Denn ich würde diesem lauteren Charakter gerne noch
öfters meine Stimme geben, wenn es darum geht, die Hockeyspielerin des Jahres zu
wählen.
Der schwere Weg vom Talent zum Star
Das Problem der
RRK-Spielerin Britta Becker / 20 Jahre und schon 96 Länderspiele
Aus "Main-Spitze"
vom 28. August 1993
sid. -- Sie ist 20
und hat schon fast alles erreicht: Weltmeisterin mit den Juniorinnen, Silber bei
den Olympischen Spielen, EM-Zweite, WM-Teilnahme, Deutsche Meisterschaften,
Europacupsiege, 98 Länderspiele. Britta Becker vorn Rüsselsheimer RK gehört seit
1988 zum erweiterten Kader der Nationalmannschaft, von ihrem Spiel werden wahre
Wunder erwartet. Britta Becker gilt als größtes Talent im deutschen Damenhockey
‒ seit fünf Jahren.
Bei der zur Zeit
laufenden 4. Champions Trophy im Amsterdamer Vorort Arnstelveen gönnte
Bundestrainer Hänel der Mittelfeldspielerin nach sieben Halbzeiten im Spiel
gegen Spanien (3:0) die erste Pause. Zu wichtig ist für das Team, und immer ist
es möglich, dass ihr mit einer Einzelaktion Entscheidendes gelingt. Auch wenn
sie bei dem Turnier der sechs weltbesten Teams bislang nicht ihr optimales
Leistungsvermögen erreicht hat.
Nach Barcelona hat
der Bundestrainer sie vom rechten ins zentrale Mittelfeld versetzt und die
20-Jährige damit zum spielerischen Kopf des Teams befördert. Doch die Umstellung
vom Supertalent zum Superstar ist nicht leicht. Gleichzeitig profiliert sich die
Leverkusenerin Melanie Cremer immer mehr als "Kopf" des Mittelfeldes, fordert
Bälle, treibt das Spiel an und war auch beim Gewinn des
WM-Qualifikationsturniers in Philadelphia/USA vor vier Wochen die auffälligste
Spielerin.
"Es ist schwieriger
für mich in der Mitte. Die Räume sind sehr eng, es gibt kaum Möglichkeiten zur
Entfaltung", sagt Britta Becker. Dennoch versichert sie, mit ihrer Leistung
zufrieden zu sein, versucht stets, sich eigene Stärke zu suggerieren. Doch
mittlerweile räumt Hänel ein, dass er vor der WM im kommenden Juli in Irland
über die Aufstellung "noch einmal nachdenken will".
Schon Mitte
September muss Britta Becker bei der Juniorinnen-WM auf dem olympischen
Hockeyfeld von Terrassa wieder Höchstleistungen bringen. Zeit, sich von den
ständigen Anstrengungen zu erholen, bleibt kaum. "Die ewige Belastung spüre ich
schon", sagt sie. "Aber Hockey macht mir trotzdem Riesenspaß." Deshalb auch die
Lust, an der U21-WM teilzunehmen: "Der Titelgewinn 1989 in Kanada war das
Allergrößte. Bei den Juniorinnen muss ich vielleicht auch mehr Verantwortung
tragen." Scheinbar hat sie die ihr zugedachte verantwortungsvolle Rolle im
A-Team innerlich noch nicht ganz akzeptiert.
Die eher,
introvertiert wirkende Rüsselsheimerin, die einen Studienplatz für
Kommunikationsdesign anstrebt, wirkt zurückhaltend, ist kein Typ der lauten
Worte. Eher ist sie ein "Opfer" ihres technischen Könnens, das die Erwartungen
stets auf höchster Ebene hält. Bei allem Talent und fünf Jahren Hockey,
auf höchstem Niveau darf man aber eines nicht vergessen: Britta Becker ist
gerade einmal 20 Jahre alt. |