RÜSSELSHEIM. Wenn sie es doch nur
könnte, würde Britta Becker schon heute "zu gerne wissen, wie es am Sonntag
aussieht". Zur eigenen Beruhigung. Es wird ein sentimentaler Abschied vom Hockey
in Rüsselsheim, der zugleich die Kindheit, die Jugend und den Aufstieg zum Star
bedeutete. Rund 1.200 Treffer hat sie seit 1982, als die damals Neunjährige in
der Mädchenmannschaft begann, für den Rüsselsheimer Ruder-Klub erzielt. Als
seine Tochter Britta innerhalb von acht Spielzeiten die Fünfhundert-Tore-Marke
erreichte, hat Vater Kurt Becker aufgehört, die Statistik fortzuschreiben.
Es schien ewig so weiterzugehen. Mit
Britta Becker, erst im Sturm, dann im Mittelfeld, sammelte der RRK Titel um
Titel im Hockey: neun deutsche Meisterschaften auf dem Feld und in der Halle,
dazu drinnen und draußen noch Europapokale. Der Abschied von Britta Becker
könnte auch den Abschied vom Titelabonnement bedeuten. Mit einem letzten großen
Hallo bei der deutschen Hallenhockey-Endrunde an diesem Wochenende in
Rüsselsheim. Mit Tränen gewiss, mit dem Titel für den RRK vielleicht. Der
Berliner HC, Klipper Hamburg und Rot-Weiß Köln sind ja auch noch dabei.
Als Britta ein Teenager war, galten
ihr die Schlagzeilen in der Lokalzeitung. Das Wunderkind, das Multitalent, stand
da in großen Lettern. Heute trägt sie selbst ein Kind auf dem Arm, die gut
einjährige Tochter Emily. Beim Bäcker sagen sie inzwischen Frau Becker, Frau
Kerner kommt auch schon mal vor. Frau Becker-Kerner bitte schön; obwohl es
korrekt wäre, diese Aufforderung wird niemand von ihr zu hören bekommen.
Im August ist sie ihrem Mann, dem
Fernsehmoderator Johannes B. Kerner, nach Hamburg gefolgt. "Das war für sie der
eigentliche große Schnitt", sagt er. Seitdem sind sogar die Heimspiele des RRK
für Britta Becker zu Auswärtsspielen geworden. Erst mit der Bahn, dann mit dem
Flugzeug wurde die Distanz überbrückt. Und Emily ist immer dabei. RRK-Trainer
Berti Rauth, in Personalunion auch Bundestrainer, hat die Situation kommen
sehen, seine beste Spielerin gen Hamburg ziehen lassen zu müssen. Er hat um sie
gekämpft, und er rechnet ihr die "Riesenanstrengungen mit den Reisen" hoch an:
"Sie haben es sich nicht leicht gemacht." Sie hätte ja schon früher zum Großflottbeker THGC nach Hamburg wechseln können, aber sie mochte
"sich nicht
verdrücken, als die Mannschaft gerade ein kleines Tief hatte".
Hessischer und Süddeutscher Vizemeister, aber dann für Britta Becker und
die A-Mädchen des RRK erstmals die Deutsche Meisterschaft 1986 in der
Halle (hinten: Trainer Berti Rauth, NN, Stefanie Niggemann,
Britta Becker, Angela Vögele, Katrin Schmitt, Alexandra Kaiser, Betreuer
Kurt Becker; vorn: Angela Müller, Sinika Eichner, Sandra Wohlfahrt, Ruth
Zinke, Ramona Münze, Sandra Richter) |
Erst die Mannschaft, dann ich. Das
hat über Jahrzehnte gegolten und gilt immer noch. "Sie betäubt sich mit der
Möglichkeit, einen ganz tollen Abschied zu haben." Kerner kennt seine Britta, er
weiß, wovon er redet. Sie betäubt sich mit dem allabendlichen Training in diesen
Tagen und beruhigt sich damit, dass es ja eine Trennung im Guten ist, aus
"familiären, nicht aus Hockeygründen". In ihrem Klub werden sie
weiter von ihr schwärmen, von ihrer Geradlinigkeit, ihrem Talent, das eine
seltene Verbindung mit ihrem Fleiß einging. "So etwas habe ich bislang nicht
angetroffen", sagt Rauth, der sie einst bei der Talentsichtung in der
Grundschule entdeckte. Seine Stimme klingt so, als würde er dergleichen nie
wieder antreffen.
Demnächst also Großflottbek, hinter
Klipper nur die zweite Kraft im Hamburger Damenhockey. "Die hatten dort gar
nicht gewagt", sie anzusprechen. Aber Britta Becker findet dort vor, was sie aus
Rüsselsheim kennt: junge Spielerinnen, denen die Zukunft gehört.
Sobald Britta Becker etwas anpackt,
will sie es hundertprozentig machen. Eigentlich. Die drei Semester
Rechtswissenschaften an der Frankfurter Uni liefen nebenher, beim Gedanken an
die momentane Kombination Sport und Kunst ("ich glaub', ich bin im sechsten
Semester") stört sie schon der Gedanke, dass ihre Kommilitonen "die Zeit besser
genutzt haben" als sie selbst vor lauter Hockey.
Heute steht die deutsche
Meisterschaft auf der Tagesordnung, morgen die Olympischen Spiele und
fortwährend Emily. Natürlich könne sie die Tochter auch häufiger anderen als den
Eltern oder dem Mann anvertrauen, "aber so soll es ja nicht sein, da will ich
mich schon selbst drum kümmern". Da kommt wieder der Mannschaftskapitän zum
Vorschein, der ungern delegiert, Arbeit abschiebt. Aber "Zeit haben" ist ein
Wunsch, den sie in reiferem Alter für sich entdeckt hat. Auch durch die
Begegnung mit dem Fernsehmoderator, "der so wahnsinnig viel weiß", sie wiederum
erkennt ihre Lücken, wenn es um Theater, Kunst und Literatur geht.
Aber hier und heute in Rüsselsheim
geht es um Hockey, darum, die Ärmel aufzukrempeln. Trainer Berti Rauth hat die
Grippe erwischt. Sie leitet das Training, Berti hat einen Zettel mit den
Aufgaben geschrieben. Noch ist "alles so normal". Britta wundert sich über sich
selbst. Die Rüsselsheimerinnen scharen sich um ihre Britta Becker, die von der
gleichen Agentur vermarktet wird wie Franziska van Almsick. Die Mitspielerinnen
haben es aus der Zeitung erfahren. Genauso wie die Sache mit den lukrativen
Werbeverträgen, den Fernsehauftritten. Weder Geld noch Familienstand haben sie
in diesem Kreis verändert. Beim Abschlusstraining ist es wie immer, was Britta
Becker wiederum "komisch" findet. Sie spürt mehr, als dass sie es weiß, dass
morgen alles anders wird.
Eine Zugabe ist Britta Becker nach
dem großen Abschied vor eigenem Publikum noch sicher: Beim
Hallenhockey-Europacup am letzten Februar-Wochenende in Cambrai (Frankreich)
spielt sie noch ein letztes Mal für den Titelverteidiger Rüsselsheimer RK. Und
dann? "Ich hoffe, dass ich oft besucht werde." So wird es kommen. In Hamburg.
Mit schönen Grüßen aus Rüsselsheim.
Von
Christoph Plass (aus "Die Welt " vom 02.03.2000)
Aufbruchstimmung
beim Großflottbeker THGC. Der Damen-Bundesligist hat für die Saison 2000 alles
getan, um die Machtverhältnisse im Hamburger Hockey zurechtzurücken. Im Landhaus
Scherrer an der Elbchaussee wurden am Dienstagabend der neue Superstar, die
Weltauswahlspielerin Britta Becker, und Michael Behrmann, der neue Coach des
Teams, vorgestellt.
Klubvorstand Roderich Warnholtz
begrüßte die 26-jährige Rüsselsheimerin, ihre kleine Tochter Emily und Ehemann
Johannes B. Kerner in der Flottbeker Hockeyfamilie. Er erinnerte daran, dass die
Nationalspielerin 1990 auf der Anlage des GTHGC mit ihrem Heimatverein ihre
erste Deutsche Meisterschaft gewonnen hat. "Damals", so Warnholtz, "hätte ich
nie gedacht, dass Britta einmal bei uns spielen wird."
Die Spielmacherin und
Strafeckenspezialistin bekam das komplette Flottbek-Dress und das neue Trikot
mit der Nummer 24 überreicht. Den Kleiderstapel übernahm sofort Ehemann Kerner.
Der Fernsehmoderator ist bei den Hockeyauftritten seiner Frau fast immer
zugegen, hält sich aber im Hintergrund. Das Paar wird in Hockeykreisen so
geschätzt, weil es trotz des Prominentenstatus völlig unkompliziert ist. Britta
Becker selbst, die es − schon vor ihrer Beziehung mit dem Fernsehstar − als
erste und bisher einzige in der Randsportart Hockey zu lukrativen Werbeverträgen
gebracht hat, wird von ihren Mitspielerinnen als Star ohne Allüren beschrieben.
Die Vorstellung von Trainer Michael Behrmann geriet fast zur Nebensache. Dabei
ist dem Coach eine wichtige Rolle zugedacht in der sportlichen Entwicklung des
Vereins. "Wir wollen niemanden unter Druck setzen", beruhigte Warnholtz den
Bundesliga-Neuling, um anzufügen: "Aber der GTHGC wird nächstes Jahr 100 Jahre −
da wäre ein Titel nicht schlecht."
Für Behrmann, der über keinerlei
Erfahrungen in der Eliteliga des Deutschen Hockeys verfügt, spricht die Arbeit
bei seinem Heimatverein Wacker München und das Engagement als Trainerassistent
für die Deutsche Juniorinnen-Nationalmannschaft. Wacker − eigentlich nur dritte
Kraft in der Isarmetropole − hat durch die exzellente Jugendarbeit der letzten
Jahre im weiblichen Nachwuchsbereich die beiden Vorzeige-Clubs Rot-Weiß und
Münchner SC überholt. "Sicher ist es für mich ein großer Schritt in die
Bundesliga", gibt der 33-Jährige zu, "der größere aber ist, dass ich jetzt
hauptberuflich als Trainer tätig bin. Bislang habe ich die Hockeyaktivitäten
neben meinem Vollzeit-Job im Computerbereich einer Versicherung betrieben."
Behrmann, der vor zwei Jahren eine Anfrage aus Flottbek noch aus privaten
Gründen ablehnte, hofft auf etwas mehr Zeit für seine Hobbys, zu denen Joggen
und Skifahren gehören.
Am Rande wurde im Landhaus Scherrer
auch der neue Klubmanager Gernot Goldenbaum vorgestellt. Er übernimmt die
organisatorischen Aufgaben für die drei Abteilungen des GTHGC − Golf, Hockey und
Tennis −, die zuvor der scheidende Hockey-Cheftrainer Axel Roeb in
Doppelfunktion zu erledigen hatte. Eine erste große Aufgabe für Goldenbaum wird
wohl die Realisierung des gerade beschlossenen, drei Millionen Mark teuren
Klubhaus-Neubaus sein.