Von Martin Krieger
(aus "Deutsche Hockey Zeitung" vom 21. August 1997)
Nach über einem
Jahr ist das Ereignis noch so gegenwärtig, dass die Antwort wie aus der Pistole
geschossen kommt: "13 Monate und drei Tage", so Björn Emmerling auf die Frage,
wann die leidige Angelegenheit denn eigentlich ihren Anfang genommen habe.
Keine Frage, der
14. Juli 1996 wird dem 21 Jahre alten Hockeyspieler des Rüsselsheimer
Ruder-Klubs (RRK) wohl noch geraume Zeit im Gedächtnis haften. Denn nach zuvor
vier ereignisreichen Monaten, in denen Emmerling quasi von null auf hundert ins
16 Spieler umfassende Aufgebot des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) für die
Olympischen Spiele in Atlanta hineingerutscht war, sollte dieser Tag alles
verändern − für 13 Monate und drei Tage.
Auch beim DM-Halbfinale am 19. Juli 1997 in
Bad Dürkheim blieb Björn Emmerling nur die Rolle des Rüsselsheimer Aushilfscoachs
(Daniel Radmann, Björn Emmerling, Holger Klein) |
Sechs Tage vor dem
ersten Turnierspiel gegen Spanien hatte Bundestrainer Paul Lissek seine
Mannschaft zu einer ersten Übungseinheit ins Hockeystadion zu Atlanta
einbestellt. Ein ebenso normaler Vorgang wie die Tatsache, dass Björn Emmerling
zu einem Sprint nach dem Ball ansetzte. Was dann genau passiert ist, vermag der
Sportstudent nicht zu sagen: "Irgendwie habe ich mir das Knie verdreht", so
Emmerlings vage Erinnerung. Dem ersten Gedanken, dass es schon nicht so schlimm
sein würde, folgte das prompte Anschwellen des Gelenks. "Die Ärzte haben auf
Innenmeniskus oder eine Zyste getippt", so Emmerling, der seinen Traum von
Olympia wie einen Luftballon zerplatzen sah.
Doch der ehemalige
Spieler des GV Gau-Algesheim, der im Alter von 15 Jahren von RRK-Trainer Berti
Rauth zu einem Wechsel nach Rüsselsheim überredet worden war, ließ sich nicht so
einfach unterkriegen. Im Spiel gegen Pakistan stand er in der
Anfangsaufstellung, gegen Argentinien und die USA wurde er eingewechselt. "Gegen
die Amis bin ich ausgerutscht, und danach ging nichts mehr", sagt Emmerling,
ohne deshalb das Erlebnis Atlanta gänzlich zu verdammen: "Sportlich war es für
mich alles andere als schön, aber sonst ein Traum."
Zurück in
germanischen Gefilden, war zunächst einmal Urlaub und Ruhe angesagt. Doch als
sich nach drei Wochen keine Besserung einstellte, entschloss sich Björn
Emmerling am 27. August zu einer Kniespiegelung in Frankfurt − ohne erkennbaren
Erfolg. "Als es sieben oder acht Wochen später noch immer nicht besser geworden
war, habe ich unabhängig voneinander drei Arzte aufgesucht, die mir bei
teilweise abweichenden Diagnosen alle zu einer weiteren Operation an
verschiedenen Orten geraten haben", sagt Emmerling. Die Entscheidung, den
Eingriff letztendlich Anfang Dezember im Ostseebad Damp 2000 vornehmen zu
lassen, beruhte auf einem familiären Band: Alex Straßburg, Orthopäde in Hadamar
(bei Limburg), riet als Schwager von Emmerlings Mutter zu Damp und war dort auch
bei den beiden unumgänglichen Operationen dabei. Zuerst wurde ein Großteil der
entzündeten Gelenkschleimhaut entfernt, danach das ganze noch einmal gespült.
Drei Monate durfte
Emmerling das Knie danach nicht belasten, um den inneren Heilungsprozess nicht
zu gefährden. Mit den ersten Gehversuchen kamen die Rückschläge: "Das Knie ist
oft wieder dick geworden", sagt Emmerling und räumt ein, dass ihn beinahe der
Glaube an eine Gesundung verlassen habe: "Zwei, drei Wochen vor der Endrunde um
die Deutsche Meisterschaft in Bad Dürkheim gab es eine Phase, in der ich echt
keinen Bock mehr hatte, weil ich irgendwie dachte, dass es nichts mehr wird."
Dies unter Umständen auch deshalb, weil der Orthopäde Straßburg Emmerlings
Mitwirken im RRK-Team zu diesem Zeitpunkt noch für zu früh erachtet hatte.
Dass sich die
Geduld und die Zurückhaltung bei den Anfang März begonnenen Übungen im
Olympiastützpunkt Frankfurt für Björn Emmerling gelohnt haben, kann mittlerweile
als gesichert gelten. Auch beruflich, denn ohne Praxis lässt sich ein Diplom in
Sport schwerlich erwerben. Und: 13 Monate und drei Tage nach dem Malheur in
Atlanta zählte der vielseitig verwendbare Mittelfeldspieler am vergangenen
Sonntag zur Überraschung vieler erstmals wieder zum Aufgebot des Rüsselsheimer
RK. "Ein Riesengefühl, wieder dabei zu sein", sagt Emmerling. Dass er beim
Pokalsieg über den Erzrivalen SC Frankfurt 1880 erstmals in einem Spiel drei
Treffer − darunter ein Traumtor mit der Rückhand unter die Latte − erzielt hat,
darf als gutes Omen gewertet werden. Und da ihm nach dieser Partie so ziemlich
alles weh getan habe, nur das so lange lädierte linke Knie nicht, braucht auch
das 20. Länderspiel keinesfalls das letzte gewesen sein.